Israel / Palästinensische Gebiete / Libanon 05.11.2024

Fragen und Antworten zum Krieg im Nahen Osten

Eine Menschenmenge steht um zwei aufgebahrte Menschen, auf denen jeweils ein blauer Pressehelm liegt.
Die Journalisten Said al-Tawil und Mohammed Subh werden am 10. Oktober 2023 in Gaza beerdigt. © picture alliance / AA | Ashraf Amra

Kein anderer Krieg im 21. Jahrhundert hat für Journalistinnen und Journalisten so tödlich begonnen wie der zwischen Israel und der Hamas. Reporter ohne Grenzen (RSF) beklagt mehr als 140 getötete Medienschaffende, die meisten von ihnen wurden bei Angriffen des israelischen Militärs getötet.

Warum ist das so? Können Medien im Gazastreifen überhaupt noch sicher berichten, und wie glaubwürdig sind ihre Informationen? Wie setzt sich RSF für die Sicherheit der Medienschaffenden ein? Fragen und Antworten gibt es in diesem regelmäßig aktualisierten Beitrag.

Wofür setzt sich Reporter ohne Grenzen ein?

RSF fordert

  • den Schutz aller Journalistinnen und Journalisten, etwa durch die Einrichtung von Schutzzonen, in denen sie materielle, medizinische und psychologische Hilfe bekommen, einhergehend mit der Verpflichtung seitens der Kriegsparteien, diese Zonen nicht zu beschießen oder zu bombardieren;
  • dass der Internationale Strafgerichtshof die RSF-Strafanzeigen zu Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten in den Palästinensischen Gebieten und Israel berücksichtigt und dazu ermittelt;
  • dass die israelischen Behörden internationalen Medienschaffenden den Zugang in den Gazastreifen ermöglichen sowie verletzten oder gefährdeten Medienschaffenden die Ausreise gestattet;
  • dass die israelischen Behörden die Einfuhr von schusssicheren Westen und Helmen, Erste-Hilfe-Kits sowie technischer Unterstützung in Form von Akkus oder Stromgeneratoren erlauben.

Warum ist dieser Krieg für Medienschaffende so gefährlich?

Verantwortlich für die vielen getöteten Medienschaffenden ist vor allem die Art der israelischen Kriegsführung. Das israelische Militär spricht zwar von gezielten Schlägen gegen die Hamas und deren Infrastruktur, allerdings werden bei den Bombardierungen sehr viele Zivilistinnen und Zivilisten, darunter viele Medienschaffende, getötet. RSF und anderen Organisationen liegen zudem Informationen vor, die nahelegen, dass das israelische Militär Journalistinnen und Journalisten gezielt ins Visier nimmt. Der Gazastreifen ist abgeriegelt, kein Journalist und keine Journalistin kann das Gebiet ohne Genehmigung verlassen.

Wie viele Medienschaffende sind getötet worden?

Seit dem Massaker der Hamas und dem Beginn der israelischen Bombardierungen sind nach RSF-Recherchen insgesamt mehr als 140 Medienschaffende im Gazastreifen, vier in Israel und drei im Libanon getötet worden. In 38 Fällen konnte RSF mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass Medienschaffende im Zusammenhang mit ihrer journalistischen Arbeit getötet wurden – 34 im Gazastreifen, drei im Libanon und einer in Israel. Diese Getöteten führt RSF gemäß dem Mandat der Organisation im RSF-Barometer der Pressefreiheit (Stand der Zahlen: 7. November 2024). RSF veröffentlicht Informationen, sobald sie verifiziert werden konnten. Angesichts der katastrophalen Lage vor Ort ist das teils sehr langwierig.

Wie viele Journalistinnen und Reporter verletzt oder verwundet wurden, erhebt RSF nicht, dokumentiert aber Berichte dazu. So wurde etwa die langjährige RSF-Korrespondentin in Gaza, Ola al-Zaanoun, am Bein verletzt, als sie im Süden des Gazastreifens vor einem israelischen Luftangriff floh.

Was ist über die Getöteten bekannt?

Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Medienschaffenden ist erschreckend hoch – das Gebiet ist bei weitem die gefährlichste Region für Medienschaffende weltweit. Am 22. Oktober kam der Fotojournalist Ruschdi Sarradsch, Mitbegründer der Presseagentur Ain Media und Kontaktperson für verschiedene internationale Medien, bei einem israelischen Luftangriff auf sein Wohnhaus ums Leben. In Gaza-Stadt tötete am 19. November eine israelische Rakete den Journalisten Bilal Jadallah. Er war Leiter des Gaza Press House, einer Organisation, die jungen Journalistinnen und Reportern den Start in ihren Beruf erleichterte und sie unterstützte. Einer der in Israel getöteten Medienschaffenden war der Ynet-Fotograf Roee Idan. Er wurde am 7. Oktober von Hamas-Terroristen ermordet, während er vor seinem Haus filmte. An diesem Tag wurden ein weiterer israelischer Journalist sowie zwei israelische Journalistinnen getötet. Issam Abdallah, ein libanesischer Journalist der Nachrichtenagentur Reuters, wurde am 13. Oktober durch einen mutmaßlich gezielten israelischen Luftschlag an der libanesisch-israelischen Grenze getötet.

Das sind nur vier von sehr vielen weiteren Fällen. Wir veröffentlichen Informationen, sobald wir sie verifizieren konnten. Angesichts der katastrophalen Lage vor Ort, mit Einflussnahmen und Propaganda verschiedener Art sowie häufigen Ausfällen der Internet- und Telefonverbindungen, ist das langwieriger als sonst.

Wie können Journalistinnen und Journalisten im Gazastreifen derzeit berichten?

Es gibt noch immer Journalistinnen und Reporter vor Ort, die berichten. Ihre Arbeit wird jedoch von mehreren Aspekten erschwert: Von den zahlreichen, lebensbedrohlichen israelischen Luftangriffen, den immer wieder blockierten Telefon- und Internetverbindungen oder von den Problemen und der Angst, die ein Leben im Krieg mit sich bringt. Die häufigen Strom- und Internetausfälle und die exorbitant hohen Benzinpreise erschweren es den Medienschaffenden, zu telefonieren, ihre Telefone und Kameras zu laden, Auto zu fahren und mit Quellen oder ihren Redaktionen zu sprechen.

Viele Medienschaffende sind, wie der größte Teil der Zivilbevölkerung, Opfer von Vertreibung geworden. Sie leben in Behelfsunterkünften, Autos oder Zelten; häufig in der Nähe der Krankenhäuser im Süden des Gazastreifens, um an Strom zu kommen. Auch im Süden leben sie jedoch mit der Angst, getötet zu werden oder geliebte Menschen zu verlieren, wie im Fall des al-Dschasira-Korrespondenten Wael al-Dahdouh, der seine Frau, zwei Kinder und sein Enkelkind bei einem israelischen Luftangriff auf das Geflüchtetenlager Nuseirat verloren hat. Später wurde auch Waels Sohn Hamza al-Dahdouh getötet, der ebenfalls als Journalist arbeitete. Wael al-Dahdouh konnte mittlerweile nach Katar ausreisen, wo RSF ihn und weitere palästinensische Medienschaffende getroffen hat. Ihre Berichte sind erschütternd.

In Gaza hat die Hamas die Arbeit unabhängiger und kritischer Medien schon in der Vergangenheit immer wieder stark eingeschränkt, auch gewaltsam, und gezielt Propaganda verbreitet. RSF hat dieses Vorgehend wiederholt kritisiert. Dennoch gab es zumindest bis zum 7. Oktober eine durchaus lebhafte Zivilgesellschaft. Pauschale Urteile, sämtliche Medien stünden unter Kontrolle der Hamas oder arbeiteten sogar mit ihr zusammen, hält RSF für unzutreffend und für die konkret Genannten lebensgefährlich. Diverse Anschuldigungen, auch von hochrangigen Mitgliedern israelischer Behörden, in diese Richtung haben sich bislang nicht erhärtet. RSF fordert die israelische Seite auf, Versuche, von ihnen getötete palästinensische Medienschaffende nachträglich in die Nähe der Hamas zu rücken, zu unterlassen bzw. dringend mit glaubwürdigen Informationen zu belegen. Solche Kampagnen gefährden Journalistinnen und Journalisten insgesamt und höhlen das Vertrauen in unabhängige Medien aus.

Seit Kriegsbeginn ist eine vierstellige Zahl von Medienschaffenden aus aller Welt nach Israel geflogen, um zu berichten. Sämtliche großen Medien und Nachrichtenagenturen sind vor Ort. Allerdings kommt niemand von ihnen ohne weiteres in den Gazastreifen hinein. Erstmalig am 4. November 2023 gestattete das israelische Militär Medienschaffenden, die Streitkräfte “embedded” bei ausgewählten Einsätzen im Gazastreifen zu begleiten, unter der Bedingung, das Rohmaterial vor Veröffentlichung einsehen zu dürfen.

Viele Journalistinnen und Journalisten versuchen, den Gazastreifen zu verlassen. Häufig sind Ausreisen aber langwierig zu organisieren, teuer und letztlich auf die Bestätigungen der israelischen COGAT-Behörde angewiesen. Das haben nicht zuletzt zwei palästinensische Mitarbeiter der ARD erfahren.

Wie steht es um die Pressefreiheit in Israel und im Westjordanland?

Seit dem Angriff der Hamas häufen sich Drohungen und Gewalttaten gegen Medienschaffende, die von Israel aus über den Krieg berichten. Betroffen sind vor allem arabische und palästinensische Medienschaffende, aber auch Reporterinnen und Reporter ausländischer Medien und von Zeitungen, die in der israelischen Öffentlichkeit als kriegskritisch gelten, wie die linke israelische Tageszeitung Haaretz.

Zudem kam es vermehrt zu Schikanen internationaler und lokaler Medienteams durch mutmaßlich radikale, bewaffnete Siedler. Anfang November waren zum Beispiel mehrfach ein Team der ARD, aber auch Medienschaffende von CNN und ORF betroffen. Zeitweise hielten die israelischen Sicherheitskräfte 31 palästinensische Medienschaffende fest, die meisten von ihnen ohne konkrete Anklage.

Auch vor dem 7. Oktober standen Medienschaffende im Westjordanland Einschränkungen sowohl durch die Palästinensische Autonomiebehörde als auch durch die israelischen Besatzungstruppen gegenüber. In Israel selbst konnten Journalistinnen und Reporter bislang weitgehend frei berichten; allerdings hat die israelische Regierung am 5. Mai den katarischen Sender al-Dschasira verbieten lassen – der Sender sei ein Propagandaorgan für die Hamas. Das Gesetz war schon Monate zuvor angeregt worden. RSF kritisiert das Verbot als Einschränkung der Pressefreiheit, welche die Perspektiven auf Israel, Gaza und das Westjordanland weiter verengen wird, und befürchtet einen Präzedenzfall auch für andere Medien.

Wie entwickelt sich die Situation im Libanon?

Auch im Libanon herrscht nun Krieg, auch hier riskieren Journalistinnen und Reporter an der Front ihr Leben oder werden bedroht. Bereits im Oktober und November 2023 waren drei Medienschaffende bei ihrer Arbeit durch israelische Angriffe getötet worden. Am 25. Oktober 2024 wurden bei einem Angriff auf ein von Medien genutztes Gästehaus im Dorf Hasbaya im Süden des Libanons weitere Journalisten getötet. RSF verurteilt den Angriff auf die Presse als mögliches Kriegsverbrechen, denn die israelische Armee muss gewusst haben, dass sich in der Anlage Medienschaffende aufhalten.

Was tut RSF für die Sicherheit der Medienschaffenden?

RSF hat am 31. Oktober beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Strafanzeige eingereicht, damit dieser mögliche Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende im Gazastreifen und Israel untersucht. Die RSF-Strafanzeige nennt acht palästinensische Journalisten, die bei der Bombardierung ziviler Gebiete in Gaza durch Israel getötet wurden, sowie einen israelischen Journalisten, der am 7. Oktober von der Hamas ermordet wurde. Nach Ansicht von RSF stellen diese Angriffe Kriegsverbrechen dar und rechtfertigen eine Untersuchung durch den IStGH. In der Strafanzeige wird auch die vorsätzliche vollständige oder teilweise Zerstörung der Gebäude von mehr als 50 Medieneinrichtungen im Gazastreifen aufgeführt. 

Eine zweite Strafanzeige reichte RSF am 22. Dezember ein. Sie betrifft den Tod von sieben palästinensischen Journalisten, die zwischen 22. Oktober und 15. Dezember im Gazastreifen getötet wurden. Nach den von RSF zusammengetragenen Informationen haben die israelischen Streitkräfte sie möglicherweise bewusst wegen ihrer journalistischen Tätigkeit angegriffen – das wäre eine vorsätzliche Tötung von Zivilisten. In einer dritten Strafanzeige vor dem IStGH forderte RSF den Gerichtshof am 24. Mai 2024 auf, Verbrechen gegen mindestens neun palästinensische Medienschaffende zwischen dem 15. Dezember 2023 und 20. Mai 2024 zu untersuchen.In einer vierten Strafanzeige vor dem IStGH dokumentiert RSF die Schicksale weiterer neun palästinensischer Journalisten; acht von ihnen wurden durch das israelische Militär getötet, einer verletzt..

Das Humanitäre Völkerrecht legt Regeln für bewaffnete Konflikte fest. Kriegsverbrechen sind schwere Verletzungen des Humanitären Völkerrechts, insbesondere der Genfer Konventionen; definiert sind sie in §§ 8 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB), bzw. in Art. 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut). Journalistinnen und Journalisten sind nach dem Humanitären Völkerrecht zwar in erster Linie Zivilistinnen und Zivilisten, sind aber wegen der Nähe zum Geschehen – und weil manchmal ganz konkret ihre Arbeit verhindert werden soll – besonders gefährdet. Sollte der IStGH zu Angriffen gegen Medienschaffende ermitteln, wäre das ein erster Schritt hin zu einem auch rechtlich besseren Schutz von Medienschaffenden in bewaffneten Konflikten. Am 17. November bestätigte der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, er habe zur Situation im Gazastreifen, im Westjordanland und in Ostjerusalem eine Untersuchung eingeleitet, die die Ereignisse nach dem 7. Oktober miteinbezieht. Am 5. Januar schrieb Khan in einer Mitteilung an RSF, Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten seien Teil der Ermittlungen. RSF fordert den Chefankläger weiter auf, den Tod aller Journalistinnen und Reporter zu untersuchen, die seit dem 7. Oktober im Gazastreifen getötet wurden.

RSF setzt sich auf verschiedenen Wegen für die Sicherheit der Journalistinnen und Journalisten vor Ort ein. Mehr Infos hier auf unserer Spendenseite Hilfe für Gaza.

Presseschau

Wir äußern uns regelmäßig in deutschsprachigen Medien zu aktuellen Themen und Debatten rund um den Schutz von Journalistinnen und Journalisten in Gaza und der Region. Hier eine Auswahl von Beiträgen in chronologischer Reihenfolge:



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