Hongkong
20.12.2023
RSF beobachtet Prozess gegen Jimmy Lai
Reporter ohne Grenzen (RSF) hat den Prozessbeginn gegen Jimmy Lai am Montag in Hongkong vor Ort beobachtet. Zwei Mitarbeiterinnen sind in die chinesische Sonderverwaltungszone gereist, um im Gerichtssaal mit weiteren internationalen Beobachtern solidarisch an der Seite des Verlegers zu stehen. Lai wird vorgeworfen, gegen ein drakonisches „Sicherheitsgesetz“ verstoßen zu haben. Dem 76-Jährigen droht eine lebenslange Haftstrafe.
Am 18. Dezember standen Aleksandra Bielakowska und Shataakshi Verma, Mitarbeiterinnen des RSF-Büros in Taiwan, ab 5 Uhr morgens in der Schlange vor dem Gericht im Hongkonger Stadtteil West Kowloon. Gemeinsam mit Diplomatinnen und Diplomaten aus den USA, der EU, Großbritannien, Australien und Kanada konnten sie sich einen Platz im Gerichtssaal sichern. Rund 100 Personen, unter ihnen auch Angehörige Lais, haben von dort aus den Prozessauftakt beobachtet, der von einem großen Polizeiaufgebot begleitet wurde. Bei seiner Ankunft im Gericht trug Lai einen Anzug und hatte offenbar an Gewicht verloren. Es war das erste Mal seit 2021, dass er außerhalb des Gefängnisses gesehen wurde.
Lai ist bereits seit Dezember 2020 in einem Hochsicherheitsgefängnis in Hongkong inhaftiert. Wegen der Teilnahme an „nicht genehmigten“ Pro-Demokratie-Demonstrationen und wegen Betrugsvorwürfen verbüßt er bereits Haftstrafen. Im Montag gestarteten Prozess wird Lai „geheime Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften“ gemäß dem „Sicherheitsgesetz“ vorgeworfen. Der Prozess ist für 80 Tage angesetzt. Er sollte ursprünglich am 1. Dezember 2022 starten und wurde seitdem mehrmals verschoben.
Einen Tag vor Prozessbeginn forderte der britische Außenminister David Cameron die Hongkonger Behörden auf, Lai nicht weiter strafrechtlich zu verfolgen und ihn freizulassen. Das Vorgehen gegen Lai sei ein „eindeutiger Versuch, die friedliche Ausübung seiner Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu unterbinden.“ Dies ist das erste Mal, dass die britische Regierung öffentlich die Freilassung von Lai, einem britischen Staatsbürger, fordert.
In den vergangenen drei Jahren haben die chinesischen Behörden das 2020 von Peking auferlegte „Sicherheitsgesetz“ und andere Gesetze als Vorwand genutzt, um mindestens 28 Journalistinnen und Journalisten sowie Verteidiger der Pressefreiheit in Hongkong zu verfolgen. Zwölf von ihnen sitzen weiter im Gefängnis. Die von Jimmy Lai gegründete Zeitung Apple Daily und die Nachrichtenseite Stand News mussten schließen. Ein Klima der Angst führte dazu, dass sechs weitere Medien ihre Arbeit eingestellt haben.
Prozessbeobachtung auch im Verfahren gegen Stand News
Bereits im Juni haben RSF Mitarbeitende aus Taiwan eine Anhörung im Verfahren gegen die beiden ehemaligen Chefredakteure von Stand News beobachtet. Chung Pui-kuen und Patrick Lam stehen wegen „aufrührerischer Veröffentlichungen“ vor Gericht. Fast zwei Jahre nach ihrer Festnahme am 29. Dezember 2021 warten sie immer noch auf ein Urteil in ihrem Prozess.
Das hier zugrunde liegende Gesetz („sedition law“) ist nicht Teil des Sicherheitsgesetzes von 2020, sondern stammt noch aus der britischen Kolonialzeit. Laut der Nachrichtenseite Hong Kong Free Press wurde sie mehr als 50 Jahre lang nicht genutzt, bis sie nach den umfangreichen Protesten gegen ein 2019 geplantes Auslieferungsgesetz wieder verstärkt angewandt wurde. Mitarbeitende der Apple Daily gehörten demnach zu den ersten Medienschaffenden, denen „Aufruhr“ vorgeworfen wurde. Dennoch könnte auch hier das „Sicherheitsgesetz“ eine Rolle spielen. Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler gehen laut der Nachrichtenagentur Reuters davon aus, dass jüngste Gerichtsurteile die Hongkonger Behörden ermächtigt haben, das „Sicherheitsgesetz“ zu nutzen, um Gesetze aus der Kolonialzeit wiederzubeleben.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Hongkong auf Platz 140 von 180 Staaten.
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