Lettland
08.12.2022
Ein Geschenk für den Kreml
Die Entscheidung kam schnell und unerwartet: Am 6. Dezember widerrief die lettische Medienaufsicht (NEPLP) die im Juni erteilte Sendelizenz für den unabhängigen russischen Fernsehsender Doschd. Die Begründung: Doschd bedrohe die nationale Sicherheit und habe mehrmals gegen das lettische Medienrecht verstoßen. Konkreter Anlass für das Verbot war eine Live-Sendung vom 1. Dezember. In dieser hatte ein Moderator des in Riga ansässigen Oppositionsmediums den Eindruck erweckt, Hilfsgüter für russische Frontsoldaten zu sammeln.
„Der Entzug der Lizenz ist ein Schlag gegen die Pressefreiheit und ein unerwartetes Geschenk für den Kreml“, kritisiert Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Wir bedauern die Entscheidung zutiefst.“ Die Begründung der lettischen Medienaufsicht sei nicht überzeugend. „Lettland sollte genau erklären, in welcher Weise der Sender das Land angeblich gefährden soll.“ Am Vorabend der Entscheidung hatte RSF in einem Brief die Regulierungsbehörde aufgefordert, auf einen Entzug der Sendelizenz zu verzichten.
Doschd ist unter den kremlkritischen russischsprachigen Medien der Sender mit der größten Reichweite. Er wurde im Jahr 2010 gegründet und widmete sich trotz zunehmender Schikanen Themen wie Korruption, Wahlfälschungen und Proteste. Nach Ausweitung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine berichtete Doschd auch über Antikriegsproteste in russischen Städten und Moskaus Beschuss ziviler Ziele in der Ukraine. Die russische Staatsanwaltschaft warf dem Sender daraufhin die gezielte Verbreitung von Fake-News über das russische Militär sowie Aufrufe zu Gewalt vor. Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor ließ den Sender im März blockieren und dessen Internetseite abschalten. Die meisten Mitarbeiter von Doschd flohen daraufhin aus Russland. Ein Teil der Redaktion siedelte in die lettische Hauptstadt Riga über.
Infolge der Entscheidung der lettischen Medienaufsicht darf Doschd sein Programm nicht mehr im Kabelnetz ausstrahlen und soll auf YouTube blockiert werden. Der Sender rechnet mit Einbußen von bis zu 20 Prozent seiner Einnahmen. Die Redaktion erwägt derzeit, Riga zu verlassen. Auch Lettlands Nachbarstaaten Litauen und Estland haben die Ausstrahlung des Senders im Kabelnetz eingestellt. Mit dem Entzug der Lizenz in Lettland verliere der Sender auch die Berechtigung, sein Programm in der Europäischen Union (EU) auszustrahlen, so die Begründung.
Bereits vor dem Entzug der Sendelizenz war Doschd ins Blickfeld der lettischen Medienaufsicht geraten. Insgesamt drei Mal soll er gegen die Regeln in Lettland verstoßen haben: So monierte die Behörde, dass Doschd sein Programm nicht wie gefordert auf Lettisch untertitelt. Der zweite ernsthafte Regelverstoß aus Sicht des Regulierungsbehörde: In einer Sendung wurde eine Landkarte gezeigt, welche die Krim als Teil Russlands darstellt, und die russischen Streitkräfte als „unsere Armee“ bezeichnet. Als Reaktion darauf wurde am 2. Dezember eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro verhängt. Doschd-Chefredakteur Tichon Dsjadko entschuldigte die Krim-Karte als bedauerlichen Fehler. Ein Mitarbeiter habe diese aus dem Internet heruntergeladen.
Als entscheidend erwies sich dann eine Sendung über die Lage russischer Mobilisierter. In der Live-Übertragung am 1. Dezember sagte Moderator Alexej Korosteljow „Ich hoffe, dass wir vielen Soldaten helfen konnten, etwa mit Ausrüstung oder mit elementarer Versorgung an der Front.“ Die Äußerung sorgte in für einen Aufschrei der Empörung. Doschd sammle Mittel für die russische Armee, so die Interpretation in Lettland. Der Inlandsgeheimdienst VDD kündigte eine Untersuchung an, jegliche Unterstützung der russischen Armee sei in Lettland strafbar. Doschd entließ daraufhin Moderator Alexej Korosteljow. Chefredakteur Tichon Dsjadko erklärte dessen Äußerungen als Versprecher und entschuldigte sich. Doschd habe stets über russische Kriegsverbrechen berichtet und Kreml-Propaganda aufgedeckt. Doschd habe nie die russische Armee unterstützt und habe das auch in Zukunft nicht vor. Alexej Korosteljow erklärte, seine Äußerung seien aus dem Zusammenhang gerissen und missverstanden worden. Er unterstütze den Krieg gegen die Ukraine nicht, wolle sich aber nicht gegen die Kündigung wehren, wenn dies den Sender retten würde. Drei Medienschaffende von Doschd protestieren gegen Korosteljows Entlassung mit ihrer Kündigung. Dessen ungeachtet wertete die lettische Medienaufsicht Korosteljows Äußerungen als Aufruf zur Unterstützung der russischen Streitkräfte – und damit als dritten Verstoß gegen lettische Mediengesetze.
Lettland hatte nach Einführung einer strengen Militärzensur im März etwa 250 russische Medienschaffende liberaler und oppositioneller Medien sowie deren Familien aufgenommen und damit ein deutliches Zeichen für die Pressefreiheit gesetzt. Die Regierung unterstützte die Journalistinnen und Journalisten auch in rechtlichen und finanziellen Fragen. Renommierte Medien wie Meduza und die neue Europaausgabe der Nowaja Gaseta berichten mittlerweile aus der lettischen Hauptstadt Riga. Doch vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges schlug den russischen Medienschaffen auch Misstrauen entgegen. Vor allem der lettische Geheimdienst warnte vor einer Sicherheitsgefahr. Der lettische Verteidigungsminister forderte auf Twitter, die Doschd-Redaktion solle ihre Arbeit aus Russland fortsetzen. Den Medienschaffenden sollte ihren Aufenthaltserlaubnisse entzogen werden. Regierungschef Krisjanis Karins kündigte dagegen an, im Exil lebende russische Journalisten auch weiterhin zu unterstützen. Allerdings müssten sich alle Medienschaffende an die in Lettland geltenden Gesetze halten.
Oppositionelle russische Journalistinnen und Journalisten und Medien protestierten gegen den Entzug der Lizenz in einem offenen Brief, den das ebenfalls in Lettland ansässige russische Exilmedium Meduza veröffentlichte. Unter der Parole der nationalen Sicherheit versetze Lettland der Redefreiheit einen schweren Schlag, heißt es darin. Mit dem Entzug der Lizenz unterstützten die lettischen Behörden den Kreml bei seinem Bemühen, Russlands unabhängige Medien vollständig zu zerstören. Doschd bezeichnete die Entscheidung der Medienbehörde als ungerecht und absurd und kündigte an, die Berichterstattung auf YouTube fortzusetzen. Der Sender kann gegen den Entzug der Sendelizenz klagen.
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