Digitale Überwachung
28.10.2021
RSF und Journalisten klagen gegen Staatstrojaner
Reporter ohne Grenzen (RSF), das Whistleblower-Netzwerk und Investigativjournalistinnen und -journalisten klagen gegen die Befugnisse der deutschen Nachrichtendienste zur digitalen Überwachung ihrer beruflichen Kommunikation. Mit der Reform des Verfassungsschutzrechts räumte der Deutsche Bundestag im Juni 2021 erstmals allen Nachrichtendiensten die Möglichkeit ein, mittels Spähsoftware in Smartphones und Computer einzudringen und verschlüsselte Nachrichten und Telefonate via Signal, Telegram, WhatsApp und Co. mitzuschneiden.
Auch Journalistinnen und Journalisten und andere Unbeteiligte können Ziele solcher Überwachungsmaßnahmen werden, wenn sie mit nachrichtendienstlich relevanten Personen in Kontakt treten. Die Klägerinnen und Kläger sehen darin einen Eingriff in das Redaktionsgeheimnis und eine Gefahr für investigative Recherchen in Deutschland. Durch Eilanträge vor verschiedenen Verwaltungsgerichten wollen sie nun ein Verbot des Einsatzes von Staatstrojanern durch den Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundesamt (BfV) sowie die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) und den Militärische Abschirmdienst (BAMAD) gegen unverdächtige Nebenbetroffene erwirken.
„Dieses Gesetz ist auch ein Angriff auf den Informantenschutz im digitalen Raum“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Nebensächlichkeit, kann große Konsequenzen für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten haben. Einmal mehr ziehen wir gegen ein Gesetz vor Gericht, das Sachverständige für verfassungswidrig erklärt haben und das dennoch übereilt und ohne Rücksicht auf die Folgen für den Journalismus und die Pressefreiheit in Deutschland verabschiedet wurde.“
Im Mai hatten die vom Innenausschuss konsultierten Rechtsexperten vor dem hohen Missbrauchspotenzial der neuen Hackingbefugnisse gewarnt. Man laufe mit dem Gesetz „sehenden Auges in die Verfassungswidrigkeit“, bilanzierte der Göttinger Rechtsexperte Dr. Benjamin Rusteberg. RSF hatte wiederholt vor der Aushöhlung journalistischer Schutzrechte gewarnt.
Reporter ohne Grenzen reichte nun mit Unterstützung von Härting Rechtsanwälte einen Eilantrag vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein. RSF-Vorstandsmitglied Martin Kaul, der als Investigativjournalist für WDR Investigativ und die Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung tätig ist, sowie der Investigativjournalist Christian Fuchs, der für Die Zeit arbeitet, stellten weitere Eilanträge vor dem Verwaltungsgericht Köln. Auch die mehrfach ausgezeichnete Investigativjournalistin Christina Schmidt, die ebenfalls für Die Zeit tätig ist, geht juristisch gegen die Überwachungsbefugnisse vor.
Auswirkungen auf Quellen- und Informantenschutz
Kaul, Fuchs und Schmidt recherchieren seit Jahren zu rechtsextremen Netzwerken und stehen dazu regelmäßig auch mit Personen aus dem Beobachtungsfeld von Verfassungsschutz und BAMAD in Kontakt. Sie befürchten, dass die neue Rechtspraxis den Sicherheitsbehörden nicht nur Erkenntnisse über deren mögliche Zielpersonen geben kann, sondern den Behörden dabei auch Einblicke in journalistische Quellenführung, redaktionelle Vorgänge und, beispielsweise, Publikationsabsichten verschafft. Die Journalistinnen und Journalisten kritisieren unter anderem, dass nach neuer Rechtslage in vielen Fällen nicht einmal eine Unterrichtungspflicht im Nachhinein existiert, wenn Journalisten zum Beifang staatlicher Überwachung geworden sind.
RSF sieht sich aufgrund seines Austauschs mit ausländischen Investigativjournalistinnen und -journalisten einem erhöhten Risiko ausgesetzt, von Überwachungsmaßnahmen des Bundesnachrichtendienstes erfasst zu werden. Das Szenario gewinnt an zusätzlicher Brisanz, nachdem verschiedene deutsche Medien kürzlich darüber berichteten, dass auch der BND die umstrittene Spähsoftware Pegasus einsetzt. Dutzende Staaten sollen mithilfe des Programms regierungskritische Journalistinnen und Menschenrechtsverteidiger ausspioniert haben. Pegasus bietet technische Möglichkeiten der totalen Übernahme aller Funktionen eines Smartphones, die wiederum weit über die Befugnisse hinausreichen, die mit den diesjährigen Reformen der Nachrichtendienstgesetze geschaffen wurden.
Nebenbetroffene werden nicht über Überwachung informiert
Als „Nebenbetroffene“, denen selbst kein Verdacht anlastet und kein Verfahren gemacht wird, würden die Klägerinnen und Kläger von einer verdeckten Überwachung nichts erfahren. Ein effektiver Rechtsschutz ist damit ausgeschlossen. Die mangelnde Möglichkeit zur wirksamen Beschwerde gegen nachrichtendienstliche digitale Überwachungsmaßnahmen griff RSF bereits in einer laufenden Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. Die nun eingereichten Eilanträge hinterfragen zusätzlich, ob das G10-Gesetz, das Eingriffe in das Grundrecht des Kommunikationsgeheimnisses regelt, überhaupt als Grundlage für den extrem weitreichenden Eingriff in das IT-Grundrecht dienen kann. Aus Sicht der Klägerinnen und Kläger ist eine grundsätzliche Neuregelung nötig, die die Überwachung von Medienschaffenden als Mittel zur Verfolgung von Verdachtspersonen ausschließt.
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