Press Freedom Awards 2023
15.11.2023
Die Nominierten stehen fest
21 Journalistinnen, Fotografen, Medien und Journalistenvereinigungen aus aller Welt sind für die diesjährigen Press Freedom Awards von Reporter ohne Grenzen (RSF) nominiert. Neben den drei etablierten Preiskategorien „Mut“, „Wirkung“ und „Unabhängigkeit“ gibt es in diesem Jahr eine neue Kategorie: den „Lucas Dolega-SAIF“-Fotopreis. Die Press Freedom Awards werden am 28. November 2023 in Brüssel verliehen.
Zu den diesjährigen 21 Nominierten aus 18 Ländern gehören 13 Reporterinnen und Reporter, fünf Fotografinnen und Fotografen, zwei Medienunternehmen und eine Journalistenvereinigung. Sie wurden aufgrund ihrer bedeutenden Beiträge zur Verteidigung und Förderung der Pressefreiheit ausgewählt. Der in diesem Jahr erstmals im Rahmen der Press Freedom Awards verliehene Fotopreis „Lucas Dolega-SAIF“ wurde 2012 von der Society of Authors of Visual Arts and Still Images (SAIF) in Gedenken an den deutsch-französischen Fotojournalisten Lucas Dolega ins Leben gerufen, der 2011 im Alter von 32 Jahren bei der Jasminrevolution in Tunesien getötet wurde.
Zu der Preisverleihung am 28. November 2023 in Brüssel wird unter anderem Oleksandra Matwijtschuk erwartet, Leiterin des ukrainischen Zentrums für bürgerliche Freiheiten und Friedensnobelpreisträgerin 2022. Moderiert wird der Abend von der arte-Journalistin Annette Gerlach.
Nominiert in der Kategorie Mut
Maryna Zolatava (Belarus)
Maryna Zolatava, Herausgeberin von tut.by, der bis zu ihrer Schließung durch die Behörden beliebtesten belarussischen Nachrichtenseite, wurde im März 2023 zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Als Symbolfigur hat sie trotz ständiger Schikanen durch das Regime die Unabhängigkeit ihres Medienunternehmens stets ebenso vehement verteidigt wie die Pressefreiheit in Belarus im Allgemeinen. „Den Medien die Schuld für alle Probleme zu geben, ist, als würde man sich von einem Spiegel beleidigt fühlen“, schrieb sie am Tag vor ihrer Verurteilung. Auch in der Haft schreibt sie weiter und trotzt so dem entmenschlichendem belarussischen Gefängnissystem.
Mohamed Ibrahim Radwan (Mohamed Oxygen) (Ägypten)
Mohamed Radwan ist bekannt unter dem Pseudonym Mohamed Oxygen, das auf seinen Blog Egypt’s Oxygen zurückgeht. Anfang 2019 wurde er nach Verbüßung einer fünfjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen, wurde aber unter Beobachtung gestellt und erhielt ein Berufsverbot. Doch als im September desselben Jahres Proteste ausbrachen, berichtete er trotzdem. Er wurde verhaftet und wegen „Veröffentlichung von Falschnachrichten“ zu weiteren fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Heute steht der Name Mohamed Oxygen in Ägypten als Synonym für mutigen Journalismus.
Nilufar Hamedi und Elahe Mohammadi (Iran)
Die Journalistinnen Nilufar Hamedi und Elahe Mohammadi sind zu Symbolen der iranischen Protestbewegung „Frau-Leben-Freiheit“ geworden. Sie sitzen seit September 2022 im Gefängnis, weil sie zu den ersten gehörten, die über den Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam berichteten. Nilufar Hamedi, Korrespondentin der Tageszeitung Shargh, veröffentlichte ein Foto von Verwandten Aminis in dem Teheraner Krankenhaus, in das sie eingeliefert worden war. Elahe Mohammadi, Reporterin der Tageszeitung Ham Mihan, berichtete über Aminis Beerdigung. Am 22. Oktober 2023 wurden sie wegen „Verschwörung“, „Propaganda“ und „Zusammenarbeit mit der feindlichen US-Regierung“ zu 13 beziehungsweise 12 Jahren Gefängnis verurteilt.
Roberson Alphonse (Haiti)
Der Journalist der Zeitung Le Nouvelliste und Nachrichtendirektor von Radio Magik9, Roberson Alphonse, wird in Haiti für seine Berichterstattung über Politik und die Gewalt bewaffneter Banden geschätzt. Am 25. Oktober 2022 wurde er auf dem Weg zur Arbeit in der Hauptstadtregion Port-au-Prince bei einem gezielten Schusswaffenangriff schwer verletzt. Die Attentäter wurden bis heute nicht identifiziert. Roberson Alphonse musste in die USA fliehen und arbeitet nun aus der Ferne weiter für seine Zeitung und seinen Radiosender. In Haiti verschärfte sich derweil die Sicherheitslage weiter. 2022 wurden in dem Land sechs Journalisten ermordet.
Benazir Shah (Pakistan)
Benazir Shah ist die Chefredakteurin von Geo Fact Check und hat außerdem als stellvertretende Chefredakteurin sowie Chefreporterin für Newsweek Pakistan gearbeitet. Benazir Shah hat eine führende Rolle in der Widerstandsbewegung gegen Cybermobbing-Kampagnen übernommen. In Pakistan werden viele Journalistinnen, die sich zu unabhängig von der offiziellen Linie der zivilen und militärischen Behörden zeigen, mit Online-Hetze überzogen. Zudem berichtet Shah über sehr heikle politische und religiöse Themen, etwa über Polio-Impfkampagnen, die von Pakistans Islamisten abgelehnt werden, und über das Phänomen der Selbstmordattentäterinnen.
Nominiert in der Kategorie Wirkung
Christo Grozev (Russland)
Der bulgarische Investigativjournalist Christo Grozev ist Experte für die russischen Geheimdienste und den Kreml und leitet die Russland-Recherchen auf der Open-Source-Webseite Bellingcat. Es war Christo Grozev, der die Identität der Verdächtigen nach der Vergiftung von Sergej und Julia Skripal 2018 in Großbritannien und von Alexej Nawalny im Jahr 2020 enthüllte und so den Weg für strafrechtliche und parlamentarische Ermittlungen ebnete. Aufgrund der Bedrohung durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB musste er im Februar 2023 Österreich verlassen, wo er bis dahin lebte. Die russischen Behörden hatten ihn bereits im Dezember 2022 auf eine Fahndungsliste gesetzt. Im April 2023 stellte ein Moskauer Gericht einen Haftbefehl aus.
Kavita Devi (Indien)
Kavita Devi ist Mitbegründerin und Herausgeberin von Khabar Lahariya, einer Nachrichten-Webseite, die ausschließlich von Frauen aus sozialen Gruppen und Kasten produziert wird, die in der indischen Gesellschaft traditionell benachteiligt werden – darunter Dalits, Musliminnen und Stammesangehörige. Devi trägt einerseits dazu bei, dass auf vielfältige und unabhängige Weise über diejenigen berichtet wird, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Kaste oder ihrer sozialen Gruppe die traditionellen Machthaber in Indien sind. Andererseits verhilft sie benachteiligten Mitgliedern der indischen Gesellschaft zu einer besseren Sichtbarkeit und mehr Autonomie.
Juan Pablo Barrientos (Kolumbien)
Dank der Arbeit des Journalisten Juan Pablo Barrientos erfuhr Kolumbien im vergangenen Jahr die Identität von 26 katholischen Priestern, denen Sexualverbrechen vorgeworfen wurden. Der Autor des Buches „Dejad que los Niños Vengan a Mí“ („Lasset die Kinder zu mir kommen“) wurde wegen seiner Recherchen zu diesem Thema, aber auch zu Korruption in Politik und Behörden sieben Jahre lang immer wieder strafrechtlich verfolgt, eingeschüchtert und Zensurversuchen ausgesetzt. Seine Berichterstattung hat wesentlich dazu beigetragen, Kriminelle zu identifizieren und gegen Straflosigkeit in Kolumbien vorzugehen.
amaBhungane (Südafrika)
amaBhungane (Zulu für „Mistkäfer“), 2010 gegründet, ist ein investigatives Medienunternehmen, das große Korruptionsfälle unter Beteiligung von Politikern und Geschäftsleuten in Südafrika aufgedeckt hat. Es war amaBhungane, das Beweise dafür fand, dass der südafrikanische Fußballverband ein Bestechungsgeld in Höhe von zehn Millionen Dollar gezahlt hatte, um zu erreichen, dass Südafrika als Austragungsort der FIFA-Weltmeisterschaft der Männer 2010 ausgewählt wurde. Die jüngsten Enthüllungen betreffen angebliche Interessenkonflikte in den Beziehungen zwischen der Regierung von Präsident Emmerson Mnangagwa in Simbabwe und der Moti Group, einem südafrikanischen Unternehmenskonglomerat, das in Simbabwe Bergbau betreibt.
Thanasis Koukakis (Griechenland)
Thanasis Koukakis arbeitet für CNN Griechenland und die Financial Times und war eins der ersten Ziele des Predator-Überwachungsskandals in Griechenland. Während dieser noch immer nicht juristisch aufgearbeitet wurde und Koukakis selbst mit einem missbräuchlichen Verfahren, einem sogenannten SLAPP, überzogen wurde, hat er Recherchen zu seiner eigenen Überwachung gestartet. Thanasis Koukakis, ein Vorbild journalistischer Akkuratesse auf der Suche nach der Wahrheit, hat das undurchsichtige Netzwerk der Überwachungsindustrie hinter dem größten Pressefreiheitsskandal der Europäischen Union der jüngeren Geschichte international ins Rampenlicht gerückt.
Nominiert in der Kategorie Unabhängigkeit
Ihsane el-Kadi (Algerien)
In seiner 35-jährigen Laufbahn als Journalist hat Ihsane el-Kadi, Gründer von Radio M und der Nachrichtenseite Maghreb Émergent, stets die journalistische Unabhängigkeit und Vielfalt in Algerien verteidigt. Im Juni 2022 wurde er zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt. Ein Artikel und ein Tweet brachten ihm im Dezember 2022 eine erneute Verhaftung ein. Sechs Monate später wurde er im Berufungsverfahren wegen des falschen Vorwurfs, illegal Gelder aus dem Ausland erhalten zu haben, zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Dieses völlig ungerechtfertigte Urteil ist eines der schwersten, die jemals gegen einen algerischen Journalisten verhängt wurden. Seine Kassationsbeschwerde wurde am 12. Oktober vom Obersten Gerichtshof abgelehnt.
José Rubén Zamora (Guatemala)
Als Gründer und Herausgeber der Zeitung elPeriódico, die zwei Jahrzehnte lang politische Korruption in Guatemala aufdeckte, war José Rubén Zamora in den vergangenen Jahren zunehmend Drohungen und Schikanen durch die Justiz ausgesetzt. Im Juli 2022 wurde er wegen eines fingierten Geldwäschevorwurfs festgenommen und verbrachte fast ein Jahr in Untersuchungshaft, bevor er im Juni 2023 zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Seine Zeitung musste im Mai 2023 schließen. Zamoras Verurteilung wurde am 13. Oktober aufgehoben. Er bleibt jedoch in Haft, bis ein neuer Prozess stattfindet.
L'Alternative (Togo)
L’Alternative ist eines von nur wenigen unabhängigen Medienunternehmen in Togo. Die Recherchen und Enthüllungen dieser Zeitung werfen immer wieder Schlaglichter auf die Korruption und schlechte Regierungsführung im Land. L’Alternative war auch an großen internationalen Recherchen wie den Panama Papers beteiligt, was zu einer willkürlichen vorübergehenden Schließung des Mediums durch die togoische Kommunikationsbehörde führte. Um einer langjährigen Gefängnisstrafe zu entgehen, mussten Herausgeber Ferdinand Ayité und Chefredakteur Isidore Kouwonou im März 2023 das Land verlassen.
Hong Kong Journalists Association (Hongkong)
Die Hong Kong Journalists Association (HKJA), eine gemeinnützige Organisation, die sich seit 1968 der Verteidigung der Pressefreiheit in Hongkong widmet, ist eine der letzten Organisationen, die sich lautstark für Medienschaffende in der chinesischen Sonderverwaltungszone einsetzt. Seit der Verabschiedung des Nationalen Sicherheitsgesetzes im Jahr 2020 geht Peking unbarmherzig gegen die Zivilbevölkerung in Hongkong vor. Die Hong Kong Journalists Association arbeitet unermüdlich daran, Journalistinnen und Journalisten trotz zunehmender Schikanen durch die Behörden zu unterstützen.
Evi Mariani (Indonesien)
Evi Mariani ist die ehemalige Chefredakteurin der Jakarta Post. Sie engagierte sich immer mehr in Initiativen für kollaborativen Journalismus, bis sie im Mai 2021 das Projekt Multatuli mit aus der Taufe hob. Das innovative Medium fördert Journalismus von öffentlichem Interesse und konzentriert sich auf Segmente der indonesischen Gesellschaft, die von den traditionellen Medien vernachlässigt werden. Es verkörpert die Hoffnung auf einen wirklich unabhängigen Journalismus, der für die Konsolidierung der indonesischen Demokratie von wesentlicher Bedeutung ist.
Nominiert für den Fotopreis „Lucas Dolega-SAIF“
Edward Kaprov, für „The face of latest war“, Ukraine
Karine Pierre, für “Take Me Home!”, Pakistan
Adrienne Surprenant für „Un diamant dans une mer de sable“ („Ein Diamant in einem Meer aus Sand“), Tschad
Robin Tutenges, für „Chinland“, Myanmar
Adrien Vautier für „La bataille de Bakhmout“ („Die Schlacht von Bachmut“), Ukraine
Die diesjährige Preisjury besteht aus prominenten Journalisten und Pressefreiheitsaktivistinnen aus aller Welt. Die Mitglieder der Jury sind Rana Ayyub, indische Journalistin und Kolumnistin der Washington Post; Raphaëlle Bacqué, Chefreporterin von Le Monde; Mazen Darwish, syrischer Anwalt und Präsident des Syrischen Zentrums für Medien- und Meinungsfreiheit (SCM); Zaina Erhaim, syrische Journalistin und Kommunikationsberaterin; Erick Kabendera, investigativer Reporter aus Tansania; Hamid Mir, Nachrichtenredakteur, Kolumnist und Autor aus Pakistan; Frederik Obermaier, Geschäftsführer des deutschen Investigativnetzwerks paper trail media; und Michail Zygar, Gründungschefredakteur von Doschd, Russlands einzigem unabhängigen Fernsehnachrichtensender. Mit Schaffung der neuen Fotopreiskategorie „Lucas Dolega-SAIF“ sind in diesem Jahr die Kriegsreporterin Véronique de Viguerie und der Kriegsreporter Patrick Chauvel der Jury beigetreten. Jury-Vorsitzender ist RSF-Präsident Pierre Haski, ein französischer Reporter und Kolumnist.
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