Iran
07.06.2013
ROG verurteilt Repressionen Irans gegen Journalisten vor der Wahl
Reporter ohne Grenzen verurteilt die verschärften Zensur- und Überwachungsmaßnahmen Irans vor der Präsidentenwahl am 14. Juni. Im Vorfeld der Abstimmung haben Geheimdienst und Revolutionswächter zahlreiche Journalisten vorgeladen und aufgefordert, nur regimetreue Kandidaten zu unterstützen. Die ohnehin weitgehende Internetüberwachung wurde noch einmal verschärft, so dass der Zugang zu ungefilterten Informationen kaum noch möglich ist. Reihenweise wurden Webseiten geschlossen, die andere als die vom Wächterrat zugelassenen Bewerber um das Präsidentenamt unterstützen.
„Freie und demokratische Wahlen sind unter den derzeitigen Einschränkungen im Iran undenkbar“, kritisierte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Offenbar wolle das Regime mit allen Mitteln verhindern, dass unabhängige Informationen eine Protestbewegung wie 2009 befeuern könnten. „Wenn die iranische Führung ein legitimes Wahlergebnis bekommen will, muss sie umgehend die Medien- und Internetzensur beenden und alle inhaftierten Journalisten freilassen.“
In den acht Jahren der Präsidentschaft Mahmud Ahmadinedschads sind mehr als 200 Zeitungen geschlossen worden. Mehr als 300 Journalisten und Online-Akivisten wurden willkürlich festgenommen, gefoltert oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Auslandssender wie die Deutsche Welle, BBC und Voice of America und ihre iranischen Mitarbeiter werden als bezahlte Kollaborateure westlicher Geheimdienste diffamiert. Selbst die Familien iranischer Journalisten, die im Ausland arbeiten, sind Repressalien ausgesetzt.
Derzeit sitzen 54 Journalisten, Blogger und Netzaktivisten wegen ihrer Arbeit in iranischen Gefängnissen. Die meisten davon wurden in der Folge der Proteste gegen das umstrittene Ergebnis der Präsidentenwahl 2009 inhaftiert. Viele wurden im Gefängnis misshandelt und leiden unter schlechten Haftbedingungen, einige wurden zu öffentlichen „Geständnissen“ ihrer vermeintlichen Verfehlungen gezwungen.
In einem offenen Brief hat Reporter ohne Grenzen die acht zur Präsidentenwahl zugelassenen Kandidaten aufgefordert, sich zur Freilassung aller im Iran inhaftierten Journalisten und Blogger zu verpflichten. Außerdem sollten sie grundlegende Reformen der Mediengesetze wie die Entkriminalisierung presserechtlicher Vergehen und ein Ende der Lizenzpflicht für Online-Publikationen zusagen. Die Bürger Irans müssen freien und unzensierten Zugang zum Internet bekommen; das Vorhaben eines vollständig überwachten „nationalen Internets“ ist damit unvereinbar. Morde an Journalisten und Bloggern wie Sattar Beheschti müssen geahndet werden und dürfen nicht länger straffrei bleiben.
Die jüngste Repressionswelle begann am 4. Mai, als der Iran kurz vor der Registrierung der Präsidentschaftskandidaten die Nutzung wichtiger Programme zur geschützten Internetkommunikation sperrte. Seitdem ist der Netzzugang immer öfter unterbrochen. Wichtige Internetdienste wie Google und Yahoo wurden blockiert.
Zumindest zeitweise gesperrt wurden auch Webseiten wie Aftabnews und Ayandenews, die den nicht zur Wahl zugelassenen Ex-Präsidenten Akbar Haschemi Rafsandschani unterstützen. Gleiches gilt für konservative Webseiten wie Meyarnews, Roshanaee, Baharana und Bahaar Online, die den scheidenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und dessen favorisierten, aber ebenfalls nicht zugelassenen Kandidaten Esfandiar Rahim Maschaei unterstützen.
Allein zwischen dem 17. und dem 27. Mai wurden neun Tageszeitungen – Bahar, Tabnak, Hezbollah, Kayhan, Vatan Emrooz, Sharvand, Iran, Haft Sobeh und Mardomsalari – von der Zensurstelle des Kulturministeriums verwarnt und stehen damit nach iranischem Gesetz einen Schritt vor der Suspendierung.
Schon seit dem sogenannten Schwarzen Sonntag am 27. Januar hatte das Regime mit einer Verhaftungswelle gegen Journalisten und der Schließung mehrerer Zeitungen eine Drohkulisse gegen jede kritische oder unabhängige Berichterstattung über den Wahlkampf oder die Abstimmung selbst aufgebaut. Geheimdienstminister Heydar Moslehi sprach offen von einer Offensive gegen ein angebliches Netzwerk 600 regimefeindlicher Journalisten im In- und Ausland. Zuletzt wurden selbst Journalisten, die zuvor etwa aufgrund ihres Gesundheitszustands aus der Haft entlassen worden waren, ins Gefängnis zurückbeordert.
Ausländischen Berichterstattern kommt unter diesen Bedingungen eine Schlüsselrolle zu, sofern sie trotz der angekündigten strengen Auswahl bei der Visumvergabe einreisen können: Anders als ihre einheimischen Kollegen oder die dauerhaft im Land stationierten Korrespondenten können sie etwa die Familien inhaftierter Journalisten interviewen und internationale Aufmerksamkeit auf deren Lage lenken.
Allerdings sollten sie sich bewusst sein, dass sie sich bei einem der „Feinde des Internets“ aufhalten. Ihre Internetverbindungen werden ebenso wie ihre Handygespräche umfassend überwacht werden. Reporter ohne Grenzen empfiehlt Journalisten deshalb, bei Reisen in den Iran unbenutzte Computer mit verschlüsselten Festplatten und möglichst wenigen darauf gespeicherten Daten zu verwenden, ihre elektronische Kommunikation so gut wie möglich zu schützen und keine Gespräche mit heiklem Inhalt per Telefon oder Skype zu führen. Selbst verschlüsselte E-Mails können ihre Empfänger in Gefahr bringen.
Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht der Iran auf Platz 174 von 179 Ländern – schlechter ist die Situation nur in Somalia, Syrien, Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea. Detaillierte Informationen über die Lage der Pressefreiheit im Iran finden Sie hier auf Englisch und hier auf Persisch.
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