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EU-Überwachungsexporte 06.11.2020

Warnung vor faulem Kompromiss

Symbolbild Dual Use
© dpa

Vor den anstehenden finalen Verhandlungen über die Reform der EU-Exportkontrollen von Dual-Use-Gütern rufen Reporter ohne Grenzen (RSF), Amnesty International und weitere Organisationen den Rat der Europäischen Union dazu auf, dringend notwendige Vorgaben zum Schutz von Menschenrechten festzuschreiben. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft drohen die EU-Institutionen nach vier Jahren stockender Verhandlungen einen Reformtext zu verabschieden, der dem ursprünglichen Vorhaben, EU-Exporte von Überwachungstechnologie in autoritäre und menschenrechtsverletzende Staaten zu verhindern, nicht gerecht wird.

„Sollten die EU-Institutionen den Entwurf verabschieden, wäre dies ein Armutszeugnis für die europäische Menschenrechtspolitik. Die verhandelnden Parteien müssen diesen Kompromissvorschlag überdenken und den Forderungen der Zivilgesellschaft nachkommen“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Spätestens seit dem Arabischen Frühling wissen europäische Regierungen um die Menschenrechtsverletzungen, die mit Überwachungstechnologien aus der EU weltweit begangen werden. Es wird höchste Zeit, dass die EU endlich wirksame Vorkehrungen zum Schutz der Menschenrechte trifft und der Industrie angemessene Sorgfaltspflichten auferlegt.“

Reporter ohne Grenzen, Access Now, Amnesty International, Human Rights Watch und weitere Organisationen machen in dem offenen Brief erneut auf konkrete Änderungsmöglichkeiten aufmerksam, die zu einer effektiveren, einheitlichen Kontrolle führen und die Transparenz des Handels erhöhen würden. Der Brief enthält eine letzte Aufforderung an den Rat vor dem wahrscheinlichen Abschluss der Verhandlungen in der kommenden Woche, dessen Position dringend zu überdenken, um seinen Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen.

Den zivilgesellschaftlichen Empfehlungen, die im Juni erneut an die Europäische Kommission gerichtet wurden und in denen diese aufgefordert wurde, ihre Position zur Neufassung der Dual-Use-Regelung zu stärken, wurde nicht entsprochen.

Reformverhandlungen seit 2016

Überwachungstechnologie wie zum Beispiel Spähsoftware, Datenzentren zur Vorratsdatenspeicherung oder Ausrüstung für die Überwachung von Demonstrationen zählen zu sogenannten Dual-Use-Gütern. Das sind Produkte, die sowohl für zivile als auch militärische Vorhaben genutzt werden können. 2015 wurde Überwachungstechnologie erstmals ebenso wie konventionelle Rüstungsgüter in die Dual-Use-Verordnung der EU aufgenommen, um ihre Ausfuhr in Drittstaaten zu kontrollieren.

Doch Unternehmen haben bis heute Schlupflöcher, um mit autokratischen Regimen zu handeln. Deshalb legte die EU-Kommission im September 2016 einen Reformvorschlag vor, der neue Bedrohungen im Zusammenhang mit digitaler Überwachungstechnologie besser erfassen und Menschenrechte als Teil der allgemeinen Ausrichtung auf einen verantwortungsvolleren und wertebasierten Handel berücksichtigen soll.

Das EU-Parlament stellte sich weitgehend hinter den Kommissionsentwurf, der Reformprozess kam dann aber in den Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten ins Stocken. Nach fast eineinhalbjährigen Verhandlungen einigten sich die Mitgliedstaaten im Juni 2019 auf eine Position, die Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger auf ganzer Linie enttäuschte; Zentrale Passagen wurden gestrichen, die Definition von Überwachungstechnologie verwässert. Forderungen nach staatlicher Transparenz und nach Sorgfaltspflichten für die Unternehmen wurden fallengelassen. Der nun unter der deutschen Ratspräsidentschaft ausgearbeitete Textvorschlag, der zu einer Einigung mit dem Europäischen Parlament führen soll, bleibt ebenfalls deutlich hinter den Erwartungen der Zivilgesellschaft zurück, wie der offene Brief ausführt.

Europäische Technologie in autoritären Staaten

Reporter ohne Grenzen setzt sich seit 2012 für eine wirksame Regulierung von Überwachungsexporten ein. Schon 2014 forderte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein EU-weites Verbot solcher Exporte in autoritäre Staaten. Deutsche und europäische Spähsoftware war während des arabischen Frühlings gegen Medienschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisten eingesetzt worden. Seitdem hat sich wenig geändert: Die deutsche Spähsoftware FinSpy wurde laut Kaspersky Lab in mindestens 20 Staaten eingesetzt, darunter in der Türkei und in Myanmar. Die Nichtregierungsorganisation Access Now berichtete 2018 über den Einsatz finnischer Technologie in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Mexiko. Im März wies RSF in seiner diesjährigen Liste der Feinde des Internets unter anderem auf Exporte der spanischen Firma Mollitiam Industries an die kolumbianische Armee hin, deren umfassende Überwachung von Dutzenden Journalistinnen und Journalisten erst kürzlich bekannt wurde.



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