Türkei
13.02.2014
Präsident Gül sollte Internetgesetz stoppen
Reporter ohne Grenzen ruft den türkischen Präsidenten Abdullah Gül auf, das umstrittene Internetgesetz nicht zu unterzeichnen. Die vom Parlament bereits verabschiedete Reform würde die Möglichkeiten der türkischen Behörden zur Überwachung und Zensur des Internets drastisch ausweiten.
„Noch mehr Kontrolle und Zensur sind die falsche Antwort auf Korruptionsvorwürfe und Proteste gegen die Regierung“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die geplanten Änderungen würden den Behörden die Möglichkeit geben, regierungskritische Webseiten quasi beliebig zu sperren.“
Am vergangenen Wochenende demonstrierten in der Türkei mehrere tausend Menschen gegen die Reform. Am Freitag wurde zudem der aserbaidschanische Journalist Mahir Zeynalov des Landes verwiesen. Er arbeitete für die regierungskritische türkische Zeitung Today's Zaman. Nach deren Angaben werfen die Anwälte von Ministerpräsident Tayyip Erdogan dem Journalisten vor, mit kritischen Twitter-Nachrichten die Persönlichkeitsrechte und die Ehre des Regierungschefs verletzt zu haben.
Die türkische Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (TIB) kann schon jetzt Webseiten mit „obszönen“ Inhalten ohne Richterbeschluss sperren. Die in der vergangenen Woche vom Parlament verabschiedete
Reform des Gesetzes Nr. 5651 würde diese Befugnis auf Verletzungen der Privatsphäre, diskriminierende oder beleidigende Inhalte sowie Maßnahmen zum Schutz von Familie und Kindern erweitern. Auch das Kommunikationsministerium soll künftig Sperrungen anordnen dürfen.
Das geänderte Gesetz könnte wegen der fehlenden richterlichen Kontrolle und der weit gefassten Kriterien zu massenhafter Zensur führen, zumal die willkürliche Sperrung von Internetseiten schon länger gängige Praxis in der Türkei ist. Nach Angaben der Webseite Engelli Web sind in dem Land derzeit mehr als 40.000 Internetseiten blockiert.
Erst jüngst zwang die TIB vier Nachrichtenportale – 24.com.tr, Gercekgundem.com, Haber.sol.org.tr und Yarinhaber.net – Berichte über Erdogans angebliche Rolle beim Verkauf einer Mediengruppe aus dem Netz zu nehmen. Beobachter warnen, die neuen Befugnisse könnten auch verwendet werden, um Satire-Webseiten wie Zaytung und kritische Online-Foren wie Eski Sözlük zu sperren.
Die Frist zwischen einem Sperrbeschluss und seiner Umsetzung würde nach dem Gesetzestext von 72 auf 24 Stunden, in „Notfällen“ auf vier Stunden herabgesetzt. Wer seine Privatsphäre verletzt wähnt, könnte sich direkt bei einem Internetanbieter eine Sperre erwirken, die ebenfalls binnen vier Stunden wirksam werden müsste. Einsprüche sollen nur im Nachhinein möglich sein. Sperrungen auf Anordnung einer Staatsanwaltschaft sollen ohne Bestätigung eines Richters gelten und von den Strafverfolgern selbst verlängert werden können. Zusätzlich sollen die Behörden erweiterte technische Möglichkeiten der Zensur erhalten.
In der vorliegenden Form würde das Gesetz das gesamte türkische Internet unter die direkte Kontrolle der TIB bringen. Zugleich ist geplant, die Behörde weitestgehend vor dem Zugriff der Justiz zu schützen. Weiterhin ist die Schaffung eines neuen Verbands der Internetanbieter geplant, bei dem Anfragen zur Sperrung oder Löschung von Inhalten gebündelt werden sollen. Zu befürchten ist, dass dieser Verband als zusätzliches Mittel zur Kontrolle der Anbieter fungieren wird, der diese zum Einsatz der vorgesehenen Überwachungstechniken zwingen könnte. Auch die Strafen für Anbieter, die Anordnungen zur Löschung von Inhalten nicht sofort umsetzen, sollen steigen.
Die Internetanbieter sollen verpflichtet werden, die Verbindungsdaten ihrer Nutzer ein bis zwei Jahre lang zu speichern und auf Verlangen den Behörden zur Verfügung zu stellen. Welche Daten erfasst und wozu sie verwendet werden könnten, bleibt offen. Experten zufolge dürfte die Speicherung die Adressen besuchtet Webseite, Suchanfragen, IP-Adressen und Betreffzeilen von E-Mails umfassen.
Die Türkei nimmt auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit Platz 154 von 180 Ländern ein. Sie steht seit Jahren auf der Liste der Länder, die wegen ihrer repressiven Internetpolitik unter besonderer Beobachtung stehen.
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