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Rangliste der Pressefreiheit — Platz 10 von 180
Deutschland 16.12.2022

Hinweisgeberschutzgesetz: eine verpasste Chance

Das BND-Gebäude in Berlin.
Geheimnisträger: Das BND-Gebäude in Berlin. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt

Heute (16.12.) wird im Bundestag über das neue Hinweisgeberschutzgesetz abgestimmt. Ein Jahr nachdem die EU-Richtlinie zum Whistleblowing hätte umgesetzt werden müssen, kommt damit ein zäher Gesetzgebungsprozess in Deutschland zum Abschluss. In der nun vorliegenden Form erhöht das Hinweisgeberschutzgesetz jedoch die Hürden, Informationen über Missstände und Korruption gegenüber Medien offenzulegen. Es führt hohe Anforderungen ein, ab wann Whistleblowerinnen und Whistleblower auf Medien zugehen dürfen, und erschwert die Weitergabe von Verschlusssachen auch in gerechtfertigten Fällen. 

„Systematisches Fehlverhalten aufzuklären ist ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit und eine zentrale Aufgabe der Medien“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Anders als im Koalitionsvertrag angekündigt, trägt das Hinweisgeberschutzgesetz kaum dazu bei, dass Hinweisgebende rechtssicher auf Medien zugehen können.“

Whistleblowing ist im Interesse der Öffentlichkeit

Hinweise von Whistleblowerinnen und Whistleblowern gegenüber der Presse sind oft ausschlaggebend, um Korruption und Missstände aufzudecken. Insbesondere, wenn es um Wirtschaftskriminalität oder illegale Geheimdienstaktivitäten geht, macht die Zusammenarbeit von Investigativjournalisten und Whistleblowerinnen systematische Missstände sichtbar, die große Teile der Gesellschaft betreffen. Ohne Hinweise durch Whistleblowerinnen und Whistleblower sowie dadurch angestoßene Recherchen von  Medien wären zum Beispiel die Korruption im Dieselabgas-Skandal, bei Wirecard oder die Abhöraffäre des NSA nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangt.

Das nun verabschiedete Hinweisgeberschutzgesetz konzentriert sich darauf, dass Whistleblowerinnen und Whistleblower mit Informationen von öffentlichem Interesse jedoch zunächst an nichtöffentliche interne oder externe Meldestellen herantreten sollen. Sogenanntes öffentliches Whistleblowing, unter das auch eine Veröffentlichung durch Medien fällt, ist künftig nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen vom Gesetz abgedeckt, und das auch nur theoretisch. Praktisch müssten Hinweisgebende eine Reihe von Anforderungen erfüllen, bevor sie sich an Medien wenden. Sie können erst dann an die Öffentlichkeit gehen, wenn durch die Meldung an interne und externe Meldestellen Repressalien zu befürchten sind, alle Fristen zur Reaktion auf eine nichtöffentliche Meldung verstrichen sind und durch den Missstand eine „Gefährdung des öffentlichen Interesses“ entsteht.

Mit dieser Formulierung legt das Hinweisgeberschutzgesetz die Latte für öffentliches Whistleblowing höher als noch im Koalitionsvertrag angekündigt: Dort hatten sich die Regierungsparteien vorgenommen, künftig Whistleblowerinnen und Whistleblower zu schützen, wenn sie erhebliches Fehlverhalten von „besonderem öffentlichem Interesse“ aufdecken. Laut Hinweisgeberschutzgesetz jedoch muss schon eine „Gefährdung des öffentliches Interesses“ vorliegen, damit Hinweisgebende an die Öffentlichkeit treten dürfen. Das gilt selbst dann, wenn sie klar nachweisen können, dass gegen Recht verstoßen wurde. Was genau unter diese juristische Formulierung fällt, können juristisch nicht versierte Whistleblowerinnen und Whistleblower schwer interpretieren. Die Formulierung ist außerdem nicht konsistent mit anderen im deutschen Gesetz etablierten Standards. Im Geschäftsgeheimnisgesetz wurde beispielsweise die Schwelle für die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen festgelegt. Darin ist öffentliches Whistleblowing erlaubt, wenn es dazu dient, rechtswidrige Handlungen und gravierendes Fehlverhalten aufzudecken. 

Das Hinweisgeberschutzgesetz unterschreitet dieses Schutzniveau mit der schwammigen Formulierung und schafft damit neue Rechtsunsicherheit für Hinweisgebende. Der Gesetzgeber hat hier verpasst, die Grundlage für ein rechtssicheres Meldesystem an Medien zu schaffen, und stattdessen die Hürden für öffentliches Whistleblowing eher erhöht.  

Weitergabe von Verschlusssachen bleibt rechtlich riskant

Pauschal ausgenommen vom Geltungsbereich des Gesetzes ist außerdem die Verbreitung von Informationen, die die nationale Sicherheit oder Nachrichtendienste betreffen, sowie sogenannte Verschlusssachen, also als geheim oder vertraulich eingestufte Dokumente, oberhalb der Einstufung „Nur für den Dienstgebrauch“. Wer diese zugänglich macht, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Viele Organisationen, insbesondere Behörden, können Unterlagen großzügig als geheim klassifizieren, auch wenn der Inhalt eine solche Einordnung nicht rechtfertigt. 

Der Rechtsausschuss hat zwar Kritik an dieser Regelung aufgenommen und fordert, dass bestehende Hinweisgeberschutzssysteme in den Bereichen der nationalen Sicherheit, der Nachrichtendienste und Verschlusssachen überprüft und eine unabhängige Kontrollinstanz zur Einstufung von Verschlusssachen eingerichtet werden. Doch sind diese sinnvollen Punkte rein politische Forderungen und kein verbindlicher Bestandteil des Gesetzes. 

Das erschwert die journalistische Kontrolle in diesen Bereichen stark, denn in solchen sensiblen Bereichen sind Dokumente oft pauschal als Verschlusssache eingestuft. Prominente Fälle haben in der jedoch Vergangenheit gezeigt, wie sehr demokratische Öffentlichkeit auf mediale Berichterstattung angewiesen ist: die Abhörpraktiken deutscher Geheimdienste sind erst aufgedeckt worden, als der Whistleblower Edward Snowden Medien über das Vorgehen der NSA informiert hatte. Auch die öffentliche Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex wäre ohne die Auswertung von oft als geheim eingestuften Unterlagen und Hinweisen durch die Presse nicht möglich gewesen.   

Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie der EU: ein zäher Prozess

Bereits 2019 hat die Europäische Union eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblowing-Richtlinie) verabschiedet, die bis zum Dezember 2021 von allen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden sollte. In Deutschland ließ sich die Politik hierfür sehr lange Zeit: Ein Jahr nach Ablauf der von der EU vorgesehenen Frist wird der Gesetzentwurf voraussichtlich heute im Bundestag verabschiedet. 

Justizminister Marco Buschmann machte mit der Aussage „Hinweisgeberschutz ist Unternehmensschutz“ früh deutlich, dass das Hauptaugenmerk der Debatte auf dem Schutz von Unternehmen vor belastenden Meldungen lag. RSF und andere zivilgesellschaftliche Organisationen wiesen wiederholt darauf hin, dass der Gesetzesentwurf Rechtssicherheit, Schutz und Anonymität der Whistleblowerinnen und Whistleblower, aber auch das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufklärung schwerwiegender Missstände nicht genügend berücksichtigt. Diese Empfehlungen werden im heute zur Abstimmung stehenden Gesetz jedoch nur unzureichend umgesetzt. So werden Missstände weiterhin nur in Ausnahmefällen an die Öffentlichkeit gelangen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland derzeit auf Rang 16 von 180.



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