Deutschland
20.10.2016
BND-Gesetz: Verfassungsbruch mit Ansage
Mit Entsetzen verfolgt Reporter ohne Grenzen die geplante Verabschiedung des neuen BND-Gesetzes am Freitag (21.10.) im Bundestag. Mit der Reform will die große Koalition die Überwachung ausländischer Journalisten im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst erlauben und damit eine schwere Verletzung des Grundrechts auf Meinungs- und Pressefreiheit legalisieren.
Diese Reform ist ein Verfassungsbruch mit Ansage“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Dass die große Koalition ein so folgenschweres Gesetz ohne jeden Versuch einer Nachbesserung durchwinkt, zeugt von einer bemerkenswerten Geringschätzung nicht nur für die Kritik der Zivilgesellschaft, sondern auch für Grundrechte wie die Pressefreiheit. Künftig wird sich jedes repressive Regime, das ausländische Journalisten bei Bedarf auf der Grundlage schwammiger Gesetze überwachen will, auf das Vorbild Deutschlands berufen können.“
Nach ROG-Informationen wollen die Fraktionen von CDU/CSU und SPD ihren Gesetzentwurf von Anfang Juli am Freitag ohne nennenswerte Änderungen verabschieden. Somit wird der BND Journalisten und andere Berufsgeheimnisträger außerhalb der EU künftig wohl praktisch schrankenlos überwachen dürfen, wenn dies im politischen Interesse Deutschlands ist.
Die große Koalition setzt sich damit komplett über die einhellige Kritik von Medienverbänden und Menschenrechtsorganisationen, drei Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen, der OSZE-Beauftragten für Medienfreiheit und dem Rechtsausschuss des Bundesrats hinweg – ebenso wie über rechtliche und technische Einwände.
20.000 Unterschriften gegen die Reform
Reporter ohne Grenzen hat mit einem internationalen Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen – darunter Amnesty International, die großen deutschen Journalistenverbände, der Deutsche Anwaltverein, PEN International, der Europäische Journalistenverband und der Weltverband der Zeitungsverleger – Tausende Unterschriften gegen diese Regelung gesammelt.
Gemeinsam mit zwei ähnlich lautenden Petitionen von Amnesty International und der Netzaktivistin Katharina Nocun, der sich zahlreiche Bürgerrechts- und Datenschutzverbände angeschlossen haben, sind mehr als 20.000 Unterschriften gegen die Reformpläne zusammengekommen. Sie sollen dem Bundestag am (heutigen) Donnerstag im Anschluss an eine Mahnwache vor dem Brandenburger Tor übergeben werden. Ein Übergabetermin mit den Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU/CSU) und Thomas Oppermann (SPD) kam trotz wochenlanger Bemühungen nicht zustande.
Abgestufter Grundrechtsschutz je nach Nationalität
Die Reform sieht abhängig von der Nationalität der Betroffenen künftig einen abgestuften Grundrechtsschutz vor: Deutsche wird der BND im Rahmen seiner massenhaften Filterung von Kommunikationsdaten nicht überwachen dürfen, Europäer nur eingeschränkt, Bürger von Drittstaaten hingegen immer dann, wenn dies die „Handlungsfähigkeit“ Deutschlands sicherstellen oder „Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung“ bringen kann. Journalisten können damit rasch ins Visier des deutschen Auslandsgeheimdienstes geraten – insbesondere, wenn sie sich mit Informanten über politisch brisante Themen austauschen.
Eine Ausnahmeregel für Journalisten, wie sie für gezielte Überwachungsmaßnahmen etwa im G 10-Gesetz über die Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zu finden ist, fehlt im Entwurf für das neue BND-Gesetz komplett. Bisher war umstritten, ob diese Ausnahme auch für ausländische Journalisten und andere Berufsgeheimnisträger gilt. Nun wird klargestellt, dass der BND Journalisten aus Nicht-EU-Ländern ungehindert überwachen darf, wenn dies im Interesse Deutschlands ist. Damit wird – anders als bei gezielten Überwachungsmaßnahmen etwa im G10-Gesetz – nicht einmal eine Abwägung für jeden Einzelfall verlangt, ob das Strafverfolgungsinteresse des Staates die Schwere des Eingriffs in die Pressefreiheit überwiegt.
Massive Kritik von Experten im In- und Ausland
Zu den immer wieder genannten Kritikpunkten an der Reform gehören zu vage Kriterien für die Auslandsüberwachung, die Diskriminierung nach Staatsangehörigkeit beim Grundrechtsschutz und das Fehlen einer wirksamen Aufsicht über den BND.
Zu den fehlenden Schutzrechten für Journalisten haben etwa die UN-Sonderberichterstatter für den Schutz der Meinungsfreiheit, die Situation der Menschenrechtsverteidiger und die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten erklärt: „Der Gesetzentwurf weckt ernsthafte Bedenken, dass ausländische Journalisten und ihre Informanten Ziel von unbegründeter und unverhältnismäßiger Überwachung werden. Dies bedroht wiederum ihr Recht – und das der Allgemeinheit –, Informationen zu sammeln, zu erhalten und weiterzugeben.“ Ähnliche Bedenken äußerten sie bezüglich des Schutzes der Kommunikation zwischen Anwälten und ihren Klienten.
Die ungewöhnliche Wortmeldung der UN-Experten zu einem deutschen Gesetzesvorhaben zeigt, wie stark die hiesige Debatte um die Konsequenzen aus dem NSA-Skandal auch international wahrgenommen wird. Wenn deutsche Politiker künftig von repressiven Regierungen strikte Rechtsstaatlichkeit bei der Überwachung einfordern, dürften sie deshalb nach dieser Reform kaum mehr als ein müdes Lächeln ernten.
Deutschland steht auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 16 von 180 Ländern. Im vergangenen Jahr hat Reporter ohne Grenzen bereits eine Klage beim Bundesverwaltungsgericht gegen bestimmte Überwachungspraktiken des BND eingereicht.
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