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China

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 172 von 180
Hongkong 29.06.2020

RSF analysiert Sicherheitsgesetz

Polizei und Medienvertreter bei Protesten in Hongkong
© picture alliance

Reporter ohne Grenzen (RSF) ist in großer Sorge über die möglichen Auswirkungen eines Sicherheitsgesetzes auf die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten in Hongkong. Das Gesetz soll offenbar noch in dieser Woche in Kraft treten. RSF befürchtet, dass es ähnlich wie in Festlandchina auch in der Sonderverwaltungszone als Vorwand für die juristische Verfolgung von Medienschaffenden dienen könnte. Noch im Laufe des Sommers könnte das Gesetz in Kraft treten, das Peking unter eklatanter Missachtung der Autonomie Hongkongs durchsetzen möchte.

„Das Sicherheitsgesetz würde dem chinesischen Regime Mittel an die Hand geben, unter dem Anschein der Legalität unliebsame Journalistinnen und Journalisten in Hongkong zu schikanieren und zu bestrafen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die überwiegende Mehrheit der 114 in China inhaftieren Medienschaffenden sitzt wegen angeblicher Verbrechen gegen die nationale Sicherheit im Gefängnis.“ 

Die Pläne für ein Sicherheitsgesetz in Hongkong hat der Nationale Volkskongress, Chinas Scheinparlament, am 28. Mai gebilligt. Demnach sollen „Terrorismus“, „Abspaltung“, „Untergrabung der Staatsgewalt“ und „ausländische Einmischung“ in der Region Hongkong unter Strafe gestellt werden. Diese vier Vergehen, die bisher nicht offiziell definiert wurden, können in China mit der Todesstrafe geahndet werden und dienen dort oft als Vorwand für die juristische Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten. 

Laut einer am 18. Juni veröffentlichten Umfrage der Hongkonger Journalistenvereinigung (HKJA) lehnen 98 Prozent der Medienschaffenden das Sicherheitsgesetz ab und befürchten demnach, dass es gegen sie verwendet werden könnte. RSF hat nun im Detail untersucht, wie die Vorwürfe „Terrorismus“, „Abspaltung“, „Untergrabung der Staatsgewalt“ und „ausländische Einmischung“ als Vorwand für die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten in Hongkong dienen könnten. 

„Terrorismus“

  • Allgemeine Definition: Terrorismus bezieht sich in der Regel auf die unrechtmäßige Anwendung von Gewalt und Einschüchterung bei der Verfolgung politischer Ziele. Pekings Interpretation dieses Verbrechens schließt jede Handlung mit ein, die als Bedrohung für die Sicherheit des Staates angesehen wird und kombiniert dies oft mit anderen Vergehen wie „Gefährdung der Staatssicherheit“, „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“ und „Landesverrat“.
  • Situation in China: Mindestens sieben Medienschaffende sitzen derzeit wegen „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“ im Gefängnis. Unter ihnen ist der schwedische Verleger Gui Minhai. Der Miteigentümer eines Buchladens in Hongkong wurde 2015 in Thailand entführt und 2019 in China zu zehn Jahren Haft verurteilt.
  • Risiko für Medienschaffende in Hongkong: Da das chinesische Regime und die Exekutive Hongkongs die Demokratiebewegung als „Terrorismus“ bezeichnet haben, könnte die Berichterstattung über Demonstrationen unter dem Sicherheitsgesetz als Terrorakt strafbar sein. Die Veröffentlichung vertraulicher Informationen über Vertreterinnen und Vertreter beider Regierungen könnte als „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“ geahndet werden. 

„Abspaltung“

  • Allgemeine Definition: Abspaltung bezieht sich in der Regel auf die freiwillige Trennung einer Gruppe oder Region von einem Staat, um einen neuen unabhängigen Staat zu bilden oder sich einem anderen Staat anzuschließen. In Festlandchina setzt das Regime den Vorwurf oft mit „Separatismus“ gleich (die Förderung oder Vorbereitung der Abspaltung). Das Vergehen erstreckt sich hier auf jede Einzelperson oder Gruppe, die regionale Kulturen und Sprachen wie Tibetisch oder Uigurisch fördert.
  • Situation in China: Mindestens 70 Medienschaffende sind derzeit wegen Separatismus-ähnlichen Vorwürfen im Rahmen von Chinas Unterdrückung der Volksgruppe der Uiguren  in der autonomen Region Xinjiang inhaftiert. Der mit dem Václav-Havel-Menschenrechtspreis und dem Sacharow-Preis ausgezeichnete Bürgerjournalist Ilham Tohti wurde 2014 wegen „Separatismus“ zu lebenslanger Haft verurteilt.
  • Risiko für Medienschaffende in Hongkong: Unter dem Sicherheitsgesetz könnten Journalistinnen und Journalisten, die über die kulturelle Identität Hongkongs oder über Befürworter einer unabhängigen Sonderverwaltungszone schreiben, wegen „Separatismus“ angeklagt werden. Mit diesem Vorwurf hätte zum Beispiel der Financial-Times-Journalist Victor Mallet konfrontiert werden können. Er wurde im Oktober 2018 aus Hongkong ausgewiesen, nachdem er als Vizepräsident des Clubs der Auslandskorrespondenten FCCHK den Vertreter einer Partei eingeladen hatte, die sich für die Unabhängigkeit Hongkongs einsetzt.

„Untergrabung der Staatsgewalt“

  • Allgemeine Definition: Der Vorwurf bezieht sich in der Regel auf Versuche, Institutionen zu unterwandern oder die öffentliche Ordnung zu stürzen. Auf dem chinesischen Festland wird dieses Vergehen oft mit „Aufwiegelung“ (Anstachelung der Bevölkerung zur Rebellion gegen die Staatsgewalt) gleichgesetzt. Den Beschuldigten wird auch vorgeworfen, „Streit angefangen und Ärger provoziert“ oder „Gerüchte verbreitet“ zu haben.
  • Situation in China: Mindestens 24 Medienschaffende sitzen im Gefängnis, weil sie angeblich einen „Streit angefangen und Ärger provoziert“, die „Staatsgewalt untergraben“ oder dazu angestachelt haben sollen. Der Blogger Wu Gan etwa, der Korruption unter Regierungsvertreterinnen und -vertretern angeprangert hatte, wurde 2017 wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu acht Jahren Haft verurteilt.
  • Risiko für Medienschaffende in Hongkong: Unter dem Sicherheitsgesetz könnten Medienschaffende, die Unabhängigkeitsaktivistinnen und -aktivisten zitieren, wegen „Aufwiegelung“ angeklagt werden. Auch könnten Zeitungen für die Veröffentlichung von Meinungsartikeln bestraft werden, in denen die chinesische Regierung kritisiert wird. Die Produzentinnen und Produzenten der satirischen Fernsehsendung „Headliner“ hätten wegen des gleichen Vorwurfs angeklagt werden können. Die Sendung wurde die kürzlich aus dem Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks RTHK genommen, weil sie sie sich über die Polizei lustig gemacht hatte.

„Ausländische Einmischung“

  • Allgemeine Definition: Der Vorwurf kann als sichtbare oder versteckte Einmischung eines Staates in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates verstanden werden. Auf dem chinesischen Festland wird dieses Vergehen oft mit „Infiltration“ (das Einschleusen von Agentinnen und Agenten in einen ausländischen Staat, um die Regierung auszuspionieren oder zu manipulieren) und „Spionage“ gleichgesetzt.
  • Situation in China: Pekings Propaganda stellt ausländische Journalistinnen und Journalisten als Agenten der Staaten dar, in denen die entsprechenden Medien ihren Hauptsitz haben. Seit Anfang dieses Jahres wurden 16 Korrespondentinnen und Korrespondenten großer US-Medien in einer vermeintlichen Vergeltungsaktion gegen die amerikanische Regierung aus China ausgewiesen. Der australische Journalist Yang Hengjun sitzt seit Januar 2019 wegen angeblicher „Spionage“ in Peking in Haft.
  • Risiko für Medienschaffende in Hongkong: Unter dem Sicherheitsgesetz könnten Korrespondentinnen oder Mitarbeiter internationaler Medien sowie ihre Quellen beschuldigt werden, ausländischen Mächten zu dienen und Überwachung, Schikane oder Gewalt ausgesetzt sein. Im Januar 2020 suggerierte die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam, dass einige ausländische Medien das Sprachrohr westlicher Regierungen sein könnten

Pressefreiheit in Hongkong verschlechtert sich 

Die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong wird seit ihrer Übergabe an China im Juli 1997 nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ autonom und mit mehr Freiheiten regiert. Doch der Einfluss Pekings hat zu einer Verschlechterung der Lage der Pressefreiheit geführt. 

Bei der Einführung der RSF-Rangliste der Pressefreiheit im Jahr 2002 stand die chinesische Sonderverwaltungszone noch auf Platz 18 von damals 139 bewerteten Ländern, heute steht Hongkong auf Rang 80 von 180 Staaten, weitere sieben Plätze schlechter als im Vorjahr. Auch die systematische Gewalt gegen Medien bei Protesten gegen ein mittlerweile zurückgezogenes Auslieferungsgesetz im vergangenen Jahr hat zu einer Verschlechterung beigetragen. Die Gewalt ging vor allem von der Polizei und pekingtreuen kriminellen Gruppen aus. China rangiert auf Platz 177. Mehr als 100 Journalistinnen und Journalisten sitzen hier wegen ihrer Arbeit zum Teil unter lebensgefährlichen Bedingungen im Gefängnis, mehr als in jedem anderen Land der Welt.



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