Türkei
08.05.2020
Geflüchtete iranische Journalisten akut bedroht
Reporter ohne Grenzen appelliert an die Türkei und an das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), die Umsiedlung geflüchteter iranischer Journalistinnen und Journalisten in sichere Drittstaaten zu beschleunigen. In der Türkei sind diese Medienschaffenden und ihre Familien akut von Repressalien iranischer Geheimdienste bedroht. Ein Mord und eine Entführung in jüngerer Zeit zeigen, wie real diese Gefahren sind. Zuletzt hat sich die Lage geflüchteter iranischer Medienschaffender weiter verschärft, weil die türkischen Behörden ihre Asyl- und Umsiedlungsanträge unter anderem wegen der Coronavirus-Pandemie nur noch sehr schleppend bearbeiten. Aktuell hat Reporter ohne Grenzen Kenntnis von zwölf iranischen Medienschaffenden, deren Situation in der Türkei äußerst bedrohlich ist.
„Die Türkei muss geflüchtete Journalistinnen und Journalisten wirksam schützen und sie gemeinsam mit dem UNHCR dabei unterstützen, ihre Asylverfahren in angemessener Zeit abzuschließen“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Diese Menschen und ihre Familien sind in der Türkei in akuter Gefahr und müssen schnell in Drittstaaten ausreisen, in denen ihre Sicherheit gewährleistet ist.“
Umsiedlungen in die USA ausgesetzt
In der Türkei ankommende Flüchtlinge bewarben sich bis Ende 2018 direkt beim UNHCR um Asyl. Inzwischen wurde das Verfahren geändert, so dass die Geflüchteten sich zunächst bei den türkischen Behörden registrieren müssen, um einen geschützten Status zu erhalten. Anträge iranischer Journalistinnen und Journalisten müssen von Einwanderungsbehörden und Polizei in der Türkei geprüft werden, was längere Zeit dauern kann.
Weil die USA unter ihrem aktuellen Präsidenten Donald Trump anders als unter dessen Vorgänger Barack Obama keine solchen Asyl- und Umsiedlungsanträge mehr annehmen, hat sich die Wartezeit zusätzlich verlängert. Inzwischen werden überhaupt keine Umsiedlungsanträge mehr an die USA gestellt. Zugleich kommen viele Geflüchtete aus dem Iran nicht mehr in den Genuss verschiedener Arten von Unterstützung für Asylsuchende einschließlich einer Gesundheitskarte, die ihre Gesundheitsausgaben zuvor erheblich senkte. Angesichts der derzeitigen Covid-19-Pandemie setzt dies die Betroffenen zusätzlichen Risiken aus.
Der Dichter, Autor und Journalist Aliresa Roschan, der für die Website Madschsoban Nur arbeitet und im März 2018 mit Frau und Kind in die Türkei geflohen ist, sagte RSF, die Einwanderungsbehörden hätten die Bearbeitung von Anträgen eingestellt und das UNHCR könne nichts dagegen unternehmen. Ein iranischer Journalist, der sich schon seit 2014 in der Türkei aufhält und nicht namentlich genannt werden will, sagte, sein Antrag auf Umsiedlung in die USA sei zunächst angenommen, dann aber 2017 ebenso wie das gesamte Umsiedlungsprogramm von der Trump-Regierung ausgesetzt worden. Seitdem habe sich keine Behörde mehr seines Falles angenommen – mit der Folge, dass er nun in Furcht sowohl vor den Drohungen iranischer Behörden in sozialen Netzwerken als auch vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus lebe.
Kontroverser iranischer Exil-Journalist 2019 in Istanbul ermordet
Diese Entwicklungen sind umso mehr besorgniserregend, als geflüchtete Medienschaffende aus dem Iran auch in der Türkei unter akutem Verfolgungsdruck durch verschiedene iranische Geheimdienste stehen. Für Angst unter den Geflüchteten sorgt zum Beispiel der Mord an Masud Molawi Wardandschani, dem kontroversen Leiter der Webseite Die Black Box, der am 14. November 2019 in Istanbul auf offener Straße niedergeschossen wurde. Im Iran soll er für das Verteidigungsministerium gearbeitet haben, bevor er 2018 floh und Korruptionsvorwürfe gegen die Revolutionswächter sowie gegen die Familie von Revolutionsführer Ali Chamenei veröffentlichte. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte türkische Regierungskreise mit der Anschuldigung, Verhören zufolge hätten zwei im Konsulat der Islamischen Republik in Istanbul stationierte iranische Geheimdienstvertreter den Mord in Auftrag gegeben.
Ein anderer iranischer Journalist, Arasch Schoa-e Schargh von der Website Gilan Nu, wurde am 5. Februar 2018 nahe seiner Wohnung in Van im Osten der Türkei entführt und tauchte 25 Tage später in einem Gefängnis im Iran auf. Er war aus der Islamischen Republik geflohen, nachdem ihn ein Gericht dort wegen „Verbreitung von Falschberichten“ und ungenehmigter Veröffentlichungen verurteilt hatte. Verwandte berichteten RSF, Schoa-e Schargh sei nach seiner Entführung drei Wochen lang in einer Tiefgarage mit drei Zellen festgehalten und wiederholt auf Persisch zu seiner journalistischen Arbeit verhört worden. Nachdem er sich geweigert habe zu kooperieren, hätten seine Entführer ihn über die Grenze in den Iran gebracht und in der Stadt Tabris an die Revolutionswächter übergeben.
Der Journalist, Blogger und Satire-Autor Scharagim Sand berichtete RSF kürzlich, seit seiner Flucht in die Türkei 2014 sei er stets vom iranischen Regime bedroht worden. In jüngster Zeit hätten die Einschüchterungsversuche aber so stark zugenommen, dass er immer mehr Angst habe, das Haus zu verlassen. Inzwischen werde ihm gedroht, man werde ihn finden und töten.
Der Iran steht auf Platz 173 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen, die Türkei auf Platz 154.
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