Venezuela
23.02.2017
Berichte über Proteste nicht behindern
Reporter ohne Grenzen fordert die Regierung Venezuelas auf, Journalisten nicht länger bei der Berichterstattung über Korruptionsvorwürfe und Proteste zu behindern. Immer wieder sind zuletzt ausländische Journalisten ausgewiesen worden, die zu diesen Themen arbeiten wollten. Ihre einheimischen Kollegen wurden vielfach eingeschüchtert, wenn sie über politisch heikle Themen recherchierten.
„Gerade angesichts der schweren wirtschaftlichen und politischen Krise in Venezuela ist eine unabhängige Berichterstattung wichtiger denn je“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Regierung versucht offenbar systematisch, Berichte über soziale Missstände wie Korruption und Amtsmissbrauch zu verhindern. Präsident Maduro sollte die Stimmung nicht gegen die Medien anheizen, sondern dafür sorgen, dass Journalisten ungehindert ihrer Arbeit nachgehen können.“
Festnahmen und Senderverbot nach Berichten über Korruption
Am 11. Februar nahm die Polizei die brasilianischen Journalisten Leandro Stoliar und Gilson Souza sowie zwei Mitarbeiter der Organisation Transparency International fest, als sie Filmaufnahmen für einen Bericht über den Korruptionsskandal um den Baukonzern Odebrecht machten. Polizisten hielten sie mehr als 30 Stunden lang fest. Die Reporter wurden nach eigenen Angaben durchgehend überwacht und von schwer bewaffneten Polizisten in Sturmausrüstung in die Hauptstadt Caracas überführt. Nach einem mehrstündigen Verhör wurden sie ausgewiesen.
Vergangene Woche verbot die Nationale Telekommunikationsbehörde (Conatel) den spanischsprachigen Ableger des US-Fernsehsenders CNN, CNN en Español. Zuvor hatte Staatspräsident Nicolas Maduro den Sender bezichtigt, Falschmeldungen zu verbreiten. CNN hatte berichtet, venezolanische Auslandsvertretungen hätten Pässe und Visa an Bürger arabischer Staaten verkauft; das Innenministerium habe venezolanische Pässe auch für arabische Staatsbürger mit Verbindungen zu Terrororganisationen ausgestellt. Zudem recherchierten Journalisten des Senders ebenfalls über den Odebrecht-Skandal.
Ausländische Journalisten systematisch an der Einreise gehindert
In den vergangenen Monaten verwiesen die Behörden in mehreren Fällen ausländische Journalisten des Landes. So verweigerten Grenzbeamte am 22. Januar dem spanischen Deutsche Welle-Mitarbeiter Aitor Saez am Flughafen Caracas die Einreise. Er wollte über Demonstrationen der Opposition am Tag darauf berichten. Die Beamten verhörten ihn und hielten ihn sieben Stunden lang fest, danach schoben sie ihn nach Kolumbien ab.
Mitte Dezember wurde dem französischen Fernsehjournalisten Bernard de la Villardière ebenfalls am Flughafen Caracas die Einreise verweigert. Villardière wollte für den Fernsehsender M6 über die politische Krise in Venezuela berichten. Der Journalist stand offenbar auf einer „schwarzen Liste“ mit Personen, denen auch mit Touristenvisum die Einreise verweigert werden soll. Er wurde sofort nach seiner Ankunft gemeinsam mit zwei weiteren französischen Teamkollegen und einem Schweizer Kameramann nach Frankreich abgeschoben.
Matt Gutman, Korrespondent des US-Fernsehsenders ABC News, wurde am 26. Oktober ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot belegt. Der Geheimdienst hatte Gutman und seinen Kameramann zwei Tage zuvor bei Dreharbeiten über die desaströsen Zustände in einem Krankenhaus in Valencia im Bundesstaat Carabobo festgenommen.
Ebenfalls Ende Oktober berichtete die venezolanische NGO Espacio Público, drei peruanischen Journalisten des mexikanischen Fernsehsenders Televisa, Ricardo Burgos, Leonidas Chávez und Armando Muñoz, sei am Flughafen von Caracas die Einreise verweigert worden. Betroffen sei auch der argentinische AP-Fotograf Rodrigo Abd. Die Journalisten wollten über eine Großdemonstration gegen die Regierung berichten.
Auch im Vorfeld der Oppositionsproteste im September 2016 verweigerte die Regierung ausländischen Journalisten systematisch die Einreise. Betroffen waren unter anderem die französische Le Monde-Journalistin Marie-Eve Detoeuf, die kolumbianischen Caracol-Korrespondenten César Moreno und Dora Glottman sowie Teresa Bo und Lagmi Chávez vom arabischen Nachrichtensender Al Jazeera.
Juristische Schikanen gegen einheimische Journalisten
Während kritische ausländische Journalisten des Landes verwiesen oder gleich an der Einreise gehindert werden, sehen sich venezolanische Medienschaffende mit juristischen Schikanen konfrontiert. Der venezolanisch-chilenische Journalist Braulio Jatar etwa ist seit Anfang September in Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Geldwäsche vor, hat jedoch bislang keine Indizien dafür vorgelegt. Trotz Bluthochdrucks und einer mutmaßlichen Hautkrebs-Erkrankung wurde Jatar jede medizinische Behandlung verweigert. Mehrere Tage lang hielt man ihn ohne Begründung in Einzelhaft, wiederholt wurde ihm der Zugang zu Trinkwasser verwehrt.
Im Oktober durchsuchte der Geheimdienst die Wohnung der Fernsehmoderatorin Melissa Turibbi. Die Journalistin, die für den privaten Fernsehsender Globovisión arbeitet, gilt als Politik- und Militärexpertin und ist bekannt für ihre Kritik an Präsident Maduro. Schon im Februar 2016 hatten Polizisten sie rund einen Tag lang verhört, beschimpft und misshandelt.
Gewalt von Polizei und Demonstranten bei Protesten
Die venezolanische Nichtregierungsorganisation Institut für Presse und Gesellschaft (IPYS) zählte alleine zwischen Anfang Januar und Ende Juli 2016 insgesamt 546 Verstöße gegen die Pressefreiheit. Besonders häufig waren tätliche Angriffe und die juristische Verfolgung kritischer Journalisten. Betroffen waren ausschließlich private und nichtkommerzielle Medien. In mehr als zwei Dritteln der Fälle gingen die Verstöße von staatlichen Stellen aus.
Bei gewaltsamen Proteste wegen der sozialen und wirtschaftlichen Krise wurden in den vergangenen Monaten immer wieder Journalisten angegriffen. Im Oktober 2016 stürmte eine Gruppe militanter Regierungsanhänger das Parlament in Caracas, wobei sie mindestens sechs Journalisten bedrohten oder beraubten. Bei Straßenprotesten gegen die Nahrungsmittelknappheit wurden Anfang Juni 2016 mindestens 19 Journalisten von Polizisten oder Demonstranten angegriffen.
Zugleich sind immer mehr Zeitungen in ihrer Existenz bedroht, weil sie kein Papier zum Drucken bekommen. Laut Zählung des IPYS stellten allein in der zweiten Jahreshälfte 2016 mindestens 22 Zeitungen ihre gedruckten Ausgaben ganz oder teilweise ein. Betroffen war unter anderem die älteste Zeitung des Landes, El Impulso, die kurz vor ihrem 113. Jahrestag ihre Printausgabe zumindest vorläufig einstellen musste. Die Interamerikanische Presseorganisation (IAPA) beschuldigte Präsident Maduro im November, den Import von Zeitungspapier bewusst zu erschweren.
In der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit befindet sich Venezuela auf Rang 139 von 180 Staaten. Reporter ohne Grenzen zählt den venezolanischen Präsident Maduro zu den schlimmsten Feinden der Pressefreiheit weltweit.
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