Aserbaidschan
04.10.2013
Präsidentenwahl ohne Pressefreiheit
Vor der Präsidentenwahl in Aserbaidschan fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) die Regierung in Baku auf, die Rechte von Journalisten zu wahren und eine unabhängige Berichterstattung zuzulassen. Ungeachtet aller Beteuerungen des Regimes von Präsident Ilcham Alijew hat sich die ohnehin desolate Situation für unabhängige Berichterstatter vor der Wahl am kommenden Mittwoch (9. Oktober) weiter verschlechtert. Journalisten leiden unter drastischen Gefängnisstrafen und Verleumdungskampagnen, Gesetze gegen Online-Aktivisten wurden verschärft. Mit einer „schwarzen Liste“ versucht die Regierung, Beobachter aus dem Ausland fernzuhalten.
„Vor der Wahl hat die aserbaidschanische Regierung alles daran gesetzt, eine unabhängige Berichterstattung über eventuelle Manipulationen unmöglich zu machen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Aserbaidschans internationale Partner müssen das Regime von Präsident Alijew viel vehementer als bisher dazu drängen, eine kritische Berichterstattung zuzulassen und die Vielzahl von Angriffen auf Journalisten glaubwürdig zu verfolgen.“ Über die neun Gegenkandidaten Alijews wird in den aserbaidschanischen Medien kaum berichtet, dem gemeinsamen Wunschkandidaten der Opposition, Rustam Ibragimbekow, wurde die Registrierung verweigert.
Mindestens 26 gewalttätige Übergriffe auf Journalisten zählte das Institut für die Freiheit und Sicherheit von Reportern (IRFS), mit dem ROG eng zusammenarbeitet, allein in der ersten Hälfte dieses Jahres in Aserbaidschan (http://bit.ly/1aFFdqj). In keinem dieser Fälle haben die Behörden ernsthaft ermittelt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. Das gleiche gilt für die mehr als 200 Gewalttaten gegen Journalisten seit dem bis heute unaufgeklärten Mord an Elmar Husejnow, dem Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Monitor, im Jahr 2005. Die Folge ist eine Atmosphäre der Angst unter Journalisten.
Ende September saßen laut IRFS elf Journalisten, Blogger und Online-Aktivisten aus politischen Gründen in aserbaidschanischen Gefängnissen (http://bit.ly/171ez7l). Bei mindestens fünf von ihnen ist ROG davon überzeugt, dass dies in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätigkeit steht. So wurde am 27. September Hilal Mammadow, der Herausgeber der Minderheitenzeitung Tolishi Sado, wegen fragwürdiger Drogenvorwürfe und Hochverrats zu fünf Jahren Haft verurteilt (http://bit.ly/1bfJvEZ). Am 11. September bestätigte das Oberste Gericht die neunjährige Haftstrafe für Awas Sejnalli, den Herausgeber der Zeitung Khural, der im Oktober 2011 kurz nach der Veröffentlichung eines kritischen Artikels über den Präsidenten verhaftet wurde. Die Einrichtung seiner Redaktion wurde nach mehreren Klagen beschlagnahmt (http://bit.ly/YneIjk).
Kritische Journalisten werden in Aserbaidschan unvermindert eingeschüchtert und bedroht. So sieht sich die für ihre Recherchen über Machtmissbrauch und Korruption bekannte Reporterin Khadija Ismajilowa seit April erneut damit konfrontiert, dass wie schon einmal im Frühjahr 2012 regierungsnahe Medien heimlich aufgenommene oder gefälschte Videoaufnahmen von im Internet lancierten, die sie in intimen Situationen zeigen (http://bit.ly/19hvQfJ). Die wichtigste Oppositionszeitung Asadlig wurde mit überzogenen Entschädigungsurteilen an den Rand des finanziellen Ruins getrieben (http://bit.ly/12d5dsd). Der Blogger Emin Milli hat nach wiederholten Festnahmen Aserbaidschan verlassen und mit dem Satelliten- und Internetfernsehsender Meydan TV (http://www.meydan-tv.com/) von Berlin aus einen Kanal für kritische Stimmen geschaffen, dessen Empfang in Aserbaidschan bereits gestört wurde.
Das Internet hat angesichts der dominierenden Rolle von regierungsfreundlichen Fernsehsendern und der wirtschaftlich prekären Lage vieler unabhängiger Printmedien große Bedeutung für regimekritische Stimmen in Aserbaidschan. Doch auch in diesem Bereich verschärft die Staatsführung den Druck. So verabschiedete das Parlament im Mai 2013 mehrere Gesetzesänderungen, mit denen Verleumdung und üble Nachrede im Internet explizit unter Strafe gestellt werden. In schweren Fällen drohen bis zu drei Jahre Haft. Dies soll Online-Aktivisten offenkundig einschüchtern, denn eine Regelungslücke gab es nicht: Schon die zuvor für alle Medien geltenden Gesetze deckten Internetpublikationen mit ab. Zudem widersprechen die Verschärfungen dem 2011 von Präsident Alijew verkündeten „Nationalen Aktionsplan“, der versprach den dutzendfach gegen Journalisten eingesetzten Tatbestand der Verleumdung aus dem Strafrecht herauszunehmen.
Kritische Beobachter aus dem Ausland hält die Regierung in Baku in jüngster Zeit mit einer „schwarzen Liste“ (http://bit.ly/11AzL51) unerwünschter Personen aus dem Land fern. Diese auf den Internetseiten des Außenministeriums veröffentlichte Liste enthält die Namen von Journalisten, Wissenschaftlern und Politikern unter anderem aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch aus Russland, Frankreich und vielen anderen Ländern, denen keine Visa erteilt werden sollen. Ihnen wird vorgeworfen, unerlaubt die zwischen Aserbaidschan und Armenien umstrittene Region Berg-Karabach besucht zu haben. Journalisten, die zur Präsidentenwahl ein Visum beantragten, wurden zu ihren früheren Veröffentlichungen mit Aserbaidschan-Bezug befragt und aufgefordert, sich für illegale Besuche in Berg-Karabach zu entschuldigen.
Reporter ohne Grenzen zählt den aserbaidschanischen Präsidenten Ilcham Alijew zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit. Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit steht das südkaukasische Land auf Platz 156 von 179.
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