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China

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 172 von 180
Hongkong-Länderbericht 01.09.2016

Zunehmende Einflussnahme Chinas

Szene bei der Auflösung von Pro-Demokratie-Protesten in Hongkong im Oktober 2014. © dpa

Vor der Wahl zum Legislativrat in Hongkong am kommenden Sonntag fordert Reporter ohne Grenzen die Behörden der chinesischen Sonderverwaltungszone zu einer Kehrtwende in der Medienpolitik auf. Zensur, willkürliche Lizenzvergaben und die Benachteiligung unliebsamer Medien haben zu einem stetigen Verfall der Pressefreiheit geführt. Immer deutlicher werden die Versuche der chinesischen Regierung sichtbar, die einst für ihre Unabhängigkeit bekannten Medien der früheren britischen Kronkolonie unter Kontrolle zu bringen. In einem ausführlichen Länderbericht ist ROG jetzt der Frage nach der Verantwortung für die zunehmende Repression nachgegangen.

„Die Selbstzensur in Hongkongs Medien entsteht nicht im luftleeren Raum: Medieneigentümer, Chefredakteure und wichtige Anzeigenkunden schaffen ein Klima der Einschüchterung gegen kritische Journalisten“, sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske. „Aber die Hauptverantwortung für die Repressalien liegt bei der politischen Führung in Peking, deren unsichtbare Hand immer öfter in Hongkonger Redaktionen hineinregiert."
Immer mehr wichtige Medien stehen unter Kontrolle der chinesischen Regierung oder KP-naher Unternehmer, Besitzer und Chefredakteure werden durch politische Ämter kooptiert, Zeitungen und Fernsehsender lassen sich für chinesische Propagandazwecke instrumentalisieren.

Beschleunigter Verfall der Pressefreiheit

Bei der Einführung der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen im Jahr 2002 stand Hongkong noch auf Platz 18 von damals 139 bewerteten Ländern. Heute erreicht es nur noch Platz 69 von 180 Staaten und Territorien. Der Hongkonger Journalistenverband HKJA gab in seinem letztjährigen Jahresbericht unter Berufung auf eine Umfrage unter seinen Mitgliedern an, die Journalisten der Sonderverwaltungszone bewerteten das Niveau der Selbstzensur auf einer Skala von eins (sehr selten) bis zehn (sehr häufig) mit durchschnittlich sieben. Als besonders heikel gelten kritische Veröffentlichungen über die Regierung in Peking oder über große heimische Unternehmen. 

Der Verfall der Medienfreiheit hat sich seit 2012 beschleunigt –  dem Jahr, in dem in Peking Xi Jinping an die Spitze der Kommunistischen Partei aufstieg. Hongkongs Journalisten ist seitdem wenig erspart geblieben: Redakteure wurden aus politischen Motiven kaltgestellt oder gekündigt, Artikel zensiert oder auf den hinteren Zeitungsseiten versteckt, mehrere Medien an Peking-freundliche Investoren verkauft. Hinzu kommen rückläufige Anzeigenumsätze und Einflussnahme durch Hongkongs Politiker. Eingriffe in die redaktionelle Unabhängigkeit sind an der Tagesordnung. 

Unter dem Titel „Die unsichtbare Hand auf Hongkongs Medien“ lenkt der nun veröffentlichte ROG-Länderbericht den Blick auf die Männer und Frauen, deren konkrete Entscheidungen das vermeintlich abstrakte Phänomen Selbstzensur hervorbringen.

Alltägliche Zensur, Behördendruck, Drohungen und Angriffe

So feuerte vergangenen April die Tageszeitung Ming Pao überraschend ihren stellvertretenden Chefredakteur Keung Kwok-yuen – nur Stunden, nachdem das Blatt im Zuge der internationalen Enthüllungen der „Panama Papers“ über Offshore-Firmen zweier Hongkonger Regierungsmitglieder berichtet hatte. Proteste der Redaktion blieben erfolglos. Interne Zensur ist bei Ming Pao alltäglich geworden, seit Anfang 2014 Chefredakteur Kevin Lau gegen den Widerstand der Redaktion durch den KP-treuen Chong Tien-siong ersetzt wurde. Dessen Gefolgsmann Lui Ka-ming stoppte im Juli 2014 sogar die Druckerpressen, um einen Text über die Pro-Demokratie-Demonstrationen in Hongkong von der Titelseite zu werfen.

Der geschasste Chefredakteur Lau wiederum wurde kurz nach seiner Entlassung bei einem Angriff mit einem Fleischermesser schwer verletzt. Zwar wurden inzwischen zwei Männer als Täter verurteilt, doch über ihre Motive haben sie niemals Auskunft gegeben, und das Gericht bewertete die Tat nicht als Angriff auf die Pressefreiheit.

Der private Radiosender Commercial Radio Hong Kong erhielt seit 2013 immer wieder Warnungen der Regierung wegen seiner politischen Berichterstattung – nicht zuletzt von Verwaltungsschef CY Leung persönlich. Im November 2013 nahm der Sender schließlich auf Druck der für die Lizenzvergabe zuständigen Kommunikationsbehörde die Sendung von Star-Moderatorin Li Wei-ling aus dem Programm und entließ Li drei Monate darauf. 

Die Peking-kritische Zeitung Apple Daily und ihr Eigentümer Jimmy Lai sind immer wieder Ziele tätlicher Angriffe, Einschüchterungsversuche und Drohungen, aber auch wirtschaftlichen Drucks. So kündigten Ende 2013 vier Banken – HSBC und Standard Chartered sowie die in Hongkong ansässige Bank of East Asia und die HSBC-Tochter Hang Seng Bank – ihre langjährigen Werbeverträge, womit dem Blatt auf einen Schlag ein Großteil seiner Anzeigeneinnahmen wegbrach.

Nach Zählung des Journalistenverbands HKJA haben die Regierung in Peking oder chinesische Konzerne inzwischen die direkte Kontrolle oder Anteile an acht der 26 wichtigsten Hongkonger Medien. Die Eigentümer oder Chefredakteure von mehr als der Hälfte der führenden Hongkonger Medien sollen politischen Gremien in China wie dem Nationalen Volkskongress oder der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes angehören.

Anzeichen für wachsenden Einfluss Pekings

Auch in jüngster Zeit mehren sich die Anzeichen für einen wachsenden Einfluss der chinesischen Regierung. Im Juli erregte etwa die Zeitung South China Morning Post (SCMP) mit einem Exklusivinterview Aufsehen, in dem sich eine soeben aus fast einjähriger Geheimhaft in China aufgetauchte Menschenrechtsaktivistin reuevoll über ihren früheren „Irrweg“ zeigte – noch bevor es ihrem Mann und ihrem Anwalt gelang, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Kritiker sind überzeugt, die Zeitung habe sich von den chinesischen Behörden als Propagandaorgan für eines der erzwungenen „Geständnisse“ einspannen lassen, die unter Xi Jinping in Chinas Staatsmedien gängige Praxis geworden sind.

Das 1903 gegründete, einst als journalistisches Flaggschiff gerühmte Traditionsblatt SCMP durchlebt seit einem Wechsel in der Chefredaktion 2012 ein langsames Siechtum. Seit der milliardenschwere, als regimetreu geltende chinesische Internet-Unternehmer Jack Ma durch einen Deal vom vergangenen Dezember Eigentümer der Zeitung wurde, sind die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit weiter gewachsen. Top-Manager von Mas Konzern Alibaba haben zu Protokoll gegeben, sie wollten mit der Zeitung ein Gegengewicht zu einer negativen Wahrnehmung Chinas in den westlichen Medien setzen.

Anfang August veröffentlichten die Zeitung Oriental Daily News und der Fernsehsender Phoenix Interviews mit einer zuvor monatelang von den chinesischen Behörden verschleppten Menschenrechtsanwältin, die unter ähnlich suspekten Umständen wie das umstrittene SCMP-Interview zustande kamen. Phoenix TV hatte im Februar schon die offensichtlich erzwungenen „Geständnisse“ mehrerer Hongkonger Buchhändler und Verleger gezeigt, die ebenfalls von chinesischen Sicherheitsbehörden verschleppt worden und erst nach Monaten in chinesischem Polizeigewahrsam aufgetaucht waren.

Haftstrafen für Versand eines Hongkonger Magazins nach China

Ende Juli verurteilte ein Gericht im chinesischen Shenzhen zwei Hongkonger Journalisten zu Gefängnisstrafen für das Betreiben eines "illegalen Unternehmens", weil sie Exemplare eines politischen Magazins per Post nach China geschickt hatten. Herausgeber Wang Jianmin erhielt fünf Jahre und drei Monate, Chefredakteur Guo Zhongxiao zwei Jahre und drei Monate Haft. Die beiden veröffentlichten zwei Zeitschriften, New Way Monthly und Multiple Face, die sich mit den Vorgängen in der Kommunistischen Partei Chinas beschäftigten. Wangs Anwälte betonen, die Verurteilten hätten kein Versandgeschäft betrieben, sondern lediglich ein paar Exemplare an Freunde geschickt. 

Einer der wenigen Lichtblicke in der Hongkonger Medienlandschaft ist die Gründung einer ganzen Reihe neuer Online-Medien. Allein zwischen Mitte 2015 und Mitte 2016 starteten mindestens fünf solche Neugründungen, darunter die unabhängige englischsprachige Website Hong Kong Free Press und das investigative, durch Crowdfunding finanzierte Portal FactWire. Auch bei manchen der Neugründungen steht allerdings die Frage im Raum, inwieweit sie von chinesischem Geld und Einfluss abhängen.



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