Aserbaidschan
09.06.2015
DOSB muss Freilassung von Journalisten fordern
Reporter ohne Grenzen fordert den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) dazu auf, vor den am 12. Juni beginnenden Europaspielen in Aserbaidschan die Freilassung aller dort inhaftierten Journalisten zu verlangen. Sowohl der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Menschenrechtslage in Aserbaidschan, Michael Frost, als auch der Sprecher der Athletenkommission des DOSB, Christian Schreiber, forderten in den vergangenen Tagen die Freilassung der politischen Gefangenen in Aserbaidschan. Die Führungsspitze des DOSB hat die Äußerungen bislang nur begrüßt. Mindestens acht Medienschaffende und vier Online-Aktivisten sind in dem autoritär regierten Land derzeit in Haft.
„Als Vorstandsvorsitzender des DOSB muss Michael Vesper jetzt ein klares Bekenntnis zu Meinungs- und Pressefreiheit ablegen und die Freilassung aller inhaftierten Journalisten und politischen Gefangenen klar und offen einfordern“, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Wolkige Äußerungen reichen nicht aus. Wir erwarten, dass der DOSB unmissverständlich Kritik daran äußert, dass Aserbaidschan als Gastgeberland der Europaspiele die Pressefreiheit derart mit Füßen tritt und zahlreiche Journalisten mit fadenscheinigen Anschuldigungen hinter Gitter gebracht hat.“
ROG hat auch die großen internationalen Sponsoren wie McDonald’s, Coca-Cola, Motorola, Nestlé oder Procter & Gamble aufgerufen, die Freilassung aller Journalisten zu fordern.
Zwei Aserbaidschan-Anträge im deutschen Bundestag
Der deutsche Bundestag wird sich am kommenden Freitag, dem Eröffnungstag der Spiele, mit der Lage der Menschenrechten in Aserbaidschan befassen: Auf der Tagesordnung des Bundestages stehen zwei Anträge: Ein Antrag der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Europa-Spiele in Aserbaidschan für die Einhaltung der Menschenrechte nutzen“ sowie ein Antrag von Bündnis90/Die Grünen mit dem Titel „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Aserbaidschan auch bei den Europaspielen 2015 einfordern“.
Die Europaspiele ähneln den olympischen Spielen, sind jedoch regional begrenzt, auch werden weniger sportliche Disziplinen ausgetragen. Aserbaidschan hatte die Idee zu der Großveranstaltung und übernimmt für die anreisenden Teams den Großteil der Kosten.
Ausländische Journalisten ermahnt
Bereits vor der offiziellen Eröffnung wurden die zu den Spielen anreisenden Journalisten gewarnt: Im April 2015 ließ das Außenministerium in Baku verlauten, ausländische Journalisten, die „gegen die Interessen“ Aserbaidschans berichteten oder „verzerrte Informationen“ verbreiteten, müssten mit der sofortigen Entziehung ihrer Akkreditierung rechnen. Zudem werde man sie „mit der ganzen Härte des Gesetzes“ verfolgen.
So gut wie alle kritischen Journalisten inhaftiert
So gut wie alle unabhängigen Journalisten und Oppositionsmedien wurden während der vergangenen Monate zum Schweigen gebracht. So wurde am 5. Dezember 2014 die bekannte Investigativjournalistin Khadija Ismajilowa, die unter anderem für Recherchen in höchsten Regierungskreisen bekannt ist, verhaftet. Seither sitzt sie in Untersuchungshaft. In einer Protestmail-Aktion an den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyew fordert ROG die Freilassung der Journalistin.
Weitere Journalisten wurden verhaftet, bedroht oder verprügelt. Am 28. November wurde der unabhängige Reporter und Blogger Turkhan Karimow vor seinem Haus in Baku abgefangen und auf eine Polizeistation geschleppt, wo man ihn zwei Stunden lang verhörte. Am 29. August wurde Azadliq-Reporter Seymour Haziyew nach einer Handgreiflichkeit mit einem Unbekannten verhaftet und im Januar wegen Rowdytums zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Am 22. August 2014 schlugen Unbekannte den unabhängigen Journalisten Ilgar Nasibow in der Autonomen Republik Nachitschewan im Westen Aserbaidschans brutal zusammen – Nasibows Ehefrau vermutet die Behörden hinter dem Anschlag. Am 30. Juli 2014 ließen die Behörden die Menschenrechtsverteidiger Leyla und Arif Junus und den Vorsitzenden des Menschenrechtsvereis in Aserbaidschan, Rasul Jafarow, verhaften. Der renommierte unabhängige Journalist Rauf Mirkadirow sitzt bereits seit April 2014 hinter Gittern.
Gezielter Druck auf kritische Medien
Kritische Medien wurden gezielt unter Druck gesetzt: Am 26. Dezember durchsuchten Sicherheitskräfte das Büro von Radio Azadliq, dem aserbaidschanischen Dienst von Radio Free Europe/Radio Liberty, in Baku. Die Ermittler beschlagnahmten Computer, Akten, Kameras und Bildmaterial und versiegelten anschließend die Tür zu dem Büro.
Die Oppositionszeitung Azadliq - eines der noch wenigen verbliebenen regierungsunabhängigen Medien - musste im vergangenen Sommer vorübergehend den Druck einstellen. Hintergrund waren nicht beglichene Forderungen des staatlichen Vertriebsunternehmen GASID in Höhe von umgerechnet 67.000 Euro, die dazu führten, dass Azadliq seine Rechnungen bei einer staatlichen Druckerei nicht mehr bezahlen konnte. Mittlerweile wird die Zeitung nur noch in einer Auflage von 2000 Stück in der Hauptstadt Baku vertrieben.
Auch die Zeitung Zerkalo musste Ende Mai 2014 ihre Druckausgabe einstellen, weil sie infolge staatlicher Eingriffe in Anzeigenmarkt und Vertriebswege nicht mehr genug Einnahmen erzielte, um die laufenden Kosten zu decken.
Restriktive Gesetze
Eine von der Regierung eingebrachte Gesetzesänderung von Februar 2015 erleichtert es den Behörden zusätzlich, gegen unabhängige Medien vorzugehen. Demnach kann ein Medium künftig geschlossen werden, wenn bekannt wird, dass es aus dem Ausland finanziell unterstützt wird. Auch eine zweimalige Anklage wegen Verleumdung innerhalb eines Jahres führt nach den neuen Regelungen zur erzwungenen Schließung.
Behinderung von NGOs
Nichtregierungsorganisationen sind im Zuge der Repressionswelle ebenfalls unter massiven Druck geraten. So wurden am 5. August 2014 die Konten von rund einem Dutzend kritischer NGOs geschlossen, die sich für Medienfreiheit einsetzen – darunter jene des Institute of Reporters Freedom and Safety (IRFS), der US-Organisation IREX und des Media Rights Institutes. Der IRFS-Vorsitzende Emin Husejnow suchte im August 2014 in der Schweizer Botschaft in Baku Zuflucht und harrt seitdem dort aus, weil er fürchtet, andernfalls verhaftet zu werden. Auch sein persönliches Konto war geschlossen worden.
Nothilfe von Reporter ohne Grenzen
Das Nothilfereferat von ROG hat während der vergangenen Monate zahlreiche Journalisten aus Aserbaidschan unterstützt, etwa den Fotoreporter Mehman Husejnow. Der Familie des in Aserbaidschan inhaftierten Journalisten Rauf Mirkadirow hat ROG geholfen, die Türkei zu verlassen und in die Schweiz überzusiedeln, wo sie Asyl erhalten hat.
Großveranstaltungen und internationale Aufmerksamkeit
Im Vorfeld der Europaspiele hat ROG zahlreiche Politiker, Medien, Sportler und Vertretern des DOSB über die schwierige Lage für Journalisten und Medien in Aserbaidschan informiert.
Am heutigen Dienstagabend findet in Berlin eine Podiumsdiskussion zur Frage „Europaspiele in Aserbaidschan – Missbrauch der olympischen Idee?“ statt.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Aserbaidschan auf Platz 162 von insgesamt 180 Ländern.
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