Saudi-Arabien / Deutschland
02.03.2021
RSF-Strafanzeige gegen Saudi-Arabiens Kronprinz
Reporter ohne Grenzen hat beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erstattet. Wegen des Mordes an Jamal Khashoggi und der willkürlichen Inhaftierung von 34 Journalistinnen und Journalisten wirft RSF dem Kronprinzen und weiteren hochrangigen Vertretern des Königreichs vor, Medienschaffende anhaltend und systematisch zu verfolgen.
Die Strafanzeige bezieht sich neben dem Fall des 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ermordeten Jamal Khashoggi auf 33 derzeit und eine bis vor kurzem in Saudi-Arabien inhaftierte Medienschaffende. Auf mehreren Hundert Seiten legt RSF dar, dass diese insgesamt 35 Journalistinnen und Journalisten in zahlreichen Punkten Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch geworden sind. Konkret benennt RSF die folgenden Straftatbestände: vorsätzliche Tötung, Folter, sexuelle Gewalt und Nötigung, zwangsweises Verschwindenlassen, Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden, schwerwiegenden Entzug der körperlichen Freiheit sowie Verfolgung aus politischen Motiven.
Diese Taten sind nach Überzeugung von RSF Teil eines anhaltenden und systematischen Angriffs auf eine ganze Berufsgruppe und zielen darauf ab, eine staatliche Politik durchzusetzen, die kritische Stimmen in Saudi-Arabien bestrafen oder zum Schweigen bringen will.
Anhaltende und systematische schwerste Rechtsverstöße
Als Hauptverdächtige benennt RSF in der Strafanzeige Kronprinz Mohammed bin Salman und vier weitere hochrangige Vertreter Saudi-Arabiens. RSF betrachtet diese Personen als verantwortlich für die Organisation und Ausführung der Tötung Khashoggis. Außerdem sind sie mutmaßlich an der Entwicklung einer staatlichen Politik beteiligt gewesen, die darauf abzielt, Journalistinnen und Journalisten anzugreifen und zum Schweigen zu bringen. Über diese Hauptverdächtigen hinaus könnten Ermittlungen auch ergeben, dass weitere Personen für diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit mitverantwortlich sind.
Die 35 in der Strafanzeige benannten Fälle offenbaren ein System, das Leben und Freiheit jeder Journalistin und jedes Journalisten in Saudi-Arabien bedroht, besonders, wenn sie oder er öffentliche Kritik an der Regierung des Königreichs übt. Diese Verbrechen wiegen umso schwerer und rechtfertigen Ermittlungen umso mehr, weil Journalistinnen und Journalisten für die Allgemeinheit die Aufgabe erfüllen, über Fragen von öffentlichem Interesse zu informieren, staatliches Handeln zu kontrollieren und Fehlverhalten von Regierung und Behörden aufzudecken.
Auch der vor wenigen Tagen freigegebene US-Geheimdienstbericht zum Khashoggi-Mord bestätigt die Einschätzung, dass dieses Verbrechen vom saudi-arabischen Kronprinz Mohammed bin Salman genehmigt und damit Teil der Regierungspolitik war.
„Die Verantwortlichen für den Mord an Jamal Khashoggi und für die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten in Saudi-Arabien müssen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte der internationale Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, Christophe Deloire. „In Saudi-Arabien werden bis zu diesem Tag schwerste Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten unvermindert fortgesetzt. Deshalb appellieren wir an den Generalbundesanwalt, entschlossen vorzugehen und Ermittlungen zu diesen Verbrechen aufzunehmen. Es ist höchste Zeit zu handeln und durchzusetzen, dass bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit niemand über internationalen Rechtsnormen steht.“
„Die deutsche Justiz kann jetzt zu einem weltweiten Vorreiter werden, indem sie Strafermittlungen zu diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Saudi-Arabien aufnimmt“, ergänzte der Geschäftsführer von RSF Deutschland, Christian Mihr. „Der Generalbundesanwalt sollte jetzt ernsthaft prüfen, ob er ein Ermittlungsverfahren eröffnen und Haftbefehle erlassen kann.“
Weltrechtsprinzip ermöglicht juristische Schritte
Dass RSF diese Strafanzeige in Deutschland einreicht, hängt mit dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) und der Rechtspraxis bei seiner Anwendung zusammen: Das VStGB erlaubt es deutschen Gerichten, nach dem Weltrechtsprinzip gegen schwerste Verbrechen von internationaler Bedeutung auch dann vorzugehen, wenn sie im Ausland und ohne Bezug zur Deutschland verübt wurden. Deutsche Gerichte haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie bereit und in der Lage sind, diese rechtliche Möglichkeit tatsächlich zu nutzen – so zum Beispiel im Fall zweier in Koblenz angeklagter syrischer Geheimdienstmitarbeiter, von denen der eine vor wenigen Tagen zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung wiederholt erklärt, wie wichtig es für Deutschland sei, Menschenrechtsverletzungen zu ahnden und – in den Worten von Außenminister Heiko Maas – „die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, und zwar überall, wo wir können: international, europäisch und immer öfter auch national, also hier bei uns“. Auch ihr Interesse an Gerechtigkeit im Fall Jamal Khashoggi und ihren Einsatz für den Schutz der Pressefreiheit hat die Bundesregierung bei diversen Gelegenheiten deutlich gemacht, nicht zuletzt durch ihre Sanktionen gegen Einzelpersonen und die Aussetzung von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien als Reaktion auf den Mord an Jamal Khashoggi.
Fünf Hauptverdächtige, weitere Beteiligte möglich
Khashoggi war am 2. Oktober 2018 im Konsulat Saudi-Arabiens im türkischen Istanbul getötet worden. Saudi-Arabien hat nach anfänglichem Leugnen offiziell eingeräumt, dass dieses Verbrechen von Mitarbeitern staatlicher saudi-arabischer Stellen begangen wurde, spricht aber von einer eigenmächtigen Aktion der unmittelbar Tatbeteiligten. Einige von ihnen wurden in Saudi-Arabien vor Gericht gestellt und zum Teil verurteilt, doch der Prozess entsprach in keiner Weise internationalen Standards. Die Hauptverdächtigen sind bis heute völlig straffrei.
Als mutmaßlich Hauptverantwortlichen benennt RSF in der Strafanzeige den saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman: Er wird verdächtigt, die Ermordung Jamal Khashoggis direkt angeordnet zu haben. Ebenso ist er hauptverantwortlich für die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten in Saudi-Arabien. Neben dem Kronprinzen benennt die Anzeige vier weitere Verdächtige namentlich:
- Saud al-Kahtani, seinerzeit ein enger Berater des Kronprinzen, der mutmaßlich direkt an der Planung und Ausführung des Khashoggi-Mordes sowie an der Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten beteiligt war;
- Ahmad Mohammed Asiri, seinerzeit Vize-Geheimdienstchef, der im Verdacht steht, die Tötung Khashoggis beaufsichtigt zu haben;
- Mohammad al-Otaibi, den Generalkonsul Saudi-Arabiens in Istanbul zur Zeit des Verbrechens; und
- Maher Abdulasis Mutreb, einen Geheimdienstoffizier, der das Kommando geleitet haben soll, das Khashoggi folterte, tötete und den Leichnam verschwinden ließ.
Die Strafanzeige wurde von der RSF-Initiative „Justice for Journalism Task Force“ erarbeitet. Diese hat sich zur Aufgabe gesetzt, mit juristischen Mitteln wie strategischen Klagen gegen die in vielen Ländern verbreitete Straflosigkeit für Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten vorzugehen.
Seit der Ermordung Jamal Khashoggis hat RSF sich in politischen Gesprächen mit Saudi-Arabiens Regierung sowie mit diplomatischem und öffentlichem Druck intensiv dafür eingesetzt, dass das Königreich den Leichnam herausgibt, dass der Mord juristisch umfassend aufgearbeitet wird und dass Saudi-Arabien alle im Land willkürlich inhaftierten Medienschaffenden freilässt. Doch Saudi-Arabien hat vor seinen internationalen Verpflichtungen konsequent die Augen verschlossen.
Saudi-Arabien steht auf Platz 170 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit.
- Fragen und Antworten zur Strafanzeige
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