Belarus
06.10.2015
Hacker-Attacken auf unabhängige Online-Medien
Reporter ohne Grenzen kritisiert die Angriffe auf unabhängige Online-Medien wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Belarus am 11. Oktober. Die Seiten der Nachrichtenagentur Belapan und der Online-Zeitung naviny.by waren seit dem Wochenende für mehrere Tage nicht erreichbar. Im staatlich kontrollierten Fernsehen dominiert Amtsinhaber Alexander Lukaschenko die Berichte vor der Wahl. Gleichzeitig weigert er sich, an TV-Duellen der Kandidaten teilzunehmen und degradiert sie so zu bloßen Scheindebatten. Kritische Diskussionen finden vor allem im Internet statt, das die Regierung jedoch immer stärker kontrolliert.
„Belapan und naviny gehören zu den wenigen Medien in Belarus, die darüber berichten, wie es hinter der Fassade einer gut organisierten, ruhig verlaufenden Wahl wirklich im Land aussieht“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Sie sind offiziell registriert und nutzen wie vorgeschrieben einheimische Server. Die staatliche Betelecom muss für den ordnungsgemäßen Betrieb der Webseiten sorgen und die Urheber der Angriffe zur Verantwortung ziehen.“
Die Seiten der unabhängigen Nachrichtenagentur Belapan (www.belapan.by) und der zu ihr gehörenden Internet-Zeitung naviny.by waren am Wochenende wegen koordinierter Online-Angriffe (DDoS-Attacken) stundenlang nicht erreichbar. Auch am Montag konnten beide Seiten nur mit Unterbrechungen aufgerufen werden. Vor den Angriffen hatte naviny.by über eine politisch-religiöse Veranstaltung mit dem amtierenden Präsidenten Lukaschenko berichtet, zu der Studierende zwangsweise geschickt wurden und hatte Interviews mit einigen der Studierenden veröffentlicht.
Der Belarussische Journalistenverband, eine Partnerorganisation von ROG, verurteilte den Angriff als „weiteres Zeichen für die systematische Kontrolle des Informationsflusses in Belarus mit dem Ziel, die öffentliche Meinung zu manipulieren“.
Lukaschenko dominiert die Sendungen vor der Wahl
Die Berichterstattung in den Wochen vor der Wahl illustrierte diese Kontrolle erneut sehr deutlich. Zwar berichteten belarussische Medien insgesamt etwas umfangreicher über die Wahl, die Nachrichtensendung Panarama auf Belarus 1 TV etwa widmete dem Thema sechs Prozent seiner Sendezeit gegenüber weniger als einem Prozent 2010. Die drei Gegenkandidaten von Alexander Lukaschenko bekamen die Möglichkeit, auf Belarus 1 TV und im Ersten Kanal des Nationalen Radios die Bevölkerung für jeweils eine halbe Stunde direkt anzusprechen und ihre Programme in staatlichen Zeitungen zu veröffentlichen. Auch kam es vor, dass staatliche Medien in neutralem oder gar positivem Ton über die Gegenkandidaten berichteten.
An der erdrückenden medialen Dominanz des amtierenden Präsidenten änderte dies jedoch nichts. In der Nachrichtensendung Panarama zum Beispiel ging es in mehr als 70 Prozent aller Wahlberichte um Lukaschenko und die Zentrale Wahlkommission, während alle drei Gegenkandidaten zusammen in nur elf Prozent der Berichte vorkamen.
Lukaschenkos Gegenkandidaten bekamen zwar die versprochene Sendezeit in den staatlichen Kanälen zugeteilt, die Sender platzierten ihre Auftritte jedoch weder prominent noch wurden die Kandidaten in Programmvorschauen namentlich angekündigt. In der Sendung Glavny Efir auf Belarus 1 TV lobte hingegen die Serie „21. Jahrhundert“ die vermeintlichen Erfolge und Errungenschaften der mehr als zwanzigjährigen Herrschaft des Präsidenten in den höchsten Tönen.
Wahlberichte ohne jede Spannung
Ausführlicher als über die Kandidaten und ihre Programme berichteten belarussische Medien über die Vorbereitung und technische Durchführung der Wahlen und über die Wahlbeobachtermissionen von OSZE und GUS, deren Mitarbeiter die gute Organisation der Abstimmung loben. Das nehme dem Thema jede Spannung, urteilt Ales Antsipenka, der für den Belarussischen Journalistenverband die Berichterstattung vor der Wahl beobachtet. Er vergleicht die Situation mit einem Fußballspiel, „bei dem nur darüber berichtet wird, dass der Schiedsrichter gut angezogen ist, die Spielregeln eingehalten werden und das Spielfeld die richtige Größe hat. Über das Spiel selbst erfährt man nichts.“
Dass der Wahlberichterstattung jede Spannung fehlt, liegt auch daran, dass Lukaschenko die Wähler in der dafür vorgesehenen Sendezeit nie selbst anspricht. An den TV-Duellen der Kandidaten nimmt er nicht teil und degradiert sie so zu Scheindebatten.
Internet immer stärker überwacht
Weil Radio und Fernsehen in Belarus nahezu vollständig unter staatlicher Kontrolle stehen und nur noch sehr wenige Zeitungen unabhängig berichten, finden kritische Diskussionen inzwischen vor allem online statt. Die Regierung hat die Kontrolle des Internets deshalb im Wahljahr noch einmal merklich verstärkt. Zum 1. Januar 2015 traten Änderungen am Mediengesetz in Kraft, die es dem Informationsministerium erlauben, Internetseiten ohne Gerichtsbeschluss sperren zu lassen. Waren zuvor nur Kriegspropaganda und Aufrufe zu Gewalt oder Extremismus verboten, sind es jetzt sämtliche Informationen, die „nationalen Interessen“ zuwiderlaufen. Diese weit und willkürlich interpretierbaren Formulierungen erlauben es, selbst ausländische Seiten zu sperren, zumal es das erklärte Ziel der Gesetzesänderung ist, die Bevölkerung vor zerstörerischem Einfluss aus dem Ausland zu schützen.
Mitte Mai veröffentlichte der staatliche Telekommunikationsanbieter Beltelecom eine Ausschreibung für Software und Technologie, „um Nutzerdaten zu sammeln und zu archivieren und Webseiten zu blockieren“. Am 18. Juni wurde die Seite des Online-Journals kyky.org gesperrt, nachdem sich Autoren kritisch über die Feiern zum Siegestag geäußert hatten. Die Sperre wurde erst sechs Tage später wieder aufgehoben, nachdem Mitglieder der Redaktion beim Informationsministerium vorgesprochen und alle beanstandeten Artikel von der Seite entfernt hatten.
Bereits seit 2010 müssen Internet-Cafés in Belarus die Identität jedes Nutzers nachweisen und Verbindungsdaten ein Jahr lang speichern. 2012 wurden die Gesetze noch einmal verschärft und erschweren seither den Zugang zu ausländischen Seiten. Internetanbieter wurden verpflichtet, Überwachungssoftware zu installieren. Zudem dürfen Webseiten nur noch von einheimischen Servern aus betrieben werden.
Neue Registrierungspflicht beim Staat
Die Änderungen am Mediengesetz vom Januar 2015 sehen zudem vor, dass sich sämtliche Unternehmen, die journalistische Information weiterverbreiten, beim Staat registrieren lassen. Neben Presse-Grossisten und Rundfunkanbietern gehören dazu auch die Betreiber von Online-Medien und Blogs. Details zur Registrierung regelt eine Resolution des Informationsministeriums vom 17. April 2015. Wer seit dem 1. Juli Informationen ohne Registrierung weiterverbreitet, tut dies illegal. Wer registriert ist und zweimal vom Informationsministerium verwarnt wird, dessen Unternehmen kann geschlossen werden.
Der Belarussische Journalistenverband befürchtet, dass Grossisten, die regimekritische Zeitungen verteilen, keine Registrierung erhalten. Ende August hat sich die unabhängige Zeitung Nowy Tschas erneut vergeblich darum bemüht, in das Angebot des staatlichen Presse-Grossisten Belsajuzdruk aufgenommen zu werden, aus dem es seit den Wahlen 2006 gestrichen ist. Vor ähnlichen Problemen stehen die Regionalzeitungen Hazeta Slonimskaja und Intex-press.
Geldstrafen für Journalisten
Mit besonderen Schwierigkeiten kämpfen in Belarus freie Journalisten, die für ausländische Medien arbeiten. Laut Gesetz erhalten nur festangestellte Mitarbeiter ausländischer Medien eine Lizenz für ihre Arbeit. Die Anträge freier Journalisten wurden in der Vergangenheit meist abgelehnt. Viele von ihnen arbeiten deshalb ohne Lizenz und wurden deshalb immer wieder zu Geldstrafen verurteilt. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2015 wurden 21 Journalisten, die für ausländische Medien arbeiten, zu Strafen von insgesamt mehr als 6.300 Euro verurteilt.
Weitere Probleme bereitet freien wie festangestellten Journalisten ein inoffizielles Verbot, Regierungsgebäude und andere staatliche Einrichtungen von strategischer Bedeutung zu fotografieren. Am 26. Februar wurde deshalb ein Fotograf der Zeitung Komsomolskaja Pravda in Gewahrsam genommen, nachdem er die Akademie der Wissenschaften in Minsk fotografiert hatte. Das Verbot geht angeblich zurück auf eine interne amtliche Anweisung, deren Veröffentlichung die Behörden jedoch verweigerten.
nach oben
Folgen Sie uns!