Kritik am BND-Gesetz

2022/2023 – Neue Verfassungsbeschwerde von RSF

Am 29. Dezember 2022 hat Reporter ohne Grenzen zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) eine zweite Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) eingereicht. Beiden Organisationen haben sich Dutzende Medienschaffende und Menschenrechtsaktivistinnen aus dem In- und Ausland angeschlossen.

Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Mai 2020 weite Teile der Auslandsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) für grundrechtswidrig erklärt und deutlich gemacht, dass der BND auch im Ausland an Grundrechte wie die Meinungsfreiheit und das Telekommunikationsgeheimnis gebunden ist. Journalistinnen und Journalisten sind jedoch auch weiterhin nicht ausreichend vor Überwachung durch den BND geschützt.

Das betrifft vor allem die vertrauliche Kommunikation mit ihren Quellen. Verkehrsdaten – wer wann mit wem kommuniziert hat – können vom BND „verarbeitet“ werden. Journalistische Recherche-Ergebnisse als Folge von Kommunikation sind für den BND damit nicht eindeutig tabu. Während deutsche Medienschaffende einen höheren Schutz genießen, sind Journalistinnen und Journalisten aus der EU und dem Nicht-EU-Ausland umso einfachere Überwachungsziele für den BND. Dies entspricht nicht den Standards, die vom BVerfG im ersten Verfahren gegen das BND-Gesetz gesetzt wurden.

Bei der Reform des BND-Gesetzes setzte sich der Gesetzgeber der ehemals Großen Koalition von CDU/CSU und SPD zum Teil offen über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinweg. Auch wurden neue verfassungswidrige Regelungen in das Gesetz aufgenommen, die dem BND neue Überwachungsspielräume einräumen.

 

Unsere Forderungen an den Gesetzgeber, die weiterhin bestehen bleiben:

  • Das BND-Gesetz muss Vertraulichkeitsbeziehungen beispielsweise zwischen Medienschaffenden und ihren Quellen umfassend vor Überwachung schützen. Dieser Schutz muss sämtliche mit der journalistischen Arbeit verbundenen Informationen und Daten einschließen. Dazu gehören personenbezogene Daten (Namen, Telefonnummern, IP-Adresse, etc.) ebenso wie Recherchematerial und Verkehrsdaten, wie zum Beispiel Mailadressen oder Betreffzeilen von E-Mails der Beteiligten. Auch Recherche-Ergebnisse müssen für Geheimdienste unzugänglich sein, um Publikationsabsichten nicht zu gefährden.
  • Es darf keine Medienschaffenden „zweiter Klasse“ geben. Der Schutz vor Überwachung ist gerade bei Nicht-EU-Journalistinnen und -Journalisten extrem schwach – und das, obwohl sie oftmals den größten politischen Druck für unabhängige Recherchen aushalten müssen. Auch europäische Journalistinnen und Journalisten sind im Vergleich zu Deutschen schlechter vor Überwachung geschützt. Diese Lücken müssen besser adressiert werden.
  • Die verfassungswidrige Massenüberwachung muss eingeschränkt werden. Der verdachtsunabhängige Zugriff auf hunderte Millionen von E-Mails pro Jahr aus dem weltweiten Internetverkehr ist mit Pressefreiheit und Menschenrechten nicht vereinbar. Sowohl die Zahl der angezapften Kommunikationsnetze als auch die Suchbegriffe, mit denen der BND diese durchkämmt, müssen enger begrenzt und auf ihre Zweckmäßigkeit kontrolliert werden.
  • Nur spezifische, begründete Anhaltspunkte für den Verdacht staatsgefährdender Bedrohungen können die Verletzung von Vertraulichkeitsbeziehungen rechtfertigen.
  • Die Aufsicht über die deutschen Geheimdienste muss gestärkt und mit angemessenen Befugnissen und Ressourcen ausgestattet werden, um die Mechanismen zum Grundrechtsschutz überprüfen, den technischen Entwicklungen Rechnung tragen und missbräuchliche Überwachung aufdecken zu können.

Die Verfassungsbeschwerde verfasste Prof. Dr. Matthias Bäcker von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die anonymisierte Fassung der Beschwerdeschrift kann hier heruntergeladen werden.

Beschwerdeführende befürchten globale Massenüberwachung

Zu den insgesamt 20 Beschwerdeführenden gehören Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten aus dem Nicht-EU-Ausland, der EU und Deutschland, darunter Awil Abdi Mohamud (Somalia), Dragana Pećo (Serbien), Goran Lefkov (Nordmazedonien), Can Dündar (Türkei), Szabolcs Panyi (Ungarn), Meron Estefanos (Schweden), Peter Verlinden (Belgien) und Sara Creta (Italien). Drei weitere Personen unterstützen die Beschwerde anonym. Sie arbeiten überwiegend investigativ und überregional, die meisten zu Korruption, Steuerbetrug, organisierter Kriminalität sowie Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Menschenhandel und genozidaler Gewalt. Dies sind Themen, die zum Aufklärungsauftrag des BND gehören.

Zu den deutschen Beschwerdeführenden zählen die Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten Eva Schulz, Kerem Schamberger, Martin Kaul, Christian Mihr, Nora Markard und Ulf Buermeyer. Sie befürchten, dass der BND die automatisierten Kommunikationsvorgänge all ihrer technischen Geräte abgreift und auswertet.

GFF und RSF erheben die Verfassungsbeschwerde auch im eigenen Namen als selbst betroffene Organisationen. Ebenso zählt die internationale Organisation von Reporter ohne Grenzen mit Sitz in Paris zu den Beschwerdeführenden. Da sie intensiven Kontakt zu Klägerinnen, Journalisten und Politikerinnen auf der ganzen Welt pflegen, kann ihre Kommunikation für den Auftrag des Bundesnachrichtendienstes relevant sein.

Biografien der Beschwerdeführenden sind hier verfügbar.

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2021 – Reform des BND-Gesetzes

Im März 2021 beschloss der Bundestag die novellierte Fassung des BND-Gesetzes. Empfehlungen zum Schutz journalistischer Kommunikation wie zuvor von RSF in einer schriftlichen Stellungnahme formuliert, wurden darin nicht berücksichtigt und blieben auch nach einzelnen Nachbesserungen im Gesetzentwurf bestehen.  Zuspruch für eine Überarbeitung des Gesetzes im Sinne eines verbesserten Schutzes für Medienschaffende erhielt RSF unter anderem von der OSZE-Medienbeauftragten Teresa Ribeiro.

#NotYourSource-Kampagne

Mit einer Social-Media-Kampagne unter dem #NotYourSource machten wir im Frühjahr 2021 auf die Defizite des Entwurfs zur Reform des BND-Gesetzes aufmerksam.

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2020 – Entwurf der Bundesregierung

Im Dezember 2020 verabschiedete die Bundesregierung einen Entwurf für die nötige Reform des BND-Gesetzes, über den anschließend der Bundestag beriet. Der Entwurf wurde den Anforderungen des Verfassungsurteils nicht gerecht. RSF forderte, dass der Entwurf überarbeitet wird, um Journalistinnen und Journalisten künftig besser vor Überwachung zu schützen.

Der Regierungsentwurf sah zwar Vorgaben zum Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen vor, wollte konkret aber nur einige ausgewählte Daten schützen. Demnach wären beispielsweise journalistische Rechercheergebnisse für BND-Mitarbeitende nicht eindeutig tabu.

Ebenso wenig sah der Entwurf vor, Verkehrsdaten zu schützen, die zum Beispiel Aufschluss darüber geben, wer wann und wie lange mit wem gesprochen hat. Diese Daten machen jedoch den Großteil der gesammelten Informationen aus. Seit den Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden ist bekannt, welch hohe Bedeutung sie für die Arbeit der Geheimdienste haben. Würden solche Daten ungefiltert an andere Geheimdienste weitergegeben, könnte dies Medienschaffende in vielen Staaten in Gefahr bringen.

2020 – Erfolg vor Bundesverfassungsgericht

Am 19. Mai 2020 gab das Bundesverfassungsgericht RSF und den weiteren beteiligten Beschwerdeführenden Recht, dass der BND auch die Kommunikation ausländischer Medienschaffender besonders schützen muss. Denn Pressefreiheit und Quellenschutz setzen wirksamen Schutz vor staatlicher Überwachung voraus. Das Gericht erklärte das BND-Gesetz für verfassungswidrig, weil es gegen die Pressefreiheit des Artikels 5 (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) und gegen das Fernmeldegeheimnis des Artikels 10 (Art. 10 Abs. 1) verstößt.

Das Gericht stellte klar, dass deutsche Behörden auch dann an das Grundgesetz gebunden sind, wenn sie im Ausland tätig werden. Daraus leitete es eine Reihe an Vorkehrungen ab, die der Gesetzgeber für die künftige Auslandsaufklärung des BND treffen muss.

Das Gericht forderte zudem, bei der Massenüberwachung besondere Anforderungen an den Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen zu stellen: „Die journalistische Tätigkeit rechtfertigt nicht, Personen einem höheren Risiko der Überwachung auszusetzen (...) und sie wegen ihrer Kontakte und Recherchen zum Objekt der Informationsabschöpfung zur Verfolgung von Sicherheitsinteressen zu machen.“ (Randnummer 194). Eine Überwachung der Presse sei nur in Einzelfällen zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten gerechtfertigt und bedürfe einer gerichtsähnlichen Vorabkontrolle.

Ebenso sollte die Weitergabe von Recherche-Ergebnissen an ausländische Geheimdienste laut Karlsruhe an strenge Voraussetzungen geknüpft werden (Rn. 240-241, 256-257). Der BND darf Daten teilen, wenn der ausländische Nachrichtendienst ein Schutzniveau hat, welches mit dem Grundgesetz vergleichbar ist.  Die Karlsruher Richterinnen und Richter nannten in diesem Zusammenhang auch „unter Verfolgungsdruck stehende Dissidenten oder sogenannte Whistleblower“ (Rn. 256). Daten über sie müssen ebenfalls vor einer Weitergabe besonders geschützt werden – ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte. Über die Beschwerde von RSF hatte das Bundesverfassungsgericht am 14. und 15. Januar 2020 verhandelt.

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2017/2018 – Erste Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht

Ende 2017 reichten wir eine Beschwerde gegen Teile des BND-Gesetzes beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Beschwerde hatte Reporter ohne Grenzen zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte, dem Deutsche Journalisten-Verband, der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, dem journalistischen Netzwerk n-ost und dem Netzwerk Recherche eingereicht. Unter den Beschwerdeführenden waren viele namhafte Investigativjournalistinnen und -journalisten, darunter die Gewinnerin des Alternativen Nobelpreises Khadija Ismayilova (Aserbaidschan) sowie die Journalisten Blaž Zgaga (Slowenien) und Richard Norton-Taylor (Großbritannien).

Die Beschwerde richtete sich gegen die weitreichenden Überwachungsbefugnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND durch das Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung vom 23. Dezember 2016 (BNDG-Novelle), das Anfang 2017 in Kraft trat. Das Gesetz ermöglichte es, Telekommunikation im Ausland gezielt mitzuschneiden und alle anfallenden Inhalts- und Verkehrsdaten auszuwerten. Anders als bei rein inländischen Überwachungsmaßnahmen nach der Strafprozessordnung brauchte der BND für eine solche strategische Überwachung keinen konkreten Verdacht und keine richterliche Genehmigung. Die Kommunikation wurde anhand bestimmter Suchbegriffe unter Annahme einer allgemeinen Bedrohungslage durchsucht. Die Überwachung konnte damit jeden treffen, der beispielsweise mit Medienschaffenden im Ausland kommunizierte.

Die Große Koalition hatte sich zu einer grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes entschieden, nachdem im Zuge des NSA-Skandals, der das weltweite Ausmaß an Überwachung durch Geheimdienste verdeutlichte, höchst fragwürdige Praktiken des BND bekannt geworden waren. Anstatt jedoch dem BND künftig Schranken zu setzen, legalisierte die Bundesregierung die Praktiken mit dem neuen Gesetz. Verschärft wurde diese Problematik durch die ausdrückliche Ermächtigung, erhobene Informationen mit anderen Geheimdiensten zu teilen.

2017 – Wegweisendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig setzte der Massenüberwachung durch den BND erstmals Schranken: Ab sofort durfte der BND keine Verbindungsdaten mehr aus Telefongesprächen von Reporter ohne Grenzen in seinem Metadaten-Analysesystem „VerAS“ speichern. Mit „VerAS“ hatte der BND seit 2002 ohne gesetzliche Grundlage Metadaten auch von deutschen Bürgerinnen und Bürgern gesammelt, die im Zusammenhang mit ihrer Kommunikation anfielen.

Davon betroffen waren sowohl die sogenannte Ausland-Ausland-Kommunikation als auch Gespräche zwischen In- und Ausland sowie Verbindungsdaten, die dem BND von befreundeten Geheimdiensten zugeliefert wurden. Die Speicherung war so umfassend, dass auch Journalistinnen und Journalisten erfasst werden konnten, die nur indirekt und über mehrere weitere Kommunikationspartner zum Beispiel mit einer des Terrors verdächtigten Person in Verbindung gebracht werden konnten.

Im anderen Teil der Klage warf RSF dem Geheimdienst vor, im Zuge seiner strategischen Fernmeldeüberwachung ihren E-Mail-Verkehr mit ausländischen Partnern, Journalistinnen und anderen Personen ausgespäht zu haben. Diesen Teil wies das Bundesverwaltungsgericht im Dezember 2016 als unzulässig ab. Im April 2017 entschied auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, die Verfassungsbeschwerde von RSF nicht zur Entscheidung anzunehmen. Zur Begründung erklärte das Gericht, die Organisation habe nicht glaubhaft genug dargelegt, dass sie selbst von der BND-Überwachung betroffen war. Nach dem Scheitern in diesen Gerichtsinstanzen reichte RSF eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein (EGMR) ein, die im Januar 2021 zur Entscheidung angenommen wurde. Die Organisation macht dort unter anderem geltend, dass ihr Recht auf wirksame Beschwerde verletzt wurde. Denn der größte Teil der von Überwachung Betroffenen erfährt nicht einmal im Nachhinein, dass etwa ihre E-Mails erfasst und durchsucht wurden.

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2016 – Neues BND-Gesetz im Eiltempo

Nach dem NSA-Skandal, der dank des Whistleblowers Edward Snowden enthüllt wurde, setzte der Deutsche Bundestag dazu einen NSA-Untersuchungsausschuss ein. Dieser brachte ans Licht, dass der BND fragwürdige Überwachungsprogramme nutzte und es an einigen Stellen an einer rechtlichen Grundlage dafür fehlte. Die Bundesregierung kündigte daher an, eine Rechtsgrundlage für diese Praktiken zu schaffen und die Arbeit des Geheimdienstes besser zu kontrollieren.

Die Große Koalition von CDU/CSU und SPD beschloss das Gesetz 2016 im Eiltempo und gegen breiten Protest aus der Zivilgesellschaft und die Bedenken der OSZE-Beauftragten für Medienfreiheit sowie von drei UN-Sonderberichterstattern.

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