Welttag gegen Internetzensur
12.03.2018
Uncensored Playlist: Pop-Songs gegen Zensur
Zum Welttag gegen Internetzensur am 12. März veröffentlicht Reporter ohne Grenzen die Uncensored Playlist. Sie nutzt Musik als Schlupfloch, um zensierte Artikel über Streaming-Dienste in Ländern zu verbreiten, in denen autokratische Herrscher das freie Wort unterdrücken. Journalisten aus China, Ägypten, Thailand, Usbekistan und Vietnam haben mithilfe lokaler und internationaler Künstler jeweils zwei ihrer Texte zu Pop-Songs gemacht. Über Streaming-Dienste lassen sich die zehn Songs weltweit anhören – auch in den Heimatländern der Journalisten, in denen die Originaltexte wegen der strengen Zensur nicht erscheinen dürfen. Der Hashtag der Kampagne ist #truthfindsaway.
„Wir nutzen mit dieser Kampagne eine Hintertür“, sagt ROG-Vorstandsmitglied Matthias Spielkamp. „In vielen Ländern verwehren die Machthaber den Menschen freien Zugang zum Internet, doch Musik-Streaming-Dienste sind fast überall frei zugänglich. Also verbreiten wir die Texte mutiger Journalisten als Pop-Songs – damit Zensoren und Diktatoren in aller Welt endlich verstehen: Das freie Wort lässt sich nicht unterdrücken, die Wahrheit findet immer einen Weg.“
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Vom Journalist zum Songwriter
Für das Projekt Uncensored Playlist hat Reporter ohne Grenzen die Werbeagentur DDB Germany und die Produktionsfirma MediaMonks mit renommierten Journalisten aus fünf Ländern zusammengebracht, in denen unabhängige Medien unter Druck stehen: mit Exil-Journalist Chang Ping aus China und Galima Bukharbaeva aus Usbekistan, mit Basma Abdelaziz aus Ägypten, dem Blogger Bui Thanh Hieu aus Vietnam und mit Prachatai, einem Netzwerk für unabhängigen Journalismus aus Thailand.
Gemeinsam mit Lucas Mayer (Komponist) und Iris Fuzaro (Filmmacherin) wurden zehn vorher zensierte Artikel zu zehn unzensierten Popsongs.
Freie Information durch die Hintertür
Die in Lieder verwandelten Texte können Hörer in aller Welt über die Streaming-Plattformen Spotify, Deezer und Apple Music anhören. Auf Englisch, sowie in der Originalsprache der Länder, aus denen die Journalisten stammen. Zusätzlich zu den Liedtexten bietet das künstlerisch aufwändig gestaltete Album Informationen zur Biographie der Journalisten und Musikvideos, die über die Situation in den jeweiligen Ländern erzählen.
Um sicher zu stellen, dass die Songs die Menschen auch wirklich erreichen und um zu beweisen, dass die Wahrheit auch immer einen Weg findet, wurden für die fünf unter Zensur leidenden Länder zusätzliche Versionen erstellt: In diesen sind die Namen der Autoren durch Pseudonyme ersetzt, die Cover neutral gestaltet und die Titel der Songs so abgeändert, dass sie an einer etwaigen Vorzensur vorbeikommen, falls die Originale blockiert werden.
DDB Germany und MediaMonks haben zudem dafür gesorgt, dass in jedem der fünf Länder, aus denen die Journalisten stammen, zumindest eine der ausgesuchten Streaming-Plattformen verfügbar ist. Die Uncensored Playlist kann hier abgerufen werden: Spotify, Deezer, Apple Music.
Folgende Journalisten sind mit ihren Texten bzw. Liedern auf der Uncensored Playlist vertreten:
Chang Ping gehörte zu den bekanntesten Journalisten in China, bevor er 2008 wegen kritischer Artikel unter anderem über die Tibet-Politik der Regierung mit einem Berufsverbot belegt wurde. Zuvor hatte er wegen seiner Berichterstattung dreimal seine Stelle verloren. Er emigrierte nach Hongkong, erhielt dort aber nie eine gültige Arbeitserlaubnis. Seit 2011 lebt der mehrfach mit Preisen für seine Menschenrechtsarbeit ausgezeichnete Journalist im Exil in Deutschland. China steht auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 176 von 180 Staaten. Mindestens 54 Blogger und Journalisten sitzen wegen ihrer Arbeit derzeit im Gefängnis.
Auf der Uncensored Playlist ist Chang Ping, der schon als Kind Sänger werden wollte, mit seinem Artikel „Freedom Cage“ von 2015 vertreten sowie mit „Speech is Freedom“, seiner Dankesrede für den International Press Freedom Award, den ihm die kanadische Journalistenorganisation CJFE 2016 verlieh.
Usbekistan: Korruption und Polizeigewalt
Galima Bukharbaeva ist Gründerin und Chefredakteurin von centre1.com, einem Nachrichtenportal über Zentralasien. Von 2005 bis 2015 war sie Chefredakteurin der unabhängigen Nachrichtenseite uznews.net, eine der wichtigsten Informationsquellen über das Land. In Usbekistan hatte Bukharbaeva unter anderem als Korrespondentin der Nachrichtenagentur AFP und Leiterin des Regionalprogramms am Institute for War and Peace Reporting gearbeitet. Als Augenzeugin des Massakers von Andischan, bei dem usbekische Soldaten Hunderte unbewaffneter Bürger erschossen, musste sie 2005 wegen ihrer kritischen Berichterstattung fliehen. Sie lebte im Exil, unter anderem in den USA und Deutschland. In ihrer Heimat werden unabhängige Journalisten auch nach dem Tod von Diktator Islam Karimow verfolgt, das Internet wird stark zensiert. Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit steht Usbekistan auf Platz 169 von 180 Staaten.
In Bukharbaevas Lied „A businessman died“ geht es um die in Usbekistan allgegenwärtige Gewalt der Polizei, die in offiziellen Statistiken nicht auftaucht, sodass die Hinterbliebenen der Opfer keine Chance auf Aufklärung und Wiedergutmachung haben. „Dear Mr. President“ erzählt die Geschichte des Unternehmers Olim Sulaimonow, den korrupte Beamte zwangen, ins Geldwäschegeschäft einzusteigen.
Ägypten: Dutzende Journalisten im Gefängnis
Basma Abdelaziz ist eine preisgekrönte Schriftstellerin und Kolumnistin aus Ägypten. Sieben Jahre nach der Revolution von 2011 ist Ägypten eines der Länder, in denen weltweit die meisten Journalisten im Gefängnis sitzen. Der Druck auf Journalisten durch die Regierung und durch Geschäftsleute, die dem Regime nahestehen, wächst stetig. Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht es auf Platz 161 von 180 Staaten.
Abdelaziz‘ Lied „Hunger Games“ thematisiert die Ungleichheit zwischen wohlhabenden Regierungsbeamten, die einen ausschweifenden Lebensstil pflegen, während große Teile der Bevölkerung in Armut leben. „Modern Ovens“ beschäftigt sich mit der Verfolgung von Andersdenkenden.
Vietnam: Blogger in Lebensgefahr
Der Blogger Bui Thanh Hieu (Der Windhändler), der heute im Exil in Deutschland lebt, schreibt seit 2005 über Korruption in seinem Heimatland Vietnam. Die kommunistische Partei kontrolliert die Presse dort mit eiserner Hand, Kritik an der Regierung ist verboten. Blogger und Bürgerjournalisten sind die einzigen Quellen für unabhängige Informationen. Viele von ihnen wurden in den vergangenen Jahren verhaftet, zum Teil von der Polizei geschlagen und erhielten jahrelange Haftstrafen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Vietnam auf Platz 175 von 180 Staaten.
Bui Thanh Hieus Lieder in der Uncensored Playlist sind von zweien seiner Blogeinträge inspiriert. „When did Do Dang die?“ erinnert an den tragischen Fall des 17-jährigen Do Dang Du, der unter ungeklärten Umständen im Polizeigewahrsam starb. In „Introducing Chaos“ geht es um die Verfolgung und Verurteilung des prominenten vietnamesischen Politikers und Geschäftsmanns Trinh Xuan Thanh durch korrupte Beamte.
Thailand: Drakonische Strafen für Majestätsbeleidigung
Die Online-Zeitung Prachatai wurde 2004 von einer Gruppe engagierter Menschenrechtsaktivisten, Hochschullehrer und Parlamentsabgeordneter gegründet. Sie ist eine der wenigen Quellen für unabhängige Informationen in Thailand, wo die Behörden seit dem Militärputsch 2014 die Medien und insbesondere das Internet streng kontrollieren. Die Zahl der Prozesse wegen Majestätsbeleidigung, die mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet werden kann, ist rasant gestiegen. Nach dem Tod von König Bhumibol im Oktober 2016 wurde die Zensur erneut verschärft. Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit steht Thailand auf Platz 142 von 180 Staaten.
Das Lied „Infographic“ ist inspiriert von einer in Prachatai veröffentlichten Infografik, die auf besonders drastische Strafen hinweist, die das Militär in Fällen angeblicher Majestätsbeleidigung verhängt hat. In „Underground Radio“ geht es um die Kultur von Exil-DJs im Untergrund, die heimlich kritische Radioprogramme produzieren und versenden und sich damit selbst großer Gefahr aussetzen.
12. März: Welttag gegen Internetzensur
Am 12. März geht auch die Webseite online, auf der das Projekt noch einmal ausführlich präsentiert wird, mit Portraits der einzelnen Journalisten und Informationen zu der Situation der Pressefreiheit in den jeweiligen Ländern. Außerdem sind dort auch die Texte der – zuvor zensierten – Journalisten noch einmal im Original zu lesen.
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