Iran
10.09.2015
Zunehmende Zensur von Messaging-Apps
Reporter ohne Grenzen verurteilt Irans zunehmende Zensur von Internetanwendungen für mobile Endgeräte. Seit dem 29. August wird die verschlüsselte Messaging-App Telegram in Teheran und mehreren anderen iranischen Großstädten stark gestört. Zugleich hat Revolutionsführer Ali Chamenei diese Woche das Ziel eines „nationalen Internets“ bekräftigt und den Obersten Rat für den Cyberspace deutlich in seinen Befugnissen zur Überwachung und Kontrolle des Internets gestärkt.
„Die Einigung im Atomstreit darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Iran unabhängige Journalisten und Blogger nach wie vor unnachgiebig verfolgt“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Offensichtlich strebt die iranische Führung mit ungebrochener Energie nach der vollständigen Kontrolle über das Internet.“
Schon Anfang April hatte Informations- und Kommunikationsminister Mahmud Waesi erklärt, Telegram sei durch „intelligentes Filtern“ iranischer Stellen gestört worden. Auch bei den Messaging-Anwendungen WeChat, WhatsApp, Tango und Viber sind seitdem Einschränkungen zu beobachten gewesen. Damit haben auch Journalisten immer weniger Möglichkeiten, sich der Überwachung und Zensur durch die Behörden zu entziehen.
„Intelligentes Filtern“ ist der derzeit bevorzugte Ansatz der iranischen Behörden, um zu erreichen, dass die eigenen Bürger einen nur selektiven, staatlich kontrollierten Zugang zum Internet und insbesondere zu sozialen Netzwerken haben. Nach offizieller Lesart sollen sie auf diese Weise vor „unmoralischen“ Inhalten geschützt werden. Tatsächlich werden sie ebenso vor Kritik an der Regierung, Berichten über Menschenrechtsverletzungen oder kritischen Diskussionen über religiöse Fragen abgeschirmt.
Wird Telegram dem Drängen der Behörden widerstehen?
Seit dem Amtsantritt von Präsident Hassen Rohani 2013 scheinen Überwachung und Zensur des Internets im Vergleich zur Amtszeit seines Vorgängers Mahmud Ahmadinedschad zwar gelockert worden zu sein. Die Frage, wie weit die staatliche Kontrolle über das Netz reichen soll, bleibt jedoch in höchsten Kreisen von Regierung und Staatsapparat umstritten.
Wann immer die Behörden bislang das „intelligente Filtern“ auf bestimmte Apps angewandt haben, sind die iranischen Internetnutzer in großer Zahl zu anderen Diensten gewechselt – zuletzt zu Telegram, das neben Chats auch den Austausch von Audio- und Videodateien erlaubt. Wegen der eingebauten Verschlüsselungsmöglichkeiten gilt die Software als relativ sicher.
Anfang Juli hatte ein Stellvertreter von Minister Waesi in einem Interview gesagt, sein Ministerium habe Telegram per Brief darauf hingewiesen, dass der Dienst Probleme im Iran habe und man das Unternehmen zu Gesprächen darüber einlade. Im Mai erklärte der Minister selbst, „mit der Hilfe eines ausländischen Unternehmens und dank des Know-hows iranischer Wissenschaftler“ habe die zweite Phase des „intelligenten Filterns“ begonnen. Am 2. September sagte ein hoher Vertreter der iranischen Cyberpolizei Journalisten, die Behörden hätten Yahoo, Google und Telegram aufgefordert, bei der Bekämpfung „krimineller Handlungen“ mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Internetexperten zeigen sich skeptisch, ob Telegram sich dem Drängen der Behörden entziehen wird. In den vergangenen Wochen seien mehrere Funktionen der App für Nutzer im Iran deaktiviert worden. Auf die Bitte von ROG um eine Stellungnahme zu den jüngsten Einlassungen iranischer Behördenvertreter twitterte Telegram-Gründer Pavel Durov, Telegram habe „mit keiner Regierung auf diesem Planeten“ irgendwelche Vereinbarungen getroffen und auch nicht die Absicht, dies zu tun.
Faktisch setzt das „intelligente Filtern“ allerdings voraus, dass die App-Anbieter mehr oder weniger stillschweigend die Bedingungen von Regierungen akzeptieren, die ihre Nutzer überwachen und kontrollieren wollen. Bislang hat indes keiner der Anbieter der Anwendungen, die von den iranischen Behörden bedroht oder gefiltert worden sind, offiziell dagegen protestiert oder seine iranischen Nutzer informiert, welche potenziellen Gefahren mit den Störungen infolge der Überwachungs- und Zensurmaßnahmen des Regimes einhergehen.
Beispiellose Machtfülle für den Obersten Rat für den Cyberspace
Per Dekret hat Revolutionsführer Chamenei am 6. September das Mandat des Obersten Rats für den Cyberspace für vier Jahre erneuert. Zugleich ordnete er die „Auflösung anderer Räte und paralleler Gremien“ an und gab dem Rat damit eine beispiellose Machtfülle. Das Gremium hat den Auftrag, die Voraussetzungen zum Aufbau eines Nationalen Internets zu schaffen sowie Justiz- und Polizeisysteme für den iranischen Cyberspace zu entwickeln.
Der Iran betreibt eines der weltweit ausgefeiltesten Systeme der Internetzensur und -überwachung. In Zeiten von Unruhen und Demonstrationen werden regelmäßig Internetseiten gesperrt oder der gesamte Internetverkehr – bei Bedarf auch das Mobilfunknetz – gedrosselt. Insgesamt sollen mehrere Millionen Webseiten blockiert sein. E-Mails und Messagingdienste werden stark überwacht. Seit Rohanis Amtsantritt 2013 wurden rund 100 Internetnutzer zu langen Haftstrafen verurteilt, die meisten auf Betreiben der Geheimdienste oder der Revolutionswächter.
Wegen ihrer journalistischen Arbeit sind im Iran derzeit mindestens zehn Journalisten und 23 Blogger im Gefängnis. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Islamische Republik auf Platz 173 von 180 Ländern.
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