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Iran

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 176 von 180
Iran 15.03.2023

Jedes Wort ist ein Kampf

Als Dienstmädchen verkleidete Demonstrierende marschieren durch London, um sich mit dem wachsenden Freiheitsaufstand im Iran zu solidarisieren. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Thomas Krych

Seit dem Beginn der landesweiten Proteste vor sechs Monaten versucht die iranische Regierung mit drastischen Mitteln, Medienschaffende zum Schweigen zu bringen. Mehr als 70 Journalistinnen und Reporter sind seit dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini verhaftet worden, 16 von ihnen sitzen derzeit noch im Gefängnis. Insgesamt sind im Iran aktuell 27 Medienschaffende in Haft. Auch im Ausland zeigen die Drohungen Wirkung – so war zuletzt der bekannte TV-Sender Iran International gezwungen, seine Büros in London zu schließen.

„Unsere Appelle in Richtung Teheran mögen verhallen, aber zumindest die Behörden der Exilländer müssen alles dafür tun, iranische Medienschaffende zu schützen“, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske. „Es ist ungeheuerlich, dass mitten in einem westlichen Land Journalistinnen und Journalisten so bedroht werden können, dass ihr kompletter Sender schließen muss.“

Außerhalb des Iran sind Redaktionen und einzelne Medienschaffende vor allem dann gefährdet, wenn sie über eine hohe Zahl von Followerinnen und Followern in den Sozialen Medien verfügen und auf Persisch berichten. Im Falle des persischsprachigen Senders Iran International stufte die Londoner Polizei die Situation offensichtlich als so brisant ein, dass sie den Verantwortlichen riet, den Hauptsitz in London zu schließen. Der Sender ist nach Washington umgezogen.

Ein in Frankreich lebender Reporter bekam jüngst einen Hinweis des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE, er stehe auf einer Liste der Behörden in Teheran. „Ich beobachte jedes Auto, das auf der Straße an mir vorbeifährt, und frage mich, ob ich nicht doch verfolgt werde. Das ist lästig und ermüdend“, sagte der Journalist. Er hatte zuvor online Morddrohungen erhalten. Die französischen Behörden haben ihm geraten, auf keinen Fall in die Nachbarländer des Iran zu reisen.

In Deutschland: keine konkrete Gefährdung, aber digitale Attacken

Auch die in Deutschland lebenden iranischen Medienschaffenden vermeiden das nach eigener Aussage tunlichst. In Deutschland ist RSF derzeit keine konkrete Bedrohung bekannt, allerdings gibt es regelmäßig digitale Attacken, etwa gezielte Phishing-Versuche. Solche Attacken habe es immer gegeben, sagte eine in Berlin lebende Exil-Journalistin, ihre Zahl habe seit September aber enorm zugenommen.

Im Iran selbst bleibt unabhängige Berichterstattung extrem gefährlich. In Gesprächen mit RSF äußerten mehrere Journalistinnen und Journalisten große Sorge, sich verdächtig zu machen und vom Regime verhört oder verhaftet zu werden. Die meisten erklärten, sich angesichts der umfassenden Überwachung in Teilen selbst zensieren zu müssen.

„Jede Art von Kommunikation mit Bekannten im Ausland kann unsere Lage verschlimmern“, sagte ein Journalist, der am 18. Januar von den Sicherheitskräften verhaftet wurde. Wie alle Medienschaffenden in diesem Text bleibt er aus Sicherheitsgründen anonym. „Es ist ein endloser Alptraum“, sagte ein anderer, in Teheran lebender Journalist. „Ich habe Angst, etwas zu schreiben, selbst nur in mein Notizbuch. Ich habe das Gefühl, ständig beobachtet zu werden.“

Im Februar berichtete die reformorientierte Tageszeitung Sazandegi über die gestiegenen Fleischpreise und wurde direkt für einige Tage suspendiert. Auch der Journalist Ali Pourtabatabei wusste, dass er für seine Berichterstattung über die mysteriöse Welle von Vergiftungen iranischer Schülerinnen Probleme bekommen würde. Nach einem Artikel für die Website Qom News wurde er am 5. März verhaftet, er sitzt noch immer im Gefängnis.

Das gleiche gilt für Elahe Mohammadi, Reporterin der Tageszeitung Ham Mihan, und Nilufar Hamedi, Journalistin der Tageszeitung Shargh. Sie waren die ersten Medienschaffenden, die im September über den Tod und die Beerdigung von Jina Mahsa Amini berichteten. Amini war mutmaßlich in den Händen der als brutal bekannten iranischen Sittenpolizei gestorben. Mohammadi und Hamedi sind seit Ende September inhaftiert. Auf die gegen sie erhobenen Vorwürfe, „Propaganda gegen das System und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“, kann die Todesstrafe stehen.

Mehrere iranische Medienschaffende zitierten in den Gesprächen mit RSF ein bekanntes persisches Sprichwort, in dem ein Busch sagt: „Egal, wie oft du mich zurückschneidest, ich werde nicht leiden, ich werde wieder blühen.“ Wer im Iran weiter unabhängig berichtet will, muss allerdings um jedes Wort ringen und kritische Inhalte zwischen den Zeilen vermitteln. „Wir denken ständig darüber nach, wie wir mit Worten spielen können“, sagte ein Journalist gegenüber RSF. „Wir müssen unsere Informationen verbreiten, aber gleichzeitig in der Lage zu sein, uns vor den Behörden zu verteidigen, wenn es hart auf hart kommt.“

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht der Iran auf Rang 178 von 180 Staaten.



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