Feinde der Pressefreiheit
Zum UN-Welttag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten 2016 hat Reporter ohne Grenzen eine neue Liste der „Feinde der Pressefreiheit“ veröffentlicht. Sie umfasst 35 Staats- und Regierungschefs, Extremisten- und Verbrecherorganisationen sowie Geheimdienste. Diese verkörpern in besonders drastischer Weise die rücksichtslose Unterdrückung der Pressefreiheit durch Zensur, willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord.
Neu auf der Liste stehen unter anderem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der ägyptische Präsident Abdelfattah al-Sisi und Thailands Junta-Chef Prayut Chan-o-cha. Zu den weiteren Neuzugängen gehören etwa der burundische Präsident Pierre Nkurunziza, Saudi-Arabiens König Salman und Venezuelas Präsident Nicolas Maduro, außerdem die Huthi-Rebellen im Jemen, die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ und die Islamistengruppe Ansarullah Bangla Team in Bangladesch.
„Die vielen neuen Namen unter den Feinden der Pressefreiheit zeigen, dass Autokraten und Extremisten jeder Couleur immer noch sicher sein können, mit der Unterdrückung freier Medien straflos davonzukommen“, sagte Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen. „Mancher Machthaber lässt seit Jahrzehnten ungestraft kritische Journalisten verfolgen, foltern oder ermorden. Die Vereinten Nationen sollten endlich einen Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten einsetzen, um wirksam gegen diesen schändlichen Zustand vorzugehen.“
Kampagne gegen Straflosigkeit
Der Welttag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten macht auf Beschluss der UN-Vollversammlung jährlich am 2. November darauf aufmerksam, dass die mangelnde Verfolgung von Gewalttaten eines der größten Hindernisse für einen besseren Schutz von Medienschaffenden bei ihrer Berufsausübung ist.
Reporter ohne Grenzen wirbt bei den Vereinten Nationen intensiv um die Einsetzung eines an zentraler Stelle im UN-Apparat angesiedelten Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten, um diesen seit vielen Jahren bekannten Missstand endlich effektiv zu bekämpfen. Der Sonderbeauftragte sollte unter anderem als Frühwarnsystem für UN-Organe wie den Weltsicherheitsrat fungieren, wenn Staaten ihre völkerrechtlichen Pflichten zum Schutz von Medienschaffenden nicht einhalten. Außerdem sollte er Übergriffe gegen Journalisten untersuchen, Schutz- und Präventionsmechanismen vorschlagen und eine einheitliche Strategie der UN gegen das Problem der Straflosigkeit entwickeln.
Die Liste der „Feinde der Pressefreiheit“ erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie prangert jedoch besonders gravierende Beispiele für die Straflosigkeit an, die die politisch Verantwortlichen für systematische Verbrechen an Journalisten vielerorts genießen. Reporter ohne Grenzen hatte die Liste zuletzt zum Welttag der Pressefreiheit 2013 umfassend aktualisiert.
Erdogan, Sisi, Prayut und Nkurunziza unter den neuen Feinden der Pressefreiheit
Die Techniken der Unterdrückung sind vielfältig. In der Türkei kontrolliert Präsident Erdogan nach mehreren Verhaftungs- und Schließungswellen im Zuge des derzeitigen Ausnahmezustands einen Großteil der relevanten Nachrichtenmedien. Derzeit sind mindestens 130 Journalisten im Gefängnis; mindestens 140 Medien wurden geschlossen. In Ägypten stellt das Regime von Präsident Sisi Journalisten wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Verbindungen zur verbotenen Muslimbruderschaft pauschal unter Terrorverdacht. Mehrere wurden in grotesken Massenprozessen zu lebenslangen Haftstrafen oder gar zum Tod verurteilt; andere sind seit mehr als drei Jahren ohne Urteil in Haft.
In Thailand erleben die Medien seit dem Militärputsch von 2014 die schlimmste Repressionswelle seit den 1960er Jahren. Kritische Journalisten werden in Umerziehungslager gesperrt oder bedroht, Selbstzensur ist die Norm. Als Totschlagargumente dienen „nationale Sicherheit“ oder „Frieden und Ordnung“. In Burundi geht Präsident Nkurunziza seit Beginn der politischen Krise um seine Amtszeitverlängerung im vergangenen Jahr mit Justizschikanen, willkürlichen Verhaftungen, Veröffentlichungs- und Sendeverboten gegen unbotmäßige Journalisten vor. Zum Repertoire seiner Sicherheitskräfte gehören auch Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen.
In Saudi-Arabien hat sich der neue König Salman bruchlos in die Tradition der umfassenden Medienkontrolle der Al-Saud-Dynastie eingefügt. Für Kritik an Menschenrechtsverletzungen oder an den Institutionen der religiös legitimierten Monarchie müssen Blogger und Journalisten unverändert mit drakonischen Strafen rechnen. In Venezuela sind unter Präsident Maduro wichtige oppositionelle Medien von regierungsnahen Unternehmen aufgekauft und kritische Zeitungen durch die Verknappung von Druckpapier zum Verstummen gebracht worden. Veröffentlichungen, die die „legitim konstituierte Macht in Frage stellen“, wurden per Gesetz unter Strafe gestellt.
Islamisten- und Verbrecherorganisationen
Neben vielen Staats- und Regierungschefs gehören sowohl nichtstaatliche Gruppen als auch staatliche Institutionen zu den „Feinden der Pressefreiheit“: Im Jemen haben die Huthi-Rebellen wiederholt Redaktionen und Fernsehsender gestürmt. Zahlreiche Journalisten sind unter ihrer Herrschaft verschwunden oder entführt und gefoltert worden. Mit Drohungen und Anschlägen, Entführungen und demonstrativ grausamen Morden an Journalisten setzt der „Islamische Staat“ seine Strategie der umfassenden Medienkontrolle durch – und das nicht nur in den von ihm kontrollierten Gebieten in Syrien und dem Irak, sondern auch in Teilen von Afghanistan und Libyen.
In Bangladesch brandmarkt die Islamistengruppe Ansarullah Bangla Team säkulare Blogger und Autoren als Gotteslästerer und ruft zu Ihrer Ermordung auf; mehrere wurden schon bestialisch niedergemetzelt. Verbrecherkartelle wie Los Zetas haben Mexiko zu einem der gefährlichsten Länder Amerikas für Journalisten gemacht. Dank korrupter Polizei- und Justizbehörden können sie unliebsame Journalisten straflos durch Drohungen, Gewaltverbrechen und Entführungen einschüchtern.
Langjährige Diktatoren und ihre Helfer
Daneben finden sich auf der Liste viele langjährige „Feinde der Pressefreiheit“. Zu ihnen gehören etwa Eritreas Präsident Isaias Afewerki, Sudans Präsident Omar al-Baschir, der Chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping und Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un. Unverändert katastrophal ist die Situation unabhängiger Journalisten auch unter Kubas Präsident Raul Castro, Singapurs Ministerpräsident Lee Hsien Loong, Russlands Präsident Wladimir Putin oder Syriens Präsident Baschar al-Assad.
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