Belarus
18.08.2010
Kritische Medien im Visier der Behörden / Präsidentschaftswahl im Frühjahr
Reporter ohne Grenzen (ROG) warnt vor einem weiteren Anstieg der Repressionen gegen Medien in Belarus im Vorfeld der Präsidentschaftswahl, die im Frühling 2011 stattfinden soll. „Zwei wichtigen oppositionellen Zeitungen droht ein vorübergehendes Verbot. Das seit 2009 geltende Mediengesetz gibt den Behörden die nötigen Handreichungen hierfür. Redaktionen unabhängiger und kritischer Medien werden außerdem mit Polizeirazzien, Verhören und Schikanen wie Steuerprüfungen unter Druck gesetzt“, so ROG.
ROG befürchtet, dass die beiden führenden oppositionellen belarussischen Zeitungen Nascha Niwa und Narodnaja Wolja vor Beginn der Wahl geschlossen werden könnten. Beide wurden in diesem Jahr mehrfach wegen kritischer Berichte von den Behörden verwarnt. Nach Artikel 51 des Mediengesetzes reichen zwei Verwarnungen aus, um die Zeitungen zeitweise zu verbieten.
Die Behörden verwarnten die Wochenzeitung Nascha Niwa zwischen dem 22. und 26. Juli zweimal, weil in Artikeln auf einen russischen Dokumentarfilm mit dem Titel „Kryostny Bagtska“ („Der Pate“) Bezug genommen wurde. Die Autoren des Films vertreten eine kritische Haltung gegenüber dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und gehen auf das Verschwinden politischer Gegner des Staatschefs ein.
Die Zeitung erhielt am 2. August zudem einen außerregulären Steuerprüfungsbescheid. Der Chefredakteur des Blattes, Andrej Skurko, sieht die Ankündigung der Steuerbehörde als Versuch, die Redaktion einzuschüchtern. Erst im September 2008 sei eine Prüfung seines Hauses erfolgt. Das belarussische Gesetz sieht aber für Zeitungsunternehmen wie Nascha Niwa nur alle fünf Jahre Steuerprüfungen vor.
Auch die Zeitung Narodnaja Wolja könnte vorübergehend geschlossen werden. Seit Jahresbeginn hat das Informationsministerium das Blatt bereits dreimal verwarnt. Der Auslöser war eine Serie von Kurzgeschichten, die im März veröffentlicht wurden. Der Autor Illia Kopilau beschreibt darin seine Kindheit unter nationalsozialistischer Besetzung. Nach Auffassung der Behörden werden in den Texten die damalige sowjetische Guerilla-Bewegung und die Rote Armee diskreditiert. Mit der Veröffentlichung verstoße Narodnaja Wolja gegen Artikel 4 des Mediengesetzes, das die „Veröffentlichung von falschen Informationen“ verbietet, so die Begründung für die Rüge.
Wie auch andere kritische Medien mussten die beiden Zeitungen in den vergangenen Jahren schon häufiger Gängelungen wie Razzien in Redaktionsräumen, Hausdurchsuchungen oder Verhöre ihrer Mitarbeiter hinnehmen. Während drei Jahre waren Narodnaja Wolja und Nascha Niwa zudem von dem staatlich kontrollierten Vertriebssystem für Zeitungen ausgeschlossen. Im Jahr 2008 wurden die Publikationen als ein Ergebnis eines Abkommens zwischen Belarus und der Europäischen Union wieder in das System aufgenommen.
In jenem Jahr gaben vorsichtige Schritte zu Reformen der Regierung in Minsk und eine Annäherung zwischen EU und Belarus Hoffnung auf einen Wandel der jahrelang massiv kontrollierten Medienlandschaft. Diese Aussicht schwand mit dem im Februar 2009 in Kraft getretenen Mediengesetz, das weitreichende staatliche Kontrollbefugnisse einräumt.
Verboten sind nach dem Gesetz zum Beispiel investigative Berichte von Journalisten, die über keine offizielle Akkreditierung oder über keinen Arbeitsvertrag mit einem Medium verfügen. Seit dieser Regelung wurden freie Journalisten wiederholt verwarnt. So erging es am 11. August etwa Tatsiana Bublikawa, nachdem die Journalistin einen Bericht für Belsat gemacht hatte – einen in Polen ansässigen Kabel-Fernsehsender, der vor Regierungskritik nicht zurückschreckt.
Repressionen gegen kritische Online-Journalisten und Internetnutzer haben in den vergangenen Monaten ebenfalls zugenommen.Weitere Informationen zur Online-Zensur in Belarus lesen Sie in unserer Pressemitteilung vom 7. Juli 2010.
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