Rangliste der Pressefreiheit

Gewalt bedroht Berichterstattung über Wahlen

Mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen und eine Rekordzahl von Ländern mit katastrophalen Bedingungen für Medienschaffende: Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich weiter deutlich verschlechtert. Dies geht aus der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF) hervor. Der Analyse zufolge befanden sich im vergangenen Jahr 36 Länder in der schlechtesten Wertungskategorie – so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht. Unabhängige journalistische Arbeit ist in diesen Ländern praktisch unmöglich. 

Besonders vor und nach Abstimmungen sind Journalistinnen und Journalisten gefährdet. Es kommt zu Beschimpfungen, Gewalt und Festnahmen. Diese Entwicklung ist besonders besorgniserregend mit Blick auf das Superwahljahr 2024: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wird in diesem Jahr an die Wahlurnen gebeten – etwa in den USA und Indien. Auch in Deutschland stehen Wahlen an: Neben den Wahlen für das EU-Parlament wird in Sachsen, Thüringen und Brandenburg über die Zusammensetzung der Landtage abgestimmt.

„Das zunehmende Ausmaß der Gewalt gegenüber Medienschaffenden, die über Wahlen berichten, ist eine erschreckende Entwicklung. Autokraten, Interessengruppen und Feindinnen der Demokratie wollen mit allen Mitteln unabhängige Berichterstattung verhindern“, warnt Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Dies ist nicht hinnehmbar. Demokratische Regierungen müssen sich mehr für den Schutz von Medienschaffenden engagieren. Pressefreiheit ist eine Voraussetzung, um sich unabhängig eine Meinung zu bilden und eine informierte Wahlentscheidung zu treffen.“

Weltkarte der Pressefreiheit 2024

Deutschland steigt auf in die Top 10

Deutschland steht auf Platz 10. Das ist ein Aufstieg gegenüber 2023 (21). Betrachtet man die Gesamtpunktzahl, hat sich die Situation in Deutschland aber nur geringfügig verbessert und auch nur in der Kategorie Sicherheit. Der Sprung auf Ranglistenplatz 10 ist zudem auch der Tatsache geschuldet, dass sich andere Länder auf der Rangliste verschlechtert haben. 

Verantwortlich ist auch der deutliche Rückgang der Zahl physischer Übergriffe auf Medienschaffende: RSF verifizierte für das Jahr 2023 insgesamt 41 Übergriffe auf Journalistinnen und Reporter. Im Vorjahr lag die Zahl noch bei 103 – ein Negativrekord –, im Jahr 2021 bei 80. Wie die aktuelle Nahaufnahme Deutschland zeigt, fanden 18 dieser 41 Übergriffe während Kundgebungen von Verschwörungstheoretikern oder extremen Rechten statt.

Neben diesem Rückgang ist auch die deutsche Vorreiterrolle bei der Durchsetzung und Erweiterung des Völkerstrafrechts positiv: Im weltweit ersten Strafprozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gambia wurde ein in Deutschland lebender ehemaliger Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt.

Der mit der gesunkenen Zahl der Übergriffe verbundene Anstieg auf der Rangliste sollte jedoch nicht täuschen: RSF geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Organisation sammelte im Jahr 2023 über die Zahl von 41 Übergriffen hinaus noch viele weitere Fälle von Gewalt gegen Medienschaffende, die jedoch – meist aufgrund fehlender Zeuginnen oder Zeugen – nicht verifiziert werden konnten. Die Zahl der Übergriffe bewegt sich zudem noch immer auf hohem Niveau – 2019, im Jahr vor der Pandemie, hatte RSF nur 13 Übergriffe gezählt.

Pressefeindliche Tendenzen haben insgesamt in Deutschland zugenommen. Besonders im Internet werden Journalistinnen und Journalisten immer wieder diffamiert, manche bekommen gar Morddrohungen. Seit dem Beginn von Israels Krieg gegen die Hamas beobachtet RSF zudem vermehrt Übergriffe auf Medienschaffende auf Pro-Palästina-Demonstrationen. Zudem verzeichnet die Organisation ein neues Phänomen der Pressefeindlichkeit: Landwirtinnen und Landwirte blockierten in mindestens fünf Fällen mit Traktoren die Auslieferung von Zeitungen in mehreren Bundesländern – ein klarer Angriff auf das Recht auf Information.

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Spitzenreiter und Schlusslichter

Wie in der Vergangenheit machen die skandinavischen Länder die Spitzenplätze unter sich aus: Zum achten Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1. Gründe für die gute Platzierung sind unter anderem die große Unabhängigkeit der Medien von der Politik, der gesetzliche Schutz der Informationsfreiheit sowie der traditionelle Pluralismus der norwegischen Medienlandschaft. Ähnlich gut sind die Voraussetzungen für journalistische Berichterstattung in den Nachbarländern Dänemark (2) und Schweden (3). Unter den Top 5 kommen nur die Niederlande (4) – vor Finnland (5)­ – nicht aus Europas hohem Norden: In dem Land wird die Pressefreiheit traditionell gut durch Gesetze, Staat und Behörden geschützt.

Am unteren Ende der Tabelle befindet sich Afghanistan (178), das 26 Plätze gefallen ist. Unter den regierenden Taliban wurden im vergangenen Jahr drei Journalisten getötet, mindestens 25 Medienschaffende saßen zwischenzeitlich im Gefängnis. Reporterinnen und Reporter müssen weiterhin ständig damit rechnen, durch Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen zu werden. Erst vergangene Woche traf es drei Radiojournalisten in der Provinz Khost, weil sie Musik abgespielt und Zuhörerinnen in ihrer Sendung angerufen hatten. Die Taliban behindern mit Kleidervorschriften und weiteren Einschränkungen insbesondere die Arbeit von Journalistinnen.

Auch in Syrien (179) hat sich die ohnehin katastrophale Lage weiter verschlechtert. Das von Krieg und Terror geschüttelte Land belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit den vorletzten Platz. Unabhängig journalistisch zu arbeiten, ist in allen Landesteilen nahezu unmöglich. Dutzende Medienschaffende sitzen in den Foltergefängnissen des Assad-Regimes, wurden von dschihadistischen Gruppen entführt oder gelten teils seit Jahren als verschwunden. Wenn doch einmal kritische Berichte über die Machenschaften des Regimes nach außen dringen, bestrafen die Behörden die Medien sofort.

Ein ebenso rechtsfreier Raum ist Eritrea (180), das neue Schlusslicht auf der Rangliste der Pressefreiheit. Eritrea ist eine Informationswüste, sämtliche existierenden Medien stehen unter direkter Kontrolle des Informationsministeriums. Seit 2001 schottet sich die Diktatur von Isayas Afewerki nach außen hin ab und unterbindet den freien Fluss von Nachrichten und Informationen mit großer Härte und Brutalität. Vier der vor über 20 Jahren festgenommenen Journalisten sitzen bis heute ohne Anklage in Haft, etwa der schwedische Staatsbürger Dawit Isaak. Er gehört zu den am längsten inhaftierten Medienschaffenden der Welt.

 

2013 standen noch 25 Länder in der besten Kategorie „gut“, 21 in der schlechtesten, „sehr ernst“. 2024 ist die Lage nur noch in acht Ländern „gut“, dafür aber in 36 „sehr ernst“.

180 Länder im Vergleich – Analyse der Pressefreiheit mit fünf Indikatoren

Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Die Rangliste stützt sich dabei auf fünf Indikatoren: Neben Sicherheit sind dies politischer Kontext, rechtlicher Rahmen sowie wirtschaftliches und soziokulturelles Umfeld. Diese Indikatoren werden in jedem der 180 untersuchten Staaten und Territorien ermittelt – zum einen auf Grundlage einer qualitativen Untersuchung, für die ausgewählte Journalistinnen, Wissenschaftler und Menschenrechtsverteidigerinnen in den jeweiligen Ländern einen Fragebogen mit etwas mehr als 100 Fragen beantworteten, zum anderen auf Grundlage von quantitativen Erhebungen zur Sicherheit von Journalisten und Medien. Mittels einer Formel wird daraus ein Punktwert zwischen 0 und 100 ermittelt, wobei 0 der schlechtesten und 100 der besten möglichen Wertung entspricht.

Aus der Abfolge der Punktwerte der einzelnen Länder ergibt sich die weltweite Rangliste. Zur 20. Ausgabe wurde die Rangliste 2022 erstmals mit einer neuen Methode ermittelt, um die Komplexität der Verhältnisse, die die Pressefreiheit weltweit beeinflussen, besser widerzuspiegeln. RSF hat die verbesserte Methodik mit einem Expertenkomitee aus Medien und Forschung erarbeitet. Aufgrund der geänderten Methodik ist beim Vergleich der Rangliste insgesamt und von einzelnen Ergebnissen vor und nach 2021 Vorsicht geboten. In die Rangliste der Pressefreiheit 2024 fließen Daten vom 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023 ein.

 

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