Iran
29.04.2016
Journalisten werden unvermindert verfolgt
Reporter ohne Grenzen fordert Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf, bei seiner Iran-Reise in der kommenden Woche die unverminderte Verfolgung kritischer Journalisten und Blogger in aller Deutlichkeit zu kritisieren. Diese Woche verurteilte die iranische Justiz erneut drei Journalisten zu langen Haftstrafen. Vergangene Woche begann der Prozess gegen die prominente, schwer kranke Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi. Vielen verurteilten Medienschaffenden wird in der Haft trotz schwerer Krankheiten angemessene medizinische Versorgung verweigert.
„Solange der Iran Journalisten reihenweise aburteilt und unter menschenunwürdigen Haftbedingungen festhält, kann es auch nach dem Ende der Atomsanktionen kein business as usual mit diesem Regime geben“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wenn der Iran ein normaler Handelspartner werden will, muss das Regime auch im Inneren Zeichen der Öffnung setzen und die vielen willkürlich inhaftierten Journalisten freilassen.“
Ein Gericht in Teheran verurteilte vergangenen Dienstag Afarine Chitsas von der Zeitung Iran, Ehssan Masandarani von der Zeitung Farhichteghan und Saman Safarsai von der Monatszeitschrift Andischer Poya nach Angaben ihrer Anwälte zu Haftstrafen von zehn, sieben und fünf Jahren. Die Vorwürfe gegen sie lauteten unter anderem auf Propaganda gegen die Islamische Republik sowie Konspiration gegen Regierungsvertreter.
Keine medizinische Versorgung in Haft trotz schwerer Erkrankungen
Zeitgleich mit den drei nun Verurteilten war am 2. November auch der prominente Journalist Issa Saharchis verhaftet worden, der in der Vergangenheit mehrere Reformzeitungen leitete. Obwohl er an Bluthochdruck sowie schweren Nieren- und Herzproblemen leidet, wird ihm in Haft angemessene medizinische Versorgung verweigert. Anfang März beendete er seinen dritten Hungerstreik gegen diese unmenschliche Behandlung.
Am 20. April begann vor dem Teheraner Revolutionsgericht nach viermaligem Aufschub der jüngste Prozess gegen Narges Mohammadi, die unter anderem als Sprecherin des von Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi gegründeten, seit 2006 verbotenen Zentrums für Menschenrechtsverteidiger bekannt ist. Die Justiz wirft Mohammadi „Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“ vor. Sie wurde zuletzt am 5. Mai 2015 verhaftet – offiziell, um eine sechsjährige Haftstrafe im Teheraner Evin-Gefängnis zu verbüßen, zu der sie 2011 wegen Anti-Regime-Propaganda, Zusammenarbeit mit dem seit 2006 verbotenen Ebadi-Zentrum sowie „Konspiration gegen die Islamische Republik“ verurteilt wurde.
Mohammadi leidet infolge einer schweren Nervenkrankheit unter Muskellähmungen, erhält aber in der Haft nach Angaben ihres im französischen Exil lebenden Ehemanns keinen regelmäßigen Zugang zu Medikamenten. Im vergangenen Oktober verbrachte sie einen zehntägigen Krankenhausaufenthalt in Handschellen ans Bett gefesselt und wurde schließlich gegen ärztlichen Rat wieder ins Gefängnis verlegt. Kontakt zu ihrem Mann oder ihren Kindern wird ihr weitestgehend verweigert.
Besorgniserregend ist auch die Situation des Bloggers Hossein Ronaghi Maleki, der eine 17-jährige Haftstrafe verbüßt. Die Justiz wirft ihm vor, Software zur Umgehung der Internetzensur entwickelt sowie Menschenrechtswebsites und -blogs unterstützt zu haben. Obwohl Malekis Gesundheitszustand nach mehreren Nierenoperationen seit Jahren lebensbedrohlich ist, zwingt die iranische Justiz weiterhin, im Gefängnis zu bleiben, wo ihm angemessene medizinische Versorgung verweigert wird. Aus Protest dagegen begann der Blogger am 26. März einen Hungerstreik.
Kritische Journalisten werden systematisch diffamiert und verfolgt
Insgesamt sind im Iran mindestens 38 Journalisten und Blogger wegen ihrer Tätigkeit in Haft; damit gehört die Islamische Republik zu den fünf Ländern mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden weltweit. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht das Land auf Platz 169 von 180 Staaten. Nicht weniger als neun Institutionen sind im Widerspruch zu Artikel 24 der iranischen Verfassung mit der Zensur von Medienveröffentlichungen befasst. Seit der Wahl Hassan Rohanis zum Präsident im Jahr 2013 wurden mindestens elf Zeitungen geschlossen.
Gerichtsprozesse gegen Medienschaffende sind in der Regel politisch beeinflusst. Kritische Journalisten werden systematisch als Verräter und westliche Spione diffamiert; Verhafteten werden oft Delikte wie Spionage, Kollaboration mit ausländischen Staaten, Beteiligung an feindlichen Infiltrationsplänen, Handlungen gegen die nationale Sicherheit oder Kontakte mit ausländischen Journalisten zur Last gelegt. Auch die Familienmitglieder kritischer Journalisten und Blogger werden bedroht und schikaniert.
Im Juni 2015 trat eine neue Strafprozessordnung in Kraft, die die Verfahrensrechte angeklagter Journalisten drastisch einschränkt. So dürfen sie nach ihrer Verhaftung nicht mehr frei ihren Anwalt bestimmen, sondern sind in ihrer Auswahl auf eine von den Behörden vorab genehmigte Liste beschränkt.
Auch Strafverteidiger angeklagter Journalisten und Bloggern werden von den Behörden behindert und schikaniert. Sie haben kein Anrecht darauf, ihre Mandanten persönlich zu treffen, Einblick in die Anklageschrift zu nehmen oder auch nur die Anschuldigungen zu erfahren. Seit 2009 wurden mindestens 20 Anwälte angeklagt und inhaftiert, die Journalisten oder andere politische Häftlinge verteidigt haben.
Ausgefeilte Internetzensur und -überwachung
Der Iran betreibt eines der weltweit ausgefeiltesten Systeme der Internetzensur und -überwachung. Zensiert werden unter anderem unabhängige politische Informationsquellen, religiöse Informationsangebote (zum Beispiel zum Sufismus) sowie Webseiten zu Frauen- und anderen Menschenrechtsthemen. In Zeiten von Unruhen und Demonstrationen werden regelmäßig Internetseiten gesperrt oder der gesamte Internetverkehr – bei Bedarf auch das Mobilfunknetz – gedrosselt. Insgesamt sollen mehrere Millionen Webseiten blockiert sein.
Als mittelfristiges Ziel propagiert die Regierung die Schaffung eines vollständig staatlich kontrollierten Internets. Unter Präsident Rohani wurde dieses Ziel nur rhetorisch abgemildert: Als bevorzugter Ansatz der Internetkontrolle gilt nun „intelligentes Filtern“ – ein Euphemismus dafür, den Bürgern einen nur selektiven, staatlich kontrollierten Zugang zum Internet und insbesondere zu sozialen Netzwerken zu gewähren.
Das Berliner Nothilfereferat von Reporter ohne Grenzen hat sich allein 2015 in elf Fällen für verfolgte Journalisten aus dem Iran engagiert.
nach oben
Folgen Sie uns!