Saudi-Arabien
02.10.2021
Weiter keine Gerechtigkeit für Jamal Khashoggi
Heute vor drei Jahren, am 2. Oktober 2018, wurde der Journalist Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet. Zwar hat die saudi-arabische Führung nach anfänglichem Leugnen offiziell eingeräumt, dass Mitarbeiter offizieller Stellen den Mord begangen haben. Sie behauptet aber, die Personen hätten eigenmächtig gehandelt. Viele weitere Indizien sprechen jedoch für eine viel tiefer gehende Mitverantwortung der saudischen Führung, bis in höchste Regierungskreise. Reporter ohne Grenzen (RSF) setzt sich weiter dafür ein, dass dieses monströse Verbrechen vollständig aufgeklärt wird.
„Das Regime in Saudi-Arabien will dieses Verbrechen mit aller Gewalt vergessen machen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Aber kein schickes Tourismusprojekt, kein teures Sportevent und keine große Kulturveranstaltung kann darüber hinwegtäuschen, dass Kronprinz Mohammed bin Salman die freie Presse mit größtmöglicher Brutalität unterdrückt. Wenn die angebliche Modernisierung des Landes auch nur ein Funken mehr sein soll als leeres Gerede, darf er die lückenlose Aufklärung des Mordes an Jamal Khashoggi nicht weiter behindern und muss die derzeit mindestens 32 willkürlich inhaftierten Journalistinnen und Journalisten sofort freilassen.“
Mohammed bin Salman, der Kronprinz, Verteidigungsminister und starke Mann der Monarchie, hat zwar behauptet, er übernehme die „volle Verantwortung“ für die Ermordung. Den Vorwurf, er sei in die Tat verwickelt gewesen oder habe sie in Auftrag gegeben, bestreitet er. Die damalige UN-Sonderberichterstatterin Agnes Callamard hingegen hat 2019 einen Bericht vorgelegt, in dem sie „glaubwürdige Beweisen“ dafür sieht, dass der „MBS“ genannte Kronprinz persönlich mit der Ermordung in Verbindung steht. Saudi-Arabien hat eine Zusammenarbeit mit Callamard abgelehnt. Später kam auch der US-Geheimdienst CIA zu dem Schluss, MBS habe die Geheimdienstaktion direkt angeordnet.
Jamal Khashoggi lebte im US-amerikanischen Exil und arbeitete dort unter anderem als Kolumnist für die Washington Post. Am 2. Oktober 2018 betrat er gegen 13.15 Uhr lokaler Zeit das saudische Generalkonsulat in Istanbul, weil er Unterlagen für die geplante Hochzeit mit seiner Verlobten Hatice Cengiz abholen wollte. Während sie vor den Toren des Konsulats wartete, wurde Khashoggi mutmaßlich von Personen mit Verbindungen bis in höchste saudische Regierungskreise auf bestialische Weise ermordet. Bis heute sind weder der genaue Tathergang noch der Verbleib seiner Leiche aufgeklärt.
Strafanzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Reporter ohne Grenzen will, dass die mutmaßlich Hauptverantwortlichen für dieses Verbrechen endlich konkrete Folgen zu spüren bekommen. Deshalb hat RSF am 1. März 2021 beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen MBS und weitere Vertreter des Königreichs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erstattet. Die Anzeige beruft sich auf das Weltrechtsprinzip gemäß dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch und bezieht sich neben dem Khashoggi-Mord auch auf die Fälle von 34 Medienschaffenden, die in Saudi-Arabien wegen ihrer Tätigkeit willkürlich inhaftiert sind oder waren. Die über 300 Seiten starke Anklage wird derzeit noch immer von der Generalbundesanwaltschaft geprüft.
Derzeit (Stand 01.10.) sind noch 32 Journalistinnen und Journalisten willkürlich inhaftiert, darunter auch Raif Badawi. Der bekannte Blogger sitzt seit neun Jahren in Haft und war zu 1000 Stockhieben verurteilt worden. Diese unmenschliche Art der Bestrafung hat der saudische Staat mittlerweile endlich abgeschafft.
Schon im April 2019 war eine RSF-Delegation nach Saudi-Arabien gereist und hatte sich vor Ort bei Regierungsvertretern für umfassende Aufklärung sowie für die Freilassung inhaftierter Medienschaffender eingesetzt. Um diplomatischen Druck zu erreichen, führte RSF unter anderem gemeinsam mit Khashoggis Verlobter Hatice Cengiz politische Gespräche auch in Berlin. Auch während der G20-Präsidentschaft Saudi-Arabiens 2020 setzte sich RSF diplomatisch und öffentlich für Aufklärung und für Verbesserungen im Land ein.
Prozesse ohne rechtsstaatliche Standards
In Saudi-Arabien selbst wurden für die Tötung Jamal Khashoggis inzwischen acht Männer rechtskräftig zu sieben bis 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Drei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und entsprach in keiner Weise rechtsstaatlichen Anforderungen. Nicht einmal die Namen der Verurteilten wurden bekanntgegeben. Die Frage nach der politischen Verantwortung für den Mord blieb völlig ausgeklammert.
In Istanbul begann im Juli 2020 ein türkischer Strafprozess zu dem Verbrechen. Die Staatsanwaltschaft dort wirft mittlerweile 26 saudi-arabischen Staatsbürgern vor, direkt oder indirekt an der Tötung Khashoggis beteiligt gewesen zu sein. RSF beobachtet den Prozess intensiv, verspricht sich von ihm aber schon wegen der Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei keine umfassende Aufklärung. Einen Antrag von RSF auf Zulassung als Nebenklägerin wies das Gericht ab. Der nächste Verhandlungstag ist für den 23.11.2021 angesetzt.
Recherchen des Pegasus-Projekts haben enthüllt, dass eine Reihe von Personen aus Jamals Khashoggis Umfeld mit der Pegasus-Software überwacht wurden. Betroffen sind Familienangehörige, Kolleginnen und Freunde des ermordeten Journalisten, darunter auch seine Verlobte Hatice Cengiz. Ihr Mobiltelefon wurde laut einer Analyse von Amnesty International am 6. Oktober 2018, vier Tage nach der Tat, mit Pegasus angegriffen. Zu diesem Zeitpunkt versuchte die saudische Führung noch, jegliche Verantwortung durch PR-Maßnahmen wie einer Führung durch das Generalkonsulat in Istanbul von sich zu weisen.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Saudi-Arabien seit langem auf den hintersten Plätzen, derzeit auf Rang 170 von 180 Staaten.
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