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Rangliste der Pressefreiheit — Platz 23 von 180
Bahrain / Deutschland / Großbritannien 06.02.2013

OECD-Beschwerden gegen Hersteller von Überwachungssoftware

© David Vogt / ROG

Die Münchener Trovicor GmbH und die britisch-deutsche Gamma Group produzieren Überwachungssoftware, die von autoritären Staaten zu Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden kann. Privacy International, Reporter ohne Grenzen, das Bahrain Center for Human Rights (BCHR), Bahrain Watch (BW) und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) haben deshalb OECD-Beschwerden gegen beide Unternehmen eingereicht. Der entsprechende Schriftsatz zu Trovicor wurde heute der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen in Deutschland übergeben, der Schriftsatz zu Gamma am vergangenen Freitag der Nationalen Kontaktstelle in Großbritannien.

Daten aus abgefangenen Telefon- und Internetverbindungen sind insbesondere seit dem Beginn der Massenproteste im Februar 2011 in dem arabischen Golfstaat Bahrain verwendet worden, um Dissidenten festzunehmen und ihnen unter Misshandlungen Geständnisse abzupressen. 

„Die Opfer wurden mit Sätzen konfrontiert, die sie in vertraulichen Telefonaten oder E-Mails geäußert hatten“, sagte Maryam al-Khawaja, geschäftsführende Präsidentin des Bahrain Center for Human Rights. „Es gibt Belege für Menschenrechtsverletzungen auf breiter Front, bei denen auch mit Hilfe des Internets  gegen Dissidenten vorgegangen wurde. Um diese Übergriffe zu stoppen, müssen auch diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die zu ihnen beigetragen haben.“

Erleichtert werden solche Übergriffe durch leistungsfähige Technologie, deren Einsatz allenfalls unter strengster rechtsstaatlicher Kontrolle zu rechtfertigen wäre: Den Beschwerdeführern liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass Trovicor unter anderem in Bahrain Software wartet, mit deren Hilfe Sicherheitsbehörden und Geheimdienste große Datenmengen aus Telefon- und Computerüberwachung abfangen, aufzeichnen und analysieren können. Zudem gibt es Indizien, dass Trovicors Technologie auf das Zusammenwirken mit sogenannten Trojanern ausgelegt ist, die eine noch umfassendere Überwachung bis hin zur Manipulation von Daten erlauben. Ein solches invasives Programm, Gammas FinFisher, wurde auch auf den Rechnern bahrainischer Oppositioneller gefunden.

„Da die Regierungen Exporte von Überwachungstechnologie nicht ordentlich überwachen, werden Firmen wie Gamma und Trovicor ausschließlich durch ihren eigenen moralischen Kompass reguliert”, sagte Eric King, Forschungsdirektor von Privacy International. „Wir hoffen sehr, dass der OECD-Prozess die Unternehmen dazu bringt, ihre aktuellen und künftigen Kunden sehr genau unter die Lupe zu nehmen und die Rolle zu hinterfragen, die ihre Produkte dabei spielen, Aktivisten ins Visier zu nehmen und zu foltern sowie Fürsprecher der Demokratie zu unterdrücken.“

Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen halten Firmen aus den Unterzeichnerstaaten dazu an, bei ihren Auslandsgeschäften internationale Menschenrechtsstandards zu wahren und entsprechende negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit zu vermeiden oder zu vermindern.
Aufgrund der internationalen Berichterstattung über die Proteste der Opposition in Bahrain und deren gewaltsame Niederschlagung müssen sich Trovicor und Gamma seit spätestens Sommer 2011 über die dortigen Menschenrechtsverletzungen im Klaren sein. Dennoch halten Sie nach Kenntnis der Beschwerdeführer an ihren Geschäftsbeziehungen fest.

„Die Firmen laufen Gefahr, Beihilfe zu Folter und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen zu leisten, wenn sie ihre Überwachungssoftware in Staaten wie Bahrain warten und instand halten, obwohl glaubhafte Untersuchungen belegen, dass die bereitgestellte Software durch bahrainische Behörden missbraucht werden kann“, kritisierte Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights. „Sollten sich die vorliegenden Verdachtsmomente bewahrheiten, verstoßen die Unternehmen aus unserer Sicht gegen die OECD-Leitsätze.“

Auf wiederholte Anfragen von Medien und Menschenrechtsorganisationen haben beide Firmen bislang weder umfassend Stellung zu den kritischen Aspekten ihrer Tätigkeit in Bahrain bezogen noch Konsequenzen aus den dortigen Menschenrechtsverletzungen gezogen. Deshalb wenden sich die Organisationen nun im formalen Beschwerdeverfahren an die OECD-Kontaktstellen in Deutschland und Großbritannien.

Ziel der Beschwerden ist, dass Trovicor und Gamma ihre Verträge mit Bahrain und anderen autoritären Staaten offenlegen und auf ihre Menschenrechtsverträglichkeit prüfen. In Ländern, in denen es ausreichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass ihre Technologien zu Menschenrechtsverletzungen beitragen können, müssen die Firmen ihre Lieferungen und Dienstleistungen einstellen. In neue Verträge müssen entsprechende Vertragsklauseln eingefügt, Altverträge sollten nachverhandelt werden. Mit Blick auf künftige Vertragsabschlüsse sollten sich die Unternehmen verpflichten, die Menschenrechtsverträglichkeit sowohl vorab als auch fortlaufend zu überprüfen. Ferner sollten sie mit technischen Vorkehrungen einem Missbrauch ihrer Technologien effektiv vorbeugen.

Die Regierungen Deutschlands und Großbritanniens sind völkerrechtlich verpflichtet, Menschenrechtsverstöße der auf ihrem jeweiligen Territorium ansässigen Unternehmen zu verhindern. Dementsprechend sollten die OECD-Kontaktstellen in beiden Ländern Empfehlungen an Trovicor und Gamma aussprechen und regelmäßig über deren Einhaltung informieren. Beide Regierungen sollten darüber hinaus Empfehlungen an staatliche Stellen und Unternehmen entwickeln, wie Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Produktion und Handel von Überwachungstechnologie verhindert werden können.

„Der unregulierte Handel mit Überwachungstechnologie in autoritären Staaten ist eine der größten Bedrohungen für Pressefreiheit und Menschenrechtsarbeit im Internet“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Exporte solcher digitalen Waffen müssen den gleichen Beschränkungen unterworfen werden wie Auslandsgeschäfte mit traditionellen Rüstungsgütern.“



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