Mord an Jamal Khashoggi
30.09.2022
Trojanische Poster gegen das Vergessen
Vor vier Jahren, am 2. Oktober 2018, wurde der saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet. Seit diesem Tag kämpft Reporter ohne Grenzen (RSF) für Gerechtigkeit. Zwar hat die Führung des Königreichs nach anfänglichem Leugnen offiziell eingeräumt, dass Mitarbeiter offizieller Stellen den Mord begangen haben. Viele Analysen und Indizien deuten jedoch darauf hin, dass der Mord von höchster saudischer Stelle mindestens gebilligt wurde.
Wenn ein solches Verbrechen straffrei bleibt, ermutigt das auch andere autoritäre Regime, Journalistinnen oder Reporter einfach verschwinden zu lassen. Damit ihre kritischen Stimmen nicht verstummen, startet RSF gemeinsam mit der Agentur thjnk die Kampagne #SoundOfJustice. Ab heute (30.09.) sind in mehreren deutschen Städten großflächige Werbeplakate zu sehen, die als trojanische Poster ein breites Publikum neugierig machen und schließlich auf das Schicksal Jamal Khashoggis aufmerksam machen sollen.
„Saudi-Arabien entzieht sich bis heute jeglicher Verantwortung“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Mehr noch: Der Kronprinz Mohammed bin Salman wird angesichts der Energiekrise wieder zum attraktiven Handelspartner. Emmanuel Macron, Joe Biden und jetzt Olaf Scholz machen ihm seine Aufwartung. Für Reporter ohne Grenzen heißt das: Wir müssen noch stärker darum kämpfen, dass die Verantwortlichen für diesen Mord endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Kein Herrscher dieser Welt darf mit solch einer monströsen Tat durchkommen.“
RSF-Strafanzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Die mutmaßlich Hauptverantwortlichen für dieses Verbrechen müssen endlich konkrete Folgen zu spüren bekommen. Daran dürfen auch diplomatische Winkelzüge wie zuletzt die Ernennung von Mohammed bin Salman (MBS) zum saudischen Premierminister – ein Amt, das gewöhnlich internationale Immunität verschafft – nichts ändern. RSF hat am 1. März 2021 beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen MBS und weitere Vertreter des Königreichs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erstattet. Die Anzeige beruft sich auf das Weltrechtsprinzip gemäß dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch und bezieht sich neben dem Khashoggi-Mord auch auf die Fälle von 34 Medienschaffenden, die in Saudi-Arabien wegen ihrer Tätigkeit willkürlich inhaftiert sind oder waren. Die über 300 Seiten starke Anklage wird noch immer von der Generalbundesanwaltschaft geprüft.
Jamal Khashoggi war ein in der arabischen Welt, aber auch international bekannter Journalist. Viele westliche Medienschaffende standen mit ihm in losem Austausch – wer sich mit der Entwicklung Saudi-Arabiens befasste, traf früher oder später auf ihn. Seit dem Sommer 2017 lebte er im US-amerikanischen Exil und arbeitete dort unter anderem als Kolumnist für die Washington Post. Erst in den USA wurde er zum deutlichen und vor allem regelmäßigen Kritiker der Regierung seines Heimatlandes und des Kronprinzen MBS.
Im Herbst 2018 reiste er nach Istanbul und betrat dort am 2. Oktober gegen 13.15 Uhr lokaler Zeit das saudische Generalkonsulat, weil er Unterlagen für die geplante Hochzeit mit seiner Verlobten Hatice Cengiz abholen wollte. Während sie vor den Türen des Konsulats wartete, wurde Khashoggi innerhalb kurzer Zeit auf bestialische Weise ermordet, vermutlich von einem Team aus 15 saudi-arabischen Geheimdienstmitarbeitern. Diese Personen standen mutmaßlich mit höchsten saudischen Regierungskreisen in Verbindung. Bis heute sind allerdings weder der genaue Tathergang noch der Verbleib seiner Leiche aufgeklärt.
(Kampagnenvideo #SoundOfJustice)
MBS, der mit mehreren offiziellen Ämtern ausgestattete Kronprinz und starke Mann der Monarchie, hat zwar behauptet, er übernehme die „volle Verantwortung“ für die Ermordung. Den Vorwurf, er sei in die Tat verwickelt gewesen oder habe sie in Auftrag gegeben, bestreitet er jedoch. Die damalige UN-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard hingegen hat 2019 einen detaillierten, fast 100-seitigen Bericht vorgelegt, in dem sie „glaubwürdige Beweise“ dafür vorlegt, dass MBS persönlich mit der Ermordung in Verbindung steht. Saudi-Arabien hat eine Zusammenarbeit mit Callamard abgelehnt. Später kam auch der US-Geheimdienst CIA zu dem Schluss, MBS habe die Geheimdienstaktion direkt angeordnet.
Prozesse in Istanbul und Riad ohne rechtsstaatliche Standards
In Saudi-Arabien selbst wurden für die Tötung Jamal Khashoggis 2019 und 2020 acht Männer rechtskräftig zu sieben bis 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Drei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und entsprach in keiner Weise rechtsstaatlichen Anforderungen. Nicht einmal die Namen der Verurteilten wurden bekanntgegeben. Vollständig ausgeklammert blieb die Frage nach der politischen Verantwortung für den Mord.
Auch auf dem im Juli 2020 begonnenen türkischen Strafprozess ruhten nur geringe Hoffnungen. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft hat 26 saudi-arabischen Staatsbürgern vorgeworfen, direkt oder indirekt an der Tötung Khashoggis beteiligt gewesen zu sein. RSF war als einzige Nichtregierungsorganisation an allen Prozesstagen vor Ort, versprach sich von ihm aber schon wegen der Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei keine umfassende Aufklärung. Die letzte Aussicht dahingehend schwand, als das Istanbuler Strafgericht Anfang April 2022 entschied, den Prozess einzustellen und den Fall an Saudi-Arabien zu übergeben.
Das saudische Regime macht Jagd auf kritische Medienschaffende
Recherchen des Pegasus-Projekts haben enthüllt, dass eine Reihe von Personen aus Jamals Khashoggis Umfeld mit der Pegasus-Software überwacht wurden. Betroffen waren Familienangehörige, Kolleginnen und Freunde des ermordeten Journalisten, darunter der Videoblogger Omar Abdulaziz, mit dem Khashoggi in engem Austausch stand, und auch seine Verlobte Hatice Cengiz. Ihr Mobiltelefon wurde laut einer Analyse von Amnesty International am 6. Oktober 2018, vier Tage nach der Tat, mit Pegasus angegriffen. Zu diesem Zeitpunkt versuchte die saudische Führung noch, jegliche Verantwortung durch PR-Maßnahmen wie einer Führung durch das Generalkonsulat in Istanbul von sich zu weisen.
Generell ist die Situation der Pressefreiheit seit vielen Jahren düster. Das galt schon, bevor der Kronprinz MBS auf seinem Weg an die Macht die Zivilgesellschaft umfassend unterdrückte. Auch vor dem Mord an Jamal Khashoggi waren Medienschaffende im Ausland nicht sicher. Derzeit (Stand 30.09.) sitzen mindestens 26 Journalistinnen und Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit in Haft. Die Bedingungen in den saudi-arabischen Gefängnissen sind häufig nicht menschenwürdig, zudem gibt es Berichte über Folter. Der Blogger Raif Badawi wurde zwar kurz nach Ablauf seiner zehnjährigen, illegalen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen, darf allerdings für weitere zehn Jahre das Land nicht verlassen.
Das Land ist ein Alptraum für Medienschaffende
Der Khashoggi-Mord hatte Saudi-Arabien einige Jahre politisch isoliert. Die Treffen des US-Präsidenten Joe Biden, des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des Bundeskanzlers Olaf Scholz mit MBS verdeutlichen aber, dass auch demokratische Regierungen nun wieder zum Alltagsgeschäft zurückkehren wollen.
Reporter ohne Grenzen versucht deshalb immer wieder, mit Kampagnen sowohl die breite Öffentlichkeit als auch die Politik auf die Situation der Pressefreiheit im Königreich hinzuweisen. Eine Anzeigenkampagne im September kaperte den offiziellen Werbeslogan der saudischen Tourismusbehörde, mit dem sie um Besucherinnen und Reisende warb.
Mit der Kampagne #SoundOfJustice gehen RSF und die Hamburger Agentur thjnk einen weiteren Schritt: In Berlin, Hamburg, München und Frankfurt am Main werden ab dem heutigen Freitag (30.09.) großflächige Werbeflächen mit verschiedenen trojanischen Postern bespielt. Auf diesen sind Zitate der Mörder vom 2. Oktober 2018 zu lesen, so wie sie aus den Mitschnitten des türkischen Geheimdienstes transkribiert worden sind. Die Zitate – etwa „Don’t worry if you cannot reach me“ – stehen neben unverfänglichen Motiven mit Bezug zu Musik und Sound. Hinter der Tarnung einer hippen Verkaufsplattform versteckt sich die Wahrheit über den Mord an Jamal Khashoggi, erzählt in einem aufwendig gestalteten Animationsfilm.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Saudi-Arabien auf Rang 166 von 180 Staaten.
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