Bolivien
03.11.2015
Zunehmender Druck auf kritische Medien
Anlässlich des Deutschlandbesuchs von Boliviens Präsident Evo Morales am (morgigen) Mittwoch kritisiert Reporter ohne Grenzen den zunehmenden Druck auf kritische Medien in dem südamerikanischen Land. Wichtige Fernsehsender und Zeitungen sind dort von regierungsfreundlichen Geschäftsleuten übernommen und auf Linie gebracht worden. Kritische Medien werden etwa durch Anzeigenboykotte und Steuerprüfungen schikaniert. Mehrere Journalisten verloren nach unbotmäßiger Berichterstattung ihre Stellen oder ihre langjährigen Sendeplätze. Immer wieder kommt es in Bolivien auch zu Drohungen und Gewalt gegen Journalisten.
„Bolivien engt schleichend, aber sehr wirksam die Spielräume für unabhängigen Journalismus immer weiter ein“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Erschreckend ist, wie unverblümt sich Präsident Morales mit dem zunehmenden Verstummen kritischer Stimmen brüstet.“
Undurchsichtige Besitzerwechsel wichtiger Medien
Während Kritiker den staatlichen Fernsehsender Bolivia TV zunehmend als Sprachrohr des Präsidenten sehen, haben in den vergangenen Jahren unter anderem die Fernsehsender ATB, PAT und Full TV die Besitzer gewechselt und befinden sich nun in der Hand regierungsfreundlicher Unternehmer. Einem kontroversen Buch des Journalisten Raúl Peñaranda zufolge wurde etwa der Verkauf von PAT im Jahr 2012 von der Drohung mit Korruptionsermittlungen flankiert. Eine zentrale Rolle bei diesen Transaktionen schreibt Peñaranda Vizepräsident Álvara García Linera zu.
La Razón, die größte Zeitung in der Hauptstadt La Paz, wurde schon 2008 an einen Morales-freundlichen Geschäftsmann verkauft – offenbar ebenfalls nach einer Reihe von Betriebs- und Steuerprüfungen. Das ehemals kritische Blatt stellt sich mittlerweile kaum noch gegen den Kurs der Regierung.
Die Staatsführung bestreitet zwar jede Einflussnahme auf die Eigentümerwechsel, brüstet sich aber mit der immer größeren Unterstützung durch die Medien: Bei seiner ersten Wahl 2005 seien noch 80 bis 90 Prozent der Medien gegen ihn gewesen, sagte Morales 2013 in einem Zeitungsinterview; mittlerweile seien es nur noch zehn oder 20 Prozent. Auf das Enthüllungsbuch Peñarandas reagierte die Regierung mit einer Schmutzkampagne gegen den Journalisten.
Vizepräsident García Linera drohte „politisierten“ Medien vergangenen August unverblümt mit dem Abzug staatlicher Werbeaufträge. Dies gelte für Medien, die „lügen“ und „Parteipolitik betreiben“. Rechtliche Grundlage dieser Drohung ist ein Dekret von 2009, das die Behörden zur freihändigen Vergabe ihrer Werbeetats ermächtigt. Auch auf lokaler Ebene kommt es vor, dass Behörden als Reaktion auf unerwünschte Berichterstattung in bestimmten Medien keine Werbung mehr schalten.
Zwei Kündigungen kritischer Moderatoren an einem Tag
In einer Studie aus dem vergangenen Jahr gab gut die Hälfte der befragten Journalisten an, im Laufe ihres Berufslebens schon einmal zensiert worden zu sein. 59 Prozent gestanden ein, Selbstzensur zu üben. Zensiert werden der Untersuchung zufolge vor allem Themen, die Konflikte mit der Regierung oder mit den Interessen von Werbekunden betreffen oder die Gefahr von Klagen bergen.
In den vergangenen Monaten lenkte eine Serie von Kündigungen und Rücktritten bekannter Journalisten den Blick der Öffentlichkeit auf den politischen Druck hinter den Kulissen. Ende Juli kündigte Amalia Pando, die seit zehn Jahren eine beliebte Frühsendung auf Radio Erbol moderiert hatte. Zur Begründung sagte sie einer Zeitung, die Regierung habe dem Sender mit finanziellen Sanktionen gedroht. Am selben Tag kündigte der Fersehsender Cadena A dem Moderator John Arandia, der sich im Zusammenhang mit einer Protest- und Streikwelle im Süden des Landes sehr regierungskritisch geäußert hatte.
Der Sender Red Uno TV stellte Ende Mai nach zwölf Jahren die tägliche Sendung von Enrique Salazar ein und kündigte dessen Vertrag. Zwei Tage zuvor hatte Salazar Kommunikationsministerin Marianela Paco einem harten Interview unterzogen.
Schleppende Ermittlungen in Fällen von Mord und Gewalt
Auch Drohungen und Gewalt gegen Journalisten kommen in Bolivien immer wieder vor. Polizei und Justiz reagieren darauf oft nur schleppend und tragen so dazu bei, dass die Täter ungestraft davonkommen.
Ein Beispiel sind die Todesdrohungen gegen zwei Journalisten des Fernsehsenders ATB in der Stadt Cochabamba Ende März: Escarley Pacheco fand einen mit Blut befleckten Brief mit einer Patronenhülse im Briefkasten. José Miguel Manzaneda erhielt einen blutigen Brief mit der Warnung: „Pass auf Dich auf, JM.“ Die beiden Reporter hatten mehrere Polizeiskandale aufgedeckt, darunter eine mutmaßliche Vergewaltigung durch sieben Polizisten sowie Bordell-Besuche von Polizisten im Dienst.
Präsident Morales forderte zwar umgehend eine Untersuchung der Drohungen, doch die Ermittlungen traten wochenlang auf der Stelle, während ATB und die Journalisten des Senders in den sozialen Medien immer öfter bedroht und beleidigt wurden. Ein halbes Jahr zuvor hatte schon der Polizeichef von Cochabamba Pacheco bedroht, als diese ihn mit Fragen zu Gewaltvorwürfen seiner Ex-Frau konfronierte.
Keine wesentlichen Fortschritte haben bis heute die Ermittlungen im Fall Cristian Osvaldo Mariscal Calvimontes gebracht. Der Journalist des Senders Canal Plus TV Tarija ist seit Januar 2014 spurlos verschwunden. Ohne Ergebnis blieben auch die Ermittlungen zu dem Doppelmord an den Geschwistern und Journalisten Verónica und Victor Hugo Peñasco in El Alto im Februar 2012; vor knapp zwei Wochen wurden drei der Tatverdächtigen offenbar mangels Beweisen aus der Untersuchungshaft entlassen. Nach wie vor unaufgeklärt sind auch der Tod von Carlos Quispe beim Angriff einer aufgebrachten Menschenmenge auf seinen Radiosender im März 2008 sowie der Brandanschlag auf den Sender Radio Popular in Yacuiba im Oktober 2012.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Bolivien auf Platz 94 von 180 Staaten.
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