Deutschland 13.01.2017

Verfassungsbeschwerde eingereicht

© picture alliance/Ulrich Baumgarten

Ein Bündnis von Bürgerrechtsorganisationen und Journalisten hat Verfassungsbeschwerde gegen den „Datenhehlerei“-Paragrafen im Strafgesetzbuch eingelegt. Der von der großen Koalition neu geschaffene Straftatbestand (§ 202d StGB) stellt den Umgang mit „geleakten“ Daten unter Strafe, ohne für angemessenen Schutz der Presse zu sorgen. Damit kriminalisiert das Gesetz einen wichtigen Teil der Arbeit investigativer Journalisten und Blogger sowie ihrer Informanten und Helfer.

Die 2015 gegründete Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat die Verfassungsbeschwerde koordiniert und im Namen von netzpolitik.org, Reporter ohne Grenzen (ROG) sowie von sieben Journalisten und Bloggern eingereicht. Darunter sind die netzpolitik.org-Redakteure Markus Beckedahl und Andre Meister, die Investigativjournalisten Peter Hornung (NDR, Panama Papers) und Hajo Seppelt (ARD, Olympia-Doping) sowie die IT-Journalisten Holger Bleich, Jürgen Schmidt (beide vom Magazin c’t) und Matthias Spielkamp. Weitere Beschwerdeführer sind der Richter und GFF-Vorsitzende Dr. Ulf Buermeyer sowie ein Anwalt und ein IT-Experte, die jeweils regelmäßig investigativ arbeitende Medien beraten.

„Der Datenhehlerei-Paragraf eröffnet ein neues Einfallstor für Durchsuchungen von Redaktionen, die auf anderer Rechtsgrundlage aus guten Gründen für verfassungswidrig erklärt wurden“, sagte der GFF-Vorsitzende Buermeyer. „Das Gesetz ist so schlampig formuliert, dass es ein strafrechtliches Minenfeld für investigativ arbeitende Journalisten und ihre Helfer schafft. Das ist mit der Pressefreiheit nicht vereinbar.“

„Investigative Journalisten und Blogger dürfen nicht kriminalisiert werden, bloß weil sie ihren Job machen, mit 'Leaks' arbeiten und dadurch Machtmissbrauch oder Angriffe auf die Bürgerrechte zutage bringen“, sagte Markus Beckedahl, Chefredakteur von netzpolitik.org. „Statt die Pressefreiheit durch neue Straftatbestände wie die Datenhehlerei weiter auszuhöhlen, brauchen wir mehr Presserechte, aber diese auch für Blogger und vernetzte Redaktionen.“

„Diese absurde Vorschrift droht Whistleblower und Experten wie Juristen oder IT-Fachleute abzuschrecken, ohne deren Hilfe Journalisten und Blogger viele gesellschaftliche Missstände nicht aufdecken könnten“, ergänzte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wenn selbst eine gefestigte Demokratie wie Deutschland Journalisten zu Kriminellen erklärt, bloß weil sie mit durchgestochenen Daten arbeiten, ist das ein verheerendes internationales Signal.“

Die Beschwerde verfassten Prof. Dr. Katharina de la Durantaye (Humboldt-Universität zu Berlin), der Kölner Strafverteidiger Dr. Nikolaos Gazeas und Dr. Sebastian J. Golla (Johannes Gutenberg-Universität Mainz), unterstützt von Sebastian Thess (Humboldt-Universität zu Berlin). Teilnehmer der Humboldt Law Clinic Internetrecht (HLCI) haben im Vorfeld Recherchearbeit geleistet.

Pressefreiheit muss auch für Blogger, Bürgerjournalisten und Hilfspersonen gelten

Ziel der Verfassungsbeschwerde ist es, den Datenhehlerei-Paragrafen vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklären zu lassen. So sollen die Beschwerdeführer und mit ihnen alle Journalistinnen und Journalisten vor Strafverfolgung und insbesondere vor Ermittlungsmaßnahmen wie Redaktionsdurchsuchungen und Beschlagnahmen von Recherche-Materialien geschützt werden. Dadurch will das Bündnis nicht zuletzt verhindern, dass die neuen Vorschriften Informanten und andere journalistische Quellen einschüchtern und auf diese Weise investigative journalistische Recherchen behindern.

Die Beschwerdeführer erhoffen sich außerdem eine höchstrichterliche Klarstellung, dass der grundgesetzliche Schutz der Pressefreiheit auch für Blogger, Laienjournalisten und externe Hilfspersonen von Journalisten wie die klagenden IT-Experten und Juristen gilt. Ein klares Urteil in dieser Frage hätte auch eine internationale Ausstrahlungswirkung: Es wäre ein wichtiges Signal gegen die Bemühungen von Diktaturen und autoritären Regierungen, Bürgerjournalisten und Blogger bis in UN-Resolutionen hinein durch eine sehr enge Journalismus-Definition vom Schutzbereich der Pressefreiheit auszuklammern, um Informationen leichter kontrollieren zu können.

Bis zu drei Jahre Haft für „Handel“ mit rechtswidrig erlangten Daten

Der neue Straftatbestand ist seit dem 18. Dezember 2015 in Kraft; der Bundestag hatte ihn zwei Monate zuvor als § 202d StGB gut versteckt im Gesetzespaket zur Vorratsdatenspeicherung und ohne Debatte verabschiedet. Am 16. Dezember 2016 hat die GFF nun die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Finanziert wird sie von netzpolitik.org, Reporter ohne Grenzen sowie der GFF.

Der Datenhehlerei-Paragraf stellt den Umgang mit Daten unter Strafe, die jemand zuvor rechtswidrig erworben hat; es drohen bis zu drei Jahre Haft oder Geldstrafe. Die Norm richtet sich zwar der Absicht des Gesetzgebers nach in erster Linie gegen den Handel zum Beispiel mit gestohlenen Kreditkarten- oder Nutzerdaten. Aufgrund mangelnder Sorgfalt bei der Formulierung des Gesetzes erfasst sie darüber hinaus aber auch das Sich-Verschaffen, die Überlassung und Verbreitung elektronisch gespeicherter Daten, die von Hinweisgebern („Whistleblowern“) an Journalisten weitergegeben wurden.

Hinzu kommt eine Ergänzung in Paragraf § 97 der Strafprozessordnung. Danach begründet der Verdacht auf Datenhehlerei eine Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot im Zusammenhang mit dem journalistischen Zeugnisverweigerungsrecht. Dies eröffnet eine gefährliche Hintertür, um Redaktionen durchsuchen und dort gefundenes Material beschlagnahmen zu können.

Unzureichender Schutz für Informanten und Helfer von Journalisten

Damit greift die neue Strafvorschrift unverhältnismäßig in die Freiheit der journalistischen Recherche ein, indem sie den Umgang mit Materialien von Whistleblowern im Grundsatz unter Strafe stellt. Ausnahmen sieht sie dem Wortlaut des Gesetzes nur für Handlungen vor, die „ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen“. Dazu zählt das Gesetz insbesondere Handlungen „berufsmäßiger“ Journalisten und Journalistinnen.

Diese Ausnahmen sind schon für Journalisten lückenhaft, da sie nebenberufliche oder auch aus privatem Interesse handelnde Berufsjournalisten nicht einschließen. Noch unzureichender ist der Schutz für externe Experten wie Anwälte oder IT-Fachleute, wie sie von Journalisten bei der Sichtung und Bewertung geleakter Daten regelmäßig zu Rate gezogen werden.

Schwerer als die Gefahr einer tatsächlichen Verurteilung von Journalisten wegen des Entgegennehmens oder der Weitergabe geleakter Daten wiegt dabei das Risiko strafrechtlicher Ermittlungen bis hin zu Durchsuchungen: Sie würden das Vertrauensverhältnis zwischen Journalisten und ihren Informanten schwer beeinträchtigen und damit die journalistischen Recherchemöglichkeiten schwächen.

Diese einschüchternde Wirkung greift schon, ohne dass es bereits zu konkreten Ermittlungen gekommen wäre. Allein die Möglichkeit von Durchsuchungen und Beschlagnahmen führt dazu, dass Informationsquellen für Journalisten versiegen und dass die Arbeit mit zugespielten Informationen erschwert wird. Denn schon jetzt weigern sich Informanten, geleaktes Material zu übergeben und damit einer unabhängigen Prüfung zugänglich zu machen. Ebenso sind beispielweise externe IT-Experten schwerer als zuvor zur Auswertung zugespielter Daten zu gewinnen, weil sie Strafverfolgung fürchten. 

Beispiele: Recherchen zu Geheimdiensten, Panama Papers, Olympia-Doping

Die Beschwerdeführer machen die Gefahr geltend, sich oder ihre Informanten und Helfer durch den Datenhehlerei-Paragrafen bei künftigen typischen Recherchen dem Risiko einer Strafverfolgung auszusetzen. So thematisieren und veröffentlichen die netzpolitik.org-Redakteure Markus Beckedahl und Andre Meister regelmäßig Dokumente zur Arbeit deutscher und internationaler Geheimdienste, darunter auch Verschlusssachen etwa zur Arbeit von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz.

Der NDR-Journalist Peter Hornung arbeitete intensiv an der Auswertung der Panama Papers zu den Briefkastenfirmen von Politikern und Prominenten mit und koordinierte zusammen mit zwei Kollegen die Hörfunkberichterstattung darüber für die gesamte ARD. Heute arbeitet er regelmäßig mit „Leaks“ zum VW-Abgas-Skandal. Der investigative Sportjournalist Hajo Seppelt gab durch seine Recherchen und Berichte die entscheidenden Anstöße zur Aufdeckung des systematischen russischen Staatsdopings.

Jürgen Schmidt, Redakteur der Computerzeitschrift c’t und des Online-Portals heise Security, deckte etwa gravierende Sicherheitslücken beim Online-Banking eines Geldinstituts sowie bei der Abwicklung von Kreditkartenzahlungen auf. Bei derartigen Recherchen ist er auf ein Netz externer IT-Experten angewiesen. Der ebenfalls klagende Rechtsanwalt wird von Redaktionen regelmäßig zur rechtlichen Bewertung derartiger Vorgänge herangezogen, der IT-Experte zur technischen Analyse und Auswertung.

Wären die Vorschriften zur Datenhehlerei zur Zeit der jeweiligen Recherchen bereits in Kraft gewesen, hätten die Beschwerdeführer in mehreren dieser Fälle den Tatbestand wohl erfüllt. Dagegen machen sie in ihrer Verfassungsbeschwerde Verletzungen der Presse- und Rundfunkfreiheit, des allgemeinen Gleichheitsgebots, der Freiheit der Berufsausübung und des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes geltend.



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