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Deutschland

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 10 von 180
Neues BND-Gesetz: 09.07.2020

Journalisten vor Überwachung schützen

© picture alliance / Geisler-Fotopress | Sven Kanz/Geisler-Fotopress

Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die Bundesregierung auf, den umfassenden Schutz vertraulicher Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten vor geheimdienstlicher Überwachung im neuen Gesetz des Bundesnachrichtendienstes (BND) festzuschreiben. Im Mai hatte das Bundesverfassungsgericht das 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz unter anderem aufgrund unzureichender Vorkehrungen zum Schutz der Pressefreiheit für verfassungswidrig erklärt. RSF war in dem Verfahren vor dem Verfassungsgericht beschwerdeführende Organisation.

Derzeit erarbeitet das Kanzleramt ein neues Gesetz für die Aufklärungsarbeit des Bundesnachrichtendienstes; ein erster Entwurf wird noch in der parlamentarischen Sommerpause erwartet. In einem Positionspapier formuliert Reporter ohne Grenzen Empfehlungen zur verfassungs- und pressefreiheitskonformen Neufassung des Gesetzes. Der Spiegel hat vorab über die Kernforderung eines modernen, auf Prozesse journalistischer Arbeit bezogenen Verständnisses des Journalismusbegriffs berichtet, das die Schutzrechte großer Redaktionen ebenso wie die unabhängiger Bloggerinnen und Blogger in von Medienzensur geprägten Staaten berücksichtigen muss. Auch die Interessen der Bundesregierung an aktuellen Lagebeurteilungen rechtfertigen keine massenhafte Überwachung journalistischer Kommunikation. Die Kontrolle der Aufklärungsarbeit muss ausgebaut werden.

„Das Karlsruher Urteil ist unmissverständlich: Der BND hat auch die vertrauliche Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten im Ausland und ihren Quellen zu schützen“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Die Konsequenz aus dem Urteil muss ein klares Umdenken in Bezug auf die demokratischen Grenzen nachrichtendienstlicher Arbeit sein. Der Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen und eine effektive Kontrolle, die mit den Möglichkeiten des BND mithält, sind notwendige Grundpfeiler der demokratischen Legitimierung des Dienstes. Nach den Überwachungsskandalen des vergangenen Jahrzehnts ist eine umfassende Reform überfällig.“

Wer fällt unter die Berufsbezeichnung Journalist?

Die Karlsruher Richterinnen und Richter stellten in ihrem Urteil teils sehr konkrete Anforderungen an die Neufassung des Gesetzes, zu denen die Schaffung „qualifizierte[r] Eingriffsschwellen“ für die Überwachung von Medienschaffenden gehört. Das Urteil lässt jedoch Spielraum in Bezug auf die Eingrenzung des Journalismusbegriffs, fehlt es doch an einer international gültigen Definition. Reporter ohne Grenzen plädiert angesichts der Bandbreite der Formen journalistischer Arbeit und mit Blick auf oft politisch motivierte Zugangsbeschränkungen zum Journalistenberuf für ein Verständnis, das sich an Kriterien unabhängiger journalistischer Arbeit orientiert, und nicht etwa an der Zugehörigkeit zu einem etablierten Medium. Konkret schlägt das Papier die Orientierung am europäischen Normstandard der von Reporter ohne Grenzen mitangestoßenen Journalism Trust Initiative vor, der eine Zertifizierung vertrauenswürdiger Medien und deren erleichterte Identifizierung durch Algorithmen ermöglichen soll.

Kritik übt Reporter ohne Grenzen daran, dass wahrscheinlich auch künftig Medienschaffende und ihre Quellen überwacht werden dürfen, wenn es um die Information der Bundesregierung geht. Das Bundesverfassungsgericht bewertete die Sammlung von Daten und Informationen aus Überwachungsmaßnahmen als weniger schwerwiegend, insofern sie allein in Lageberichte für die Bundesregierung einfließen, und schrieb damit eine für den BND attraktive Ausnahmeregelung in das Urteil. Zwar drohen Journalistinnen und Journalisten in diesem Fall keine direkten Repressalien, dennoch stellt ihre Überwachung einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen und das Vertrauen von Quellen dar – begründet allein mit dem Informationswert der Ergebnisse journalistischer Arbeit.

Die Bundesregierung würde damit einen Trend fortsetzen, der sich durch die stetige Erweiterung der Befugnisse von Sicherheitsbehörden im digitalen Raum zieht: Vormals robuste Abhör- und Durchsuchungsverbote in Bezug auf Journalistinnen und Journalisten werden durch relative, einer Abwägung von Interessen unterliegende Schutzrechte ersetzt. Entsprechendes gilt für die parallel zur BND-Gesetzesreform laufende Überarbeitung des Verfassungsschutzgesetzes, die allen deutschen Nachrichtendiensten den Einsatz von Staatstrojanern gegen Medienschaffende ermöglichen soll.

Umso wichtiger wird demgegenüber eine effektive Kontrolle der Nachrichtendienste. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgericht wurde deutlich, dass die aktuellen personellen Ressourcen nicht ausreichen. Hinzu kommt, dass die Zugriffsbefugnisse in ihrer Zersplitterung über verschiedene Gremien den praktischen Möglichkeiten des Bundesnachrichtendienstes nicht gerecht werden. Um den im Karlsruher Urteil geforderten Ausbau einer „unabhängigen objektivrechtlichen“ Kontrolle kommt die Bundesregierung nun nicht mehr herum. Über die Rechtsprüfung hinter verschlossenen Türen hinaus braucht es Maßnahmen wie vermehrte Stichproben, eine mögliche Einbindung von Fachleuten aus dem journalistischen Bereich, Möglichkeiten zur Offenlegung von Missständen und eine gestärkte parlamentarische Kontrolle um verlorenes öffentliches Vertrauen zurückzugewinnen.



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