Folge 17
Indien: Sexismus im Journalismus und Straffreiheit für Täter
Auf dem Papier ist Indien eine Demokratie mit einer Verfassung. Diese garantiert Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit. Doch die Realität sieht anders aus, erklärt die mehrfach ausgezeichnete indische Journalistin Srishti Jaswal – vor allem für Frauen und Queers.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist die „weltgrößte Demokratie“ allein im letzten Jahr um acht Punkte auf Platz 150 von 180 abgerutscht. Verantwortlich dafür ist die rechtsradikale, hindunationalistische Regierung von Narendra Modi. Der Premier steht auf der Liste der größten „Feinde der Pressefreiheit“ weltweit. Seit seinem Amtsantritt 2014 hat er sich ein eigenes Medienimperium aufgebaut, das in seinem Sinne berichtet. Die verbleibenden unabhängigen Medien bekämpft er mit allen Mitteln: Gerichtsprozesse, Polizeigewalt oder Hasskampagnen.
Dabei kann Modi auf eine Armee von Online-Trollen oder »Yodhas« (das Hindi-Wort für »Krieger«) zählen, die in den sozialen Medien brutale Shitstorms gegen missliebige Journalist*innen lostreten. Diese schlagen fast systematisch in Mordaufrufe um. Besonders im Visier stehen Frauen und Queers. Auch Jaswal hat solch eine Hexenjagd erlebt. Sie betont, wie zentral in patriarchalen Gesellschaften das Konzept der „Ehre“ ist. Für eine Frau in Indien reicht es schon, wenn ein einziges diskreditierendes Foto von ihr im Internet gepostet wird, um ihren Ruf zu ruinieren. Die Sorge davor, die Ehre abgesprochen zu bekommen, entfaltet enormen Druck auf Frauen. Es soll sie davon abhalten, sich öffentlich zu äußern. Gerade für Journalist*innen, die durch ihren Beruf in der Öffentlichkeit stehen (müssen), ist diese Gefahr enorm.
Jaswals Lage wurde irgendwann so unerträglich, dass sie alles zurücklassen und eine Zeitlang untertauchen musste. Seitdem kämpft sie mit gesundheitlichen Problemen. Doch sie gibt nicht auf. Sie hat ihr Leid in einen Erfolg verwandelt, akribisch zu Troll-Netzwerken recherchiert und nun ein Buch darüber veröffentlicht. In unserem Podcast erzählt sie ihre Geschichte und plädiert dafür, das Bild, das wir im Westen von Indien haben, zu revidieren.
Lotte Laloire, Pressereferentin bei Reporter ohne Grenzen und Expertin für Geschlechterthemen, bestätigt Jaswals Erfahrungen und erklärt, wie der sexistische Hass funktioniert. Viele der Mechanismen gelten universal. Ob in Indien oder in Deutschland, Journalist*innen erleben oft einen „Dreiklang des Hasses“: Ihnen wird die Kompetenz abgesprochen, ihr Äußeres wird negativ bewertet und ihnen wird sexualisierte Gewalt angedroht. Zudem weist Laloire darauf hin, dass Sexismus im Journalismus zum Nachteil für die gesamte Gesellschaft wirkt. Denn wenn Kolleginnen aus Angst untertauchen oder den Beruf aufgeben, geht der Welt etwas verloren. Ohne ihre Perspektive bleibt die Berichterstattung unvollständig. Das schränkt nicht nur die Pressefreiheit der Einzelnen ein, sondern schadet letztlich allen, da auch das Recht auf Informationsfreiheit darunter leidet.
In der neuen Folge von Pressefreiheit Grenzenlos erfahren Sie, wie Journalist*innen die Kraft aufbringen ihren Beruf trotz Widerständen auszuüben.
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