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China

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 172 von 180
China-Reise Merkels 26.10.2015

Freiheit für Gao Yu und Liu Xiaobo fordern

Aktivisten in Hongkong fordern im vergangenen April die Freilassung Gao Yus. © picture alliance / dpa

Reporter ohne Grenzen appelliert an Bundeskanzlerin Angela Merkel, sich bei ihrem China-Besuch in dieser Woche mit Nachdruck für die Freilassung der inhaftierten Deutsche-Welle-Autorin Gao Yu und des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo einzusetzen. Gao Yu wurde im April wegen vermeintlichen Verrats von Staatsgeheimnissen zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt und leidet unter zunehmenden Herzproblemen. Der Online-Dissident Liu Xiaobo wird seit dem Jahr 2008 willkürlich in einem Gefängnis in Dalian festgehalten.

„Die Bundeskanzlerin sollte in China nicht nur in allgemeiner Form für die Menschenrechte werben, sondern ganz konkret Freiheit für diejenigen einfordern, die für nichts anderes als die Veröffentlichung unliebsamer Meinungen oder Informationen im Gefängnis sitzen“, sagte ROG-Vorstandssprecherin Britta Hilpert. „Solange die chinesische Führung jeden verfolgt, der ihre Propaganda infrage stellt, darf es keine Normalität in den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen geben.“

In keinem anderen Land der Welt sitzen so viele Medienschaffende wegen ihrer journalistischen Arbeit im Gefängnis wie in China, wo sich diese Zahl derzeit auf mindestens 109 beläuft.

Sieben Jahre Haft aufgrund von Geständnis unter Zwang

Gao Yu war Ende April 2014 kurz vor dem 25. Jahrestag der Niederschlagung der Studentenproteste von 1989 verschwunden. Zwei Wochen später präsentierte der staatliche Fernsehsender CCTV ein Video eines in Polizeigewahrsam entstandenen, offensichtlich mit Drohungen gegen ihren Sohn erzwungenen Geständnisses der bekannten Journalistin und Regimekritikerin. Aufgrund dieser später widerrufenen Aussage wurde Gao vergangenen April zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil sie sich ein geheimes Dokument der Kommunistischen Partei verschafft und an das Ausland weitergegeben habe.

Gao leidet seit ihrer Verhaftung während der Niederschlagung der Studentenproteste von 1989 an Herzproblemen, die sich jedoch in jüngster Zeit verschlimmert haben. Selbst lange nach ihrer jüngsten Verurteilung wurde sie ungeachtet ihres Gesundheitszustands fast täglich verhört und unter Druck gesetzt, ihren Verteidigern das Mandat zu entziehen. Der Beginn von Gaos Berufungsprozess wurde mittlerweile drei Mal verschoben – zunächst um zwei Monate, dann um einen und vor rund zwei Wochen um weitere drei Monate, diesmal nach Angaben von Gaos Anwälten mit Zustimmung des obersten chinesischen Gerichts.

Bis zu sieben Jahre Haft drohen auch dem Investigativreporter Liu Wei, der seit Anfang Oktober festgehalten wird – ebenfalls, weil er sich auf illegale Weise Zugang zu Staatsgeheimnissen verschafft habe. Hintergrund sind Lius Veröffentlichungen zu einem Korruptionsfall, in den KP-Funktionäre, Geschäftsleute und andere Prominente verwickelt sein sollen.

Seit im Juni bei Mord-Ermittlungen ein umstrittener Qigong-Meister festgenommen wurde, hatte Liu in der in Guangdong erscheinenden Zeitung Southern Metropolis News eine Reihe kompromittierender Dokumente publik gemacht. Die Medien haben Anweisung erhalten, Berichte über Lius Verhaftung zu zensieren. Zwei Anträge, den Journalisten auf Kaution freizulassen, wurden abgewiesen.

Haft für Dialogaufrufe, kritische Finanzberichte und Retweets

Liu Xiaobo, der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2010, gehört zu den Gründern der „Charta 08“, eines öffentlichen Aufrufs zu politischen Reformen, Demokratie und Menschenrechten in China. Er verbüßt eine elfjährige Haftstrafe für „Anstachelung zur Subversion“. Lius Ehefrau Liu Xia steht seit 2010 unter Hausarrest und ist ständigem Druck der chinesischen Behörden ausgesetzt, obwohl sie nie von einem Gericht verurteilt wurde.

Viele weitere Fälle zeigen die kompromisslose Zensur und Verfolgung von Journalisten unter Staats- und Parteichef Xi Jinping: Der uigurische Blogger Ilham Tohti wurde im September 2014 wegen „Separatismus“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte sich mit seiner Webseite Uighurbiz.net seit 2005 für den Dialog zwischen der muslimischen Minderheit und den Han-Chinesen eingesetzt.

Ende August wurde der Wirtschaftsjournalist Wang Xiaolu in seiner Wohnung in Peking festgenommen und bald darauf mit einem Schuldeingeständnis im Staatsfernsehen vorgeführt, weil er falsche Informationen über die Wertpapiermärkte verbreitet und damit einen Kurseinbruch an der Börse von Shanghai ausgelöst habe.

Ebenfalls im August reagierten die Behörden mit Zensur, einem Verbot von Live-Berichten und Kommentaren sowie mit der Drangsalierung ausländischer Reporter auf die Explosionskatastrophe in einem Gefahrgutlager in der Hafenstadt Tianjin. Ein als Whistleblower bekannter Ex-Staatsanwalt wurde für neun Tage in Verwaltungshaft genommen, weil er nach dem Unglück unautorisierte Informationen aus sozialen Medien über die Opferzahl per Twitter weiterverbreitet hatte.

Inoffizielles Ziel: Eine neue Weltmedienordnung

Immer unverhohlener verfolgt China zudem das inoffizielle Ziel einer neuen Weltmedienordnung, indem das Regime sein Modell der Informationskontrolle und Zensur ins Ausland exportiert. So startete der Internetkonzern Baidu, der eine wesentliche Rolle bei Chinas Online-Zensur spielt, Mitte 2014 in Brasilien die portugiesischsprachige Suchmaschine Busca, die bald dadurch auffiel, dass sie ihre Suchergebnisse zu chinesischen Tabu-Begriffen wie „Tiananmen-Platz“ oder „Falun Gong“ um unerwünschte Inhalte bereinigte.

Die Regierung Indiens kündigte vergangenen März an, eine Journalistenschule nach dem Vorbild der Communication University of China zu gründen – einer Institution, die jungen chinesischen Journalisten die KP-Linie einimpft und von ehemaligen Mitgliedern der Propagandaabteilung der Staatspartei geführt wird.

Anfang Oktober nun kündigten die größten staatlichen Medienunternehmen der sogenannten BRICS-Staaten – darunter die staatliche russische Mediengruppe Rossija Segodnya und die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua, aber auch Medien aus Brasilien, Indien und Südafrika – die Gründung einer gemeinsamen Nachrichtenagentur und eines Radiosenders an.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 176 von 180 Staaten.



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