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Ägypten

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 170 von 180
Baerbock trifft ägyptischen Präsidenten 18.07.2022

Wie Starjournalisten al-Sisis Drecksarbeit machen

Freundlicher Empfang im Jahr 2019: Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi. © picture alliance / photothek / Thomas Imo

Sie diffamieren, schwärzen an, bringen ihre Kolleginnen und Kollegen ins Gefängnis: In Ägypten machen sich regierungsnahe Fernsehmoderatoren zu Komplizen der Regierung. Als Marionetten des diktatorischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi verleumden und diskreditieren sie die wenigen verbliebenen kritischen Medienschaffenden im Land. Das zeigt Reporter ohne Grenzen (RSF) in einem 27-seitigen Bericht mit dem Titel „Sisis Marionetten“. Es ist eine koordinierte Strategie, die zu einem Klima beiträgt, in dem unabhängige Medienschaffende wie der Blogger Alaa Abdel Fattah öffentlich abgeurteilt und so vom Regime drakonisch bestraft werden können.

Im Rahmen des Petersberger Klimadialogs am 18. und 19. Juli wird Präsident al-Sisi auch deutsche Spitzenpolitiker treffen, unter anderem Annalena Baerbock. RSF erwartet von der deutschen Außenministerin, dass sie ihn in öffentlichen wie auch persönlichen Gesprächen dazu drängt, die Verfolgung von Journalistinnen und Reportern umgehend einzustellen. Derzeit sind in Ägypten mindestens 23 Medienschaffende in Haft, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben.

„In Ägypten werden kritische Stimmen systematisch mundtot gemacht“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Unabhängige Journalistinnen und Journalisten riskieren ständig, des Terrors verdächtigt und ins Gefängnis gesteckt zu werden. Präsident Abdel Fattah al-Sisi redet immer wieder davon, dass sein Land die Menschenrechte achte. Daran muss er sich messen lassen, und daran muss ihn Außenministerin Annalena Baerbock nun persönlich erinnern.“

Angriffe entfalten eine ungeheure Wucht

Der neue RSF-Bericht beleuchtet einen blinden Fleck in der ägyptischen Medienlandschaft und zeigt, wie das Regime bekannte Fernsehpersönlichkeiten bewusst zu Komplizen macht. Denn deren Anschuldigungen stammen direkt aus dem Repertoire des Regimes: Unabhängige Medienschaffende seien „ausländische Agentinnen“, „Anhänger der Muslimbruderschaft“ oder pauschal „unmoralische Menschen“, welche „die ägyptische Nation verraten“.

Politische Talkshow sind in Ägypten sehr beliebt. Weil die Angriffe der Moderatoren zur besten Sendezeit und vor einem Millionenpublikum stattfinden, entfalten sie eine ungeheure Wucht. Sie untergraben die berufliche Integrität, oder gehen unter die Gürtellinie und zielen auf angebliches moralisches Fehlverhalten. Häufig wenden sich Freundinnen oder Bekannte aus dem persönlichen Umfeld und journalistische Kontakte ab; die Betroffenen fangen an, sich selbst zu zensieren, wechseln den Beruf oder fliehen ins Exil.

Wie die Journalistin Basma Mostafa: Sie arbeitete über Jahre hinweg investigativ zu hochkritischen Themen wie der brutalen Ermordung des italienischen Studenten Giulio Regeni im Jahr 2016. Das machte sie zum Ziel von Diffamierungskampagnen. „Keiner meiner Freundinnen und Freunde ignorierte mich komplett, aber sie baten mich zum Beispiel, in den sozialen Medien nicht gemeinsam auf Fotos mit mir aufzutauchen. Auch wenn ich es heute verstehe, hat mich das anfangs sehr verletzt.“ Nachdem sie mehrfach verhaftet worden war, floh Mostafa schließlich und lebt mit Unterstützung von Reporter ohne Grenzen seit 2021 in Deutschland.

Enge Verflechtungen zu Politik und Geheimdiensten

„Sisis Marionetten“ zeigt, dass mehrere dieser Fernsehmoderatoren enge Verbindungen zu den ägyptischen Geheimdiensten haben. Naschat al-Dihi etwa moderiert ein politisches Format im Sender Ten TV, deren Direktor er auch ist. Al-Dihi ist berüchtigt dafür, gezielt Falschinformationen zu streuen. Seine bevorzugten Ziele sind die bekannten Gesichter der unabhängigen, fast nur noch in Kairo existierenden Medienlandschaft. Über das Portal MadaMasr und Chefredakteurin Lina Attalah behauptete er: „Sie veröffentlichen falsche Berichte und schicken sie dann ans Ausland, um von dort Geld zu bekommen.“

MadaMasr veröffentlicht seit der Gründung im Jahr 2013 auf Arabisch und Englisch. In Ägypten selbst ist die Website seit Jahren blockiert. Über den Journalisten und Menschenrechtsverteidiger Hossam Bahgat behauptete al-Dihi, er würde mit „dem Westen“ unter einer Decke stecken und gegen Ägypten agitieren. Prompt nahm der Moderator Muhammad al-Baz in seiner Talkshow bei al-Nahar TV den erfundenen Vorwurf auf und verunglimpfte Bahgat als „verdächtige Figur mit einem Netzwerk verdächtiger internationaler Kontakte“.

Auch Ahmad Musa hetzt regelmäßig gegen Kolleginnen und Kollegen. Musa ist aufgrund seiner enormen Popularität die wohl bekannteste und damit auch gefährlichste Marionette des Präsidenten al-Sisi. Er stammt aus einer politisch stark vernachlässigten Gegend in Oberägypten, arbeitete sich bei der staatlichen Tageszeitung al-Ahram nach oben und besetzt seit al-Sisis Militärputsch im Jahr 2013 einen festen Platz in den Fernsehzimmern der Nation. Hartnäckig halten sich Vorwürfe, Musa habe während seiner Zeit bei al-Ahram Kolleginnen und Kollegen ausspioniert – seine Verbindungen zu Geheimdienstoffiziellen dürften ebenfalls aus dieser Zeit stammen.

Aggressive Texte und Posts im Minutentakt

Im Ägypten des Jahres 2022 ist Ahmad Musa ein Meinungsführer, der seine herausgehobene Position in den Dienst des autoritären Regimes stellt. Seine bei Sada al-Balad ausgestrahlte TV-Sendung 'Ala Masouliti („Auf meine Verantwortung“) wird von Millionen verfolgt. Was er sagt, hat Wirkung. Auch auf Medienschaffende, die wie Yosri Fouda von al-Dschasira die Linie der ägyptischen Regierung in Frage stellen. Musa hat Fouda mehrfach persönlich attackiert: „Dies ist ein Mann, der den ägyptischen Staat und seine Institutionen hasst“, sagte er zur besten Sendezeit. „Es gab keinen Zeitpunkt, an dem Yosri Fouda die Armee und seine Befehlshaber nicht angegriffen hat.“ Wenn der Star-Moderator Ahmad Musa solche Sätze sagt, werden sie innerhalb weniger Stunden in sämtlichen Medien wiederholt, werden die ins Visier genommenen Journalistinnen und Reporter von allen Seiten mit aggressiven Texten und Posts überschwemmt.

Welche Wirkung das zeigt, hat der Dokumentarfilmer Muhammad Akl erlebt. Nachdem er ins Visier einer der Marionetten geraten war, habe kaum noch eine Quelle mit ihm sprechen wollen. „Manchmal habe ich Quellen über eine Mittelsperson ansprechen lassen und sie stimmten einer Zusammenarbeit zu. Als ich dann persönlich mit ihnen sprechen wollte, änderten sie ihre Meinung.“

Ägypten ist eines der größten Gefängnisse für Journalistinnen und Journalisten weltweit. Das liegt an der drakonischen Terrorgesetzgebung, auf deren Grundlage kritische Medienschaffende regelmäßig angeklagt und zu langen Haftstrafen verurteilt werden. Zensur, willkürliche Festnahmen oder gestürmte Redaktionsbüros gehören für ägyptische Reporterinnen und Journalisten zum traurigen Alltag.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen fällt Ägypten seit Jahren Schritt für Schritt ab und steht aktuell auf Platz 168 von 180 Staaten.



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