Russland
01.03.2012
Sorge um die Zukunft unabhängiger Medien wie Nowaja Gaseta und Radio Echo Moskwy
Reporter ohne Grenzen (ROG) blickt mit Sorge nach Russland, wo unabhängige Journalisten vor der Präsidentschaftswahl am 4. März stark unter Druck stehen. „Der Kreml versucht offenbar, die prominentesten kritischen Medien, etwa die Zeitung Nowaja Gaseta und Radio Echo Moskwy, zu schwächen“, sagte ROG-Vorstandssprecherin Astrid Frohloff. „Die internationale Gemeinschaft darf nicht hinnehmen, dass unabhängige Journalisten erneut mundtot gemacht werden wie während der Parlamentswahl Anfang Dezember“, so Frohloff.
Zahlreiche Übergriffe zeigten in den vergangenen Wochen die Nervosität der Staatsspitze um Ministerpräsident Wladimir Putin, den ROG zu den Feinden der Pressefreiheit zählt. So geriet die oppositionelle Zeitung Nowaja Gaseta in Finanznot, als staatliche Behörden am 21. Februar die Konten von Miteigentümer Alexander Lebedjew einfroren. „Wir freuen uns, dass zahlreiche prominente Unterstützer der Zeitung durch spontane Spenden zunächst aus der Klemme geholfen haben“, sagte Frohloff. „Dennoch sind wir in großer Sorge um die Zukunft des Blattes und anderer unabhängiger Medien in Russland.“
Wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass der Chefredakteur von Radio Echo Moskwy, Alexej Wenediktow, seinen Posten im Aufsichtsrat des Senders verliert. Echo Moskwy gehört zu zwei Dritteln der staatlich kontrollierten Holding Gasprom-Media, die sich mit der für Ende März geplanten Umbesetzung eine Mehrheit im Aufsichtsrat verschafft. „Kritische Stimmen sollen so langfristig zum Schweigen gebracht werden“, befürchtet Frohloff.
Auch das Fernsehen – als wichtigstes Informationsmedium der Bevölkerung ohnehin weitgehend auf Kreml-Linie – blieb von Einmischungen nicht verschont. Mitte Februar setzte die russische Sparte von MTV die Talkshow der beliebten Moderatorin Ksenija Sobtschak ab, die für ihre nächste Sendung den populären Blogger und Putin-Gegner Alexej Nawalny ins Studio geladen hatte. Im Visier der Regierung steht auch Doschdj TV, das seit zwei Jahren kritisch über russische Politik berichtet und sich – obwohl nur über Internet und Satellit zu empfangen – großer Beliebtheit erfreut. Der Sender erhielt am 16. Februar Post von der Staatsanwaltschaft. Auf Betreiben eines Abgeordneten der Regierungspartei Einiges Russland verlangt sie Auskunft darüber, wie der Sender die Berichterstattung über die Demonstrationen im Dezember finanziert habe.
Als nach den umstrittenen Parlamentswahlen am 4. Dezember 2011 zehntausende Menschen gegen Wladimir Putin demonstrierten, hatten viele auf eine neue Offenheit in den Medien gehofft. Selbst die staatlich kontrollierten Fernsehsender NTW und Perwyj Kanal berichteten über die Proteste und luden Oppositionspolitiker ins Studio, kremltreue Zeitungen veröffentlichten kritische Karikaturen.
Doch dies blieben vereinzelte Fälle. Wer sich zu weit vorwagt, riskiert nach wie vor viel. Am 13. Dezember verlor der Chefredakteur von Kommersant Wlast, Maxim Kowalski, seine Stelle, nachdem das Magazin über Wahlbetrug berichtet hatte. Ende Januar wurde auf die oppositionelle Zeitung Wetschernij Krasnokamsk im Süden Russlands ein Brandanschlag verübt. Sie hatte Artikel über Korruption in staatlichen Stellen veröffentlicht. In den russischen Regionen wird die Mehrzahl der Medien durch die Verwaltung kontrolliert, viele von ihnen verstehen sich lediglich als staatliche Verlautbarungsorgane.
Kritische Berichterstattung und offene Diskussionen finden deshalb vor allem im Internet statt. Im sozialen Netzwerk Live-Journal sind regierungskritische Blogs mit großer Leserschaft entstanden, auf vkontakte, dem russischen Pendant zu facebook, verabreden sich die Menschen zu Protestaktionen. Unter entsprechendem Druck standen diese Seiten während der Parlamentswahl im Dezember. Pawel Durow, der Gründer und Betreiber von vkontakte, wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeladen, weil er sich weigerte, Aufrufe zu Demonstrationen zu verbieten. Live-Journal war während der Wahl mehrere Tage lang nicht zugänglich. Koordinierte Online-Angriffe (DDoS-Attacken) legten kritische Internetseiten lahm, darunter die unabhängige Nachrichtenseite gazeta.ru sowie die Seiten von Radio Echo Moskwy und der Tageszeitung Kommersant.
Nicht zugänglich war zudem die interaktive Karte der Wahlbeobachtungsorganisation Golos, auf der Bürger russlandweit Fälle von Wahlbetrug dokumentieren können. Die NGO hat das Projekt KartaNarusheniy.ru zur bevorstehenden Wahl erneut freigeschaltet, fast 300 Fälle sind allein in Moskau bisher gemeldet. Das Team von Golos ist für den Netizen-Preis nominiert, den Reporter ohne Grenzen am 12. März verleiht.
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