Jahresbilanz der Pressefreiheit
Getötete, inhaftierte, entführte und verschwundene Journalistinnen und Journalisten 2021
Die Zahl inhaftierter Medienschaffender ist 2021 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 20 Prozent auf ein Rekordhoch angestiegen. Zum Stichtag 1. Dezember saßen weltweit mindestens 488 Journalistinnen, Journalisten und andere Medienschaffende wegen ihrer Arbeit im Gefängnis, darunter 60 Frauen. 212 der Inhaftierten entfallen allein auf China, Myanmar und Belarus. 65 Journalistinnen und Journalisten gelten derzeit als entführt. Zugleich ist die Zahl der aufgrund ihrer Arbeit getöteten Medienschaffenden mit 46 so niedrig wie seit fast 20 Jahren nicht mehr. Das zeigt die Jahresbilanz der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen (RSF) am Donnerstag (16.12.) veröffentlicht hat.
„Die extrem hohe Zahl willkürlich inhaftierter Journalistinnen und Journalisten ist vor allem das Werk dreier diktatorischer Regime“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Die Zahl spiegelt wider, wie skrupellos sich autoritäre Machthaber weltweit verhalten und wie unangreifbar sie sich fühlen. Der sprunghafte Anstieg ist auch die Folge neuer geopolitischer Machtverhältnisse, in denen diese Regime zu wenig Gegenwind und Gegenwehr seitens der Demokratien in der Welt bekommen.“
Seit RSF die Jahresbilanz 1995 zum ersten Mal veröffentlicht hat, war die Zahl der willkürlich inhaftierten Journalistinnen und Journalisten noch nie so hoch. Zum Stichtag 1. Dezember 2021 zählte RSF insgesamt 488 inhaftierte Journalistinnen, Journalisten und andere Medienschaffende, das sind 20 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. In Myanmar (53 Inhaftierte) hat sich das Militär am 1. Februar 2021 zurück an die Macht geputscht und unterdrückt seitdem die Medien brutal. In Belarus (32) greift der Diktator Alexander Lukaschenko nach seiner gefälschten Wiederwahl mit größtmöglicher Härte durch. In dem Land vor den Toren der EU sind seitdem insgesamt etwa 500 Medienschaffende festgenommen worden, die meisten von ihnen vorübergehend. In China (127) schließlich verschärft Präsident Xi Jinping mit seinem „Sicherheitsgesetz“ die Kontrolle über die Sonderverwaltungszone Hongkong – einst eine Bastion der Pressefreiheit. Gemeinsam mit Vietnam (43) und Saudi-Arabien (31) machen diese fünf Länder 59 Prozent aller Fälle weltweit aus.
Erneut deutlich mehr Journalistinnen in Haft
Auch die Zahl der inhaftierten Journalistinnen ist so hoch wie noch nie seit Beginn der RSF-Zählung. Derzeit sitzen 60 Journalistinnen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit im Gefängnis, ein Drittel mehr als zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr. In China, wo weltweit die meisten Medienschaffenden im Gefängnis sitzen, zählt RSF auch die meisten inhaftierten Frauen. Derzeit sind es mindestens 19, unter ihnen die schwer erkrankte Zhang Zhan. RSF hat sie in diesem Jahr mit dem Press Freedom Award in der Kategorie Mut ausgezeichnet.
In Belarus sind derzeit mehr Journalistinnen (17) als Journalisten (15) inhaftiert. Die ersten beiden Medienschaffenden, die nach Beginn der Proteste im vergangenen Jahr strafrechtlich verurteilt wurden, waren Frauen: Darja Tschulzowa und Kazjaryna Andrejewa. Beide Reporterinnen arbeiten für Belsat, einen unabhängigen belarussischen Fernsehsender mit Sitz in Polen. Ebenfalls inhaftiert ist Maryna Solatawa, die Chefredakteurin der seit Mai 2021 blockierten, sehr populären Nachrichtenseite tut.by. Neben ihr sind 14 weitere Kolleginnen und Kollegen von tut.by derzeit in Haft.
So wenige getötete Medienschaffende wie seit 2003 nicht mehr
Die RSF-Jahresbilanz zeigt auch eine überraschend positive Entwicklung: Vom 1. Januar bis 1. Dezember 2021 wurden 46 Journalistinnen und Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet. Seit 2003 hatte die Zahl der jährlich getöteten Medienschaffenden stets höher gelegen. Zurückzuführen ist dieser Rückgang vor allem die nachlassende Intensität der Konflikte und Kriege in Syrien, im Irak und im Jemen.
Dennoch kommt trotz dieses deutlichen Rückgangs noch immer durchschnittlich fast ein Journalist oder eine Journalistin pro Woche im Zusammenhang mit seiner oder ihrer Arbeit ums Leben. 65 Prozent der im Jahr 2021 getöteten Medienschaffenden sind nach RSF-Zählung gezielt ermordet worden. Die gefährlichsten Länder sind erneut Mexiko mit sieben und Afghanistan mit sechs getöteten Journalistinnen und Journalisten. Im Jemen und in Indien wurden 2021 jeweils vier Medienschaffende getötet.
Fünf entführte Journalisten freigelassen, zwei verschwunden
Weltweit gelten derzeit mindestens 65 Medienschaffende als entführt, zwei mehr als im vergangenen Jahr. Nahezu alle Fälle konzentrieren sich wie im vergangenen Jahr auf drei Länder des Nahen Ostens: auf Syrien, Irak und den Jemen. Die einzige Ausnahme bildet Olivier Dubois, ein französischer Journalist, der im April 2021 in Mali entführt wurde. Insgesamt fünf Medienschaffende wurden im laufenden Jahr freigelassen. Neu als verschwunden gemeldet wurden zwei mexikanische Journalisten. Von ihnen fehlt jedes Lebenszeichen.
Dramatische Einzelschicksale
Neben diesen Zahlen wirft die RSF-Jahresbilanz 2021 auch ein Schlaglicht auf einige besonders dramatische Fälle. Die längsten Haftstrafen im zu Ende gehenden Jahr wurden gegen Ali Abu Luhom in Saudi-Arabien und gegen Pham Chi Dung in Vietnam verhängt, beide wurden zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Unter extrem langwierigen, geradezu kafkaesken Gerichtsprozessen leiden Amadou Vamoulké in Kamerun und Ali Anouzla in Marokko. Die ältesten inhaftierten Journalisten sind Kayvan Samimi im Iran, 73, und Jimmy Lai in Hongkong, der gerade 74 Jahre alt geworden ist. Die drakonischste Strafe droht Julian Assange, dessen Auslieferung an die USA zuletzt vom britischen High Court erlaubt wurde. Ihm drohen insgesamt 175 Jahre Haft.
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