Aserbaidschan / Georgien
31.05.2017
Nach Entführung: Exil-Journalisten schützen
Reporter ohne Grenzen ist bestürzt über die Entführung des aserbaidschanischen Journalisten Afgan Muchtarli. Er war am Montagabend (29. Mai) in der georgischen Hauptstadt Tiflis verschwunden und einen Tag später in Baku wieder aufgetaucht, wo er von der Polizei festgehalten wird. Aserbaidschanische Regimegegner stehen auch im georgischen Exil zunehmend unter Druck. Reporter ohne Grenzen hat darauf wiederholt aufmerksam gemacht. Dennoch verweigern deutsche Behörden in Georgien lebenden Exil-Journalisten aus Aserbaidschan immer wieder die Einreise.
„Dieser schreckliche Vorfall zeigt einmal mehr, dass sich Gegner des aserbaidschanischen Präsidenten Alijew auch in Georgien nicht sicher fühlen können“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Die deutsche Botschaft in Tiflis muss die Situation endlich ernst nehmen und darf Schutzsuchende, die sich an die Bundesrepublik wenden, nicht durch eine restriktive Visapolitik großer Gefahr aussetzen.“
Vergebliche Hilferufe
Muchtarli, der seit zwei Jahren im georgischen Exil lebte, war als scharfer Kritiker des herrschenden Regimes bekannt. Seinem Anwalt Elchin Sadigov zufolge wurde er am Abend des 29. Mai in der Nähe seines Wohnhauses in ein Auto gezwungen, wo ihn Unbekannte fesselten und schlugen. Sie platzierten mehrere tausend Euro in seiner Tasche, bevor er sich in den Händen des aserbaidschanischen Grenzschutzes wiederfand. Muchtarli wird des illegalen Grenzübertritts und Schmuggels beschuldigt. Ob georgische oder aserbaidschanische Stellen für seine Entführung verantwortlich sind, ist bisher unklar.
Muchtarli hatte sich im Herbst 2016 an ROG gewandt und um Hilfe für seine Familie gebeten, die unter den immer schwierigeren Bedingungen für aserbaidschanische Regimegegner in Georgien litt. Die Behörden in Tiflis hatten seiner Ehefrau Lejla Mustafajewa, die ebenfalls als Journalistin arbeitet, im September 2016 eine Aufenthaltsgenehmigung mit der Begründung verweigert, dies gefährde die Sicherheit Georgiens. Ein Stipendium des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig konnte Mustafajewa nicht antreten, weil die deutschen Behörden ihr kein Visum erteilten.
Hetzartikel auf regierungsfreundlicher Webseite
Anfang Mai war auf der regierungsfreundlichen Webseite haqqin.az ein Artikel über eine angebliche anti-aserbaidschanische Untergrundbewegung in Georgien erschienen, die versuche, die Regierung in Baku zu stürzen. Verfasser ist der Gründer und Chefredakteur der Seite, Ejnulla Fatullajew – ein einstiger Regimegegner, der sich nach seiner vorzeitigen Entlassung aus dem Gefängnis 2011 in einen treuen Anhänger der Präsidentenfamilie verwandelte und seither mit seiner Webseite gegen deren Kritiker zu Felde zieht.
Haqqin.az wird Beobachtern zufolge in der Bakuer Elite gelesen, um zu erkennen, „wer der nächste ist“, also welche Beamten, Journalisten oder Personen des öffentlichen Lebens in Ungnade gefallen sind und denen eine Entlassung oder Festnahme droht. In dem Artikel, den er am 4. Mai veröffentlichte, erwähnt Fatullajew neben dem nun entführten Journalisten Muchtarli unter anderem den Arzt Farman Dschejranow und die stellvertretende Vorsitzende der Oppositionspartei „Volksfront“, Gosel Bajramli. Beide wurden kurze Zeit später festgenommen.
Keine Sicherheit mehr in Georgien
Georgien war in den vergangenen Jahren zum Zufluchtsort aserbaidschanischer Oppositioneller geworden, als das Regime in Baku immer härter gegen Kritiker vorging und bürgerliche Freiheiten beschnitt. Sowohl nach den Protesten gegen den konzertierten Machtwechsel von Hejdar Alijew auf seinen Sohn Ilcham im Oktober 2003 als auch nach Straßenprotesten gegen das autoritäre Regime im März 2013 flüchteten zahlreiche Aserbaidschaner ins politisch liberalere Nachbarland.
Doch seit die beiden südkaukasischen Länder in den letzten Jahren wirtschaftlich und politisch enger zusammengerückt sind, wächst der Druck auf Exil-Aserbaidschaner in Georgien. Georgien hängt in hohem Maße von Energielieferungen seines rohstoffreichen Nachbarn ab, während Aserbaidschan Georgien wiederum als Transitland für Öl und Gas auf europäische Märkte braucht. Erst im April unterzeichneten beide Länder einen neuen Vertrag, demzufolge Georgien künftig fast 90 Prozent seiner Gasimporte aus Aserbaidschan bezieht.
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