Afghanistan
15.01.2009
ROG appelliert in Kabul für mehr Pressefreiheit in Afghanistan
Reporter ohne Grenzen (ROG) hat die afghanische Regierung dazu aufgefordert, den Schutz der Pressefreiheit zu einem vorrangigen Ziel ihrer Politik zu machen. Jean-François Julliard, ROG-Generalsekretär, lancierte den Appell an Staatschef Hamid Karzai und seine Regierung heute im Rahmen einer Pressekonferenz in der afghanischen Hauptstadt Kabul.
Die Konferenz, bei der auch Vertreter afghanischer Journalistenorganisationen anwesend waren, bildet den Abschluss einer einwöchigen Untersuchungsmission von ROG in dem westasiatischen Land.
„Die Lage der Pressefreiheit in Afghanistan wird immer kritischer. Es ist die Pflicht der Regierung, dieser beunruhigenden Entwicklung entgegenzuwirken“, sagte Julliard.
„Ohne eine freie und unabhängige Presse können sich in dem Land keine stabilen, demokratischen Strukturen entwickeln. Präsident Karzai und seine Regierung müssen wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Arbeitsbedingungen von Journalisten zu verbessern. Eine vielfältige Medienlandschaft und Informationsfreiheit sind die Voraussetzungen dafür, dass sich Afghanistan von 30 Jahren Krieg erholen kann“, erklärte Julliard weiter.
„Die Drohungen gegen afghanische und ausländische Journalisten nehmen zu: Neben den Taliban setzen nun auch Kriminelle und Mafia-Gruppen Medienmitarbeiter unter Druck. Zwar können Journalisten frei Ihre Meinung äußern – solange es nicht um das Tabu-Thema des Landes, den Islam, geht. Aber Medien arbeiten unter schwierigen Sicherheitsbedingungen. Die Situation im Süden und im Osten des Landes ist extrem instabil. Immer weniger Journalisten besuchen diese Regionen, die nicht mehr der Regierungskontrolle unterstehen und ‚schwarze Löcher’ für Informationen und Nachrichten sind“, so der ROG-Generalsekretär.
Während ihrer Mission traf die ROG-Delegation am 12. Januar im provisorischen Internierungslager von Kabul auch mit Sayed Perwiz Kambachsch zusammen. Der Journalist wurde zu einer 20-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er einen Artikel über die Rechte der Frau im Islam aus dem Internet heruntergeladen hatte. Ursprünglich hatte ein Gericht Kambachsch zum Tode verurteilt.
„Solange Bürger zum Tode oder zu langen Gefängnisstrafen verurteilt werden können, weil sie ihr Recht auf Informationen wahrnehmen, gibt es in Afghanistan keine Meinungsfreiheit. Sayed Perwiz Kambachsch muss so schnell wie möglich frei gelassen werden. Der Journalist hat keine Straftat begangen. Der Fall, der von erheblichen Unregelmäßigkeiten im Gerichtsverfahren geprägt war, wirft ein schlechtes Licht auf die Islamische Republik Afghanistan. Wir haben alle Beamte, die wir während der Mission getroffen haben, aufgefordert, das Urteil gegen Kambachsch aufzuheben“, sagte Jean-François Julliard.
Im vergangenen Jahr wurden in Afghanistan zwei Journalisten getötet und ungefähr 50 attackiert oder verletzt. ROG fordert Präsident Karzai auf, die Täter nicht straffrei entkommen zu lassen: „Die Behörden müssen sichere Arbeitsbedingungen für Journalisten garantieren, die häufig in permanenter Angst leben. Rund zehn Journalistinnen mussten in den vergangenen Monaten ihre Arbeit aufgeben, weil sie bedroht wurden. Nur wenige Medienmitarbeiter erhalten den nötigen Schutz.“
Wenn Journalisten ermordet oder angegriffen werden, müssen die afghanischen Behörden laut ROG genauer und wirksamer ermitteln, um die Verantwortlichen zu identifizieren. Es sei inakzeptabel, dass die Mörder von Zakia Zaki und Abdul Samad Rohani nicht bestraft wurden.
Zudem appelliert ROG an die Regierung, sich unbedingt für ein Gesetz zur Verbesserung der Informationsfreiheit einzusetzen. Alle Journalisten, mit denen die Teilnehmer der ROG-Mission sprachen, bestätigten, dass es sehr schwierig für sie sei, verlässliche Informationen und Kommentare von den Behörden zu erhalten.
„Bei jedem wichtigen Ereignis, gibt es mindestens fünf verschiedene Versionen der Faktenlage – die Taliban-Version, die Version des Verteidigungsministeriums, die des Präsidentenbüros, die der internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf und die Darstellung der wenigen Augenzeugen, die bereit sind, den Medien Auskunft zu geben. Wir begrüßen, dass die Regierung ein Medienzentrum eingerichtet hat, aber sie muss besser kommunizieren und Journalisten für Interviews zur Verfügung stehen“, fordert Jean-François Julliard.
Darüber hinaus kritisiert ROG, dass einige Eigentümer von Medien Einfluss auf den Inhalt ihrer Publikationen nehmen. Die Medienrechtsorganisation plädiert für eine eindeutige Trennung zwischen Geschäftsführung und Redaktion. „Viele Medien werden von ihren Gesellschaftern derzeit für die Verbreitung parteiischer Themen und Anliegen ausgenutzt, darunter leidet die Qualität der Berichterstattung“, so die Teilnehmer der Delegation.
An der ROG-Mission nahmen Jean-François Julliard, der Leiter des ROG-Asien-Referates Vincent Brossel sowie der ROG-Verantwortliche für Afghanistan Réza Moini teil. Die Delegierten trafen mit dem afghanischen Justizminister, den Minister für Kultur und Information, einem Vertreter des Rates der muslimischen Ulema (Religionsgelehrten), mit Offizieren der Isaf, Vertretern der Zivilgesellschaft, Diplomaten, Medienorganisationen und Journalisten zusammen.
Die Mission begann am 10. Januar und wird am 16. Januar enden. Einen detaillierten Bericht über die Mission wird ROG in den kommenden Wochen veröffentlichen.
Weitere Informationen:
Anja Viohl, Reporter ohne Grenzen
Tel.: 030 615 85 85
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