Syrien
02.10.2019
Akut bedrohte Journalisten gerettet
In mehr als einjährigen intensiven Bemühungen ist es Reporter ohne Grenzen gelungen, zwölf besonders gefährdete syrische Journalistinnen und Journalisten mit ihren Familien nach Deutschland in Sicherheit zu bringen. Auf der Flucht vor den vorrückenden Regierungstruppen saßen sie in der Region Daraa im Süden Syriens fest. Wären sie in die Hände des Assad-Regimes gefallen, hätten ihnen Verhaftung, Folter und Tod gedroht, weil sie für oppositionelle oder ausländische Medien gearbeitet hatten. Weitere 18 Journalistinnen und Journalisten konnten im Rahmen derselben Initiative mit ihren Familien nach Frankreich und Spanien gebracht werden.
„Der Fall Daraa zeigt: Wenn der politische Wille da ist, ist schnelle und unbürokratische Hilfe möglich“, sagte Christian Mihr. Zugleich mache die Aktion die Schwierigkeiten der bestehenden deutschen Rechtslage deutlich: „Wenn sich Journalistinnen und Journalisten aufgrund ihrer Arbeit in akuter Lebensgefahr befinden, sollten die deutschen Behörden aus humanitären Gründen auf langwierige Einzelfallentscheidungen verzichten. Mit unbürokratischen Nothilfe-Visa könnten Betroffene schnell in Sicherheit gebracht werden.“
Festgesetzt auf einem schmalen Landstrich im Süden Syriens
Im Juli 2018 war ROG auf die Situation von rund 70 Journalistinnen und Journalisten, Medienaktivistinnen und -aktivisten aufmerksam geworden, die auf der Flucht vor den vorrückenden Regierungstruppen auf einem schmalen Landstrich in Südsyrien festsaßen. Auch von bewaffneten Milizen ging eine große Gefahr für sie aus. ROG und die befreundeten Nichtregierungsorganisationen Syrian Center for Media and Freedom of Expression (SCM) und Committee to Protect Journalists (CPJ) beschlossen deshalb, sofort zu handeln.
Mit zahlreichen Briefen, E-Mails sowie in teils hochrangigen Gesprächen konnte ROG die Bundesregierung im Sommer 2018 überzeugen, die betroffenen Medienschaffenden sowie ihre nahen Verwandten in Deutschland aufzunehmen. Auch mehrere Bundestagsabgeordnete setzten sich dafür ein. In enger Zusammenarbeit mit SCM und CPJ konnte ROG schließlich allen Menschen die Ausreise ermöglichen, für die die deutschen Behörden Aufnahmegarantien gegeben hatten – trotz der großen Gefahren im Bürgerkriegsland Syrien und trotz der schwierigen Einreise in das Transitland Türkei.
Die Betroffenen arbeiteten unter anderem für die oppositionellen Fernsehsender Orient News und Halab Today TV, als Ortskräfte für internationale Nachrichtenagenturen wie AFP und Reuters oder als Korrespondentinnen und Bürgerjournalisten für lokale Medien. Sie berichteten sowohl über das Kriegsgeschehen in der Region Daraa als auch über die Versuche der Menschen dort, zivile und demokratische Strukturen aufzubauen.
Der letzte Journalist, der in Deutschland Zuflucht erhielt, traf erst vor wenigen Wochen hier ein; in Frankreich dauerte dies sogar bis Mitte September. Dauer und Schwierigkeiten der Rettungsaktion zeigen, dass der Erfolg eine absolute Ausnahme war. Leider ist nicht davon auszugehen, dass es in absehbarer Zeit möglich sein wird, solch eine Aktion zu wiederholen.
Als größte Hürde neben dem Finden von Aufnahmeländern erwies sich die Ausreise in die Türkei; die Gespräche mit den dortigen Behörden über eine Durchreise verliefen sehr schleppend. Nachdem die bedrohten Medienschaffenden schließlich in der Türkei angekommen waren, ging auch dank der Hilfe des deutschen Konsulats in Istanbul alles recht schnell.
In der Region Idlib sind Journalistinnen und Journalisten in Lebensgefahr
Noch immer sind zahlreiche Journalistinnen und Journalisten in der umkämpften Region Idlib im Norden Syriens tödlichen Gefahren ausgesetzt. Immer wieder werden Medienschaffende dort bei den schweren Luftangriffen syrischer und russischer Truppen verletzt. Manche sind überzeugt, dass es sich teils um gezielte Angriffe handele. Am 21. Juli wurde bei einem offenbar russischen Luftangriff der freie Journalist Anas al-Diab getötet, dessen Fotos von internationalen Nachrichtenagenturen wie AFP und Anadolu verbreitet wurden.
Angesichts dieser Situation appelliert Reporter ohne Grenzen weiterhin an die internationale Gemeinschaft, Syriens Medienschaffende zu unterstützen und ihre Sicherheit zum Bestandteil internationaler Gespräche über den Syrienkonflikt zu machen. Zugleich zeigt die Aktion, wie wichtig ein UN-Sonderbeauftragter für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten wäre, der in einer solchen akuten Notlage Aufgaben wie die Koordination zwischen den beteiligten Regierungen übernehmen könnte.
Repressalien selbst bei vorsichtiger Kritik
Auf dem Papier garantiert Syriens Verfassung, die 2012 nach dem Beginn der Massenproteste gegen das Assad-Regime verabschiedet wurde, die Presse- und Informationsfreiheit und verbietet Verhaftungen, Verhöre und Ermittlungen gegen Journalistinnen und Journalisten. Die Regierung wird nicht müde, diese Garantien zu betonen und zu behaupten, die Medien in Syrien genössen ein hohes Maß an Freiheit.
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Seit die Regierung im März 2018 ein Gesetz über die Schaffung spezieller Gerichte für „Informations- und Kommunikationsverbrechen“ beschloss, hat sie ihre ohnehin schon massive Kontrolle weiter verschärft. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad wendet ihre umfassende Repression inzwischen sogar gegen regimetreue Journalistinnen und Journalisten, die vorsichtige Kritik an Themen wie Korruption und Versorgungsengpässen üben.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Syrien auf Platz 174 von 180 Ländern.
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