Irak / Syrien
07.11.2014
IS führt erbarmungslosen Medienkrieg
Reporter ohne Grenzen ist zutiefst beunruhigt über die fast vollständige Unterdrückung unabhängiger Informationen in den von der Dschihadistengruppe Islamischer Staat kontrollierten Regionen Syriens und des Irak. Mit massiver Gewalt, Drohungen und aufgezwungenen Verhaltensregeln hat der IS erreicht, dass Journalisten allenfalls noch zensiert und unter ständiger Lebensgefahr aus diesen Gebieten berichten können. Damit sind sowohl die dort lebenden Menschen als auch die Außenwelt von glaubwürdigen Informationen über die Lage vor Ort abgeschnitten.
„Der IS führt seinen Krieg ebenso sehr in den Medien wie mit Waffen. Die Gruppe bekämpft gnadenlos jeden Journalisten, der sich ihrer Propaganda nicht unterordnet“, sagte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. „Journalisten müssen unbehelligt recherchieren und berichten können. Wer sie nach Belieben jagt und ermordet, vergeht sich an den Menschenrechten und muss entsprechend bestraft werden.“
Neben den US-Reportern James Foley und Steven Sotloff haben die Dschihadisten des IS bislang mindestens acht syrische und einen irakischen Journalisten ermordet. Derzeit halten sie mindestens neun irakische Journalisten als Geiseln, außerdem den seit zwei Jahren entführten Briten John Cantlie, der zuletzt mehrfach als Sprachrohr der IS-Propaganda vorgeführt wurde. Daneben befinden sich rund 20 syrische Journalisten in der Gewalt des IS oder anderer bewaffneter Gruppen.
Fernsehsender werden geschlossen, die Studios vom IS genutzt
Der IS ist sorgfältig bemüht, sein Bild in den Medien soweit wie möglich selbst zu steuern. Dazu schafft sich die Gruppe ihre eigenen Propagandamedien und schaltet alle Medienschaffenden aus, die sich ihr nicht unterordnen.
Journalisten in den Gebieten unter ihrer Kontrolle soll die Gruppe vor die Alternative gestellt haben, ihre Arbeit aufzugeben oder getötet zu werden. Im irakischen Samarra enthauptete sie im Oktober öffentlich den Fotografen und Kameramann Raad al-Asawi. An ihre Kämpfer hat sie Berichten zufolge schriftliche Anweisungen verteilt, alle Journalisten zu töten, die „dem Image der Organisation schaden und damit der irakischen Regierung nützen“. Die persönlichen Gegenstände solcher Journalisten seien zu beschlagnahmen. Einem Informanten zufolge sollen IS-Anführer sogar Kopfgelder als Belohnung für die Entführung ausländischer Reporter ausgesetzt haben.
In den irakischen Provinzen Mossul und Salaheddin schloss der IS die Büros der Fernsehsender Sama Salaheddin TV, Al-Fayhaa TV, Al-Ahad TV und Al-Scharkija TV. Die entführten irakischen Journalisten arbeiteten nach Angaben des Journalistic Freedoms Observatory allesamt für diese Sender, weitere stehen aus dem gleichen Grund unter strenger Beobachtung. In Mossul können derzeit nur noch die vom IS selbst betriebenen Medien arbeiten – in den Räumen und mit der Ausrüstung der geschlossenen Sender. „Mindestens 60 oder 70 Prozent der Journalisten von Mossul haben die Stadt verlassen, die anderen bleiben zu Hause“, berichtet ein Informant, der ungenannt bleiben will.
Journalisten müssen Loyalität zum "Kalif" schwören
Insgesamt kontrolliert der IS nach US-Medienberichten fünf Fernsehsender in Mossul und zwei in der syrischen Stadt Rakka. Hinzu kommen arabischen Medien zufolge ein Radiosender in Mossul sowie mindestens ein Print- und Onlinemagazin.
In der syrischen Provinz Deir al-Sor erließ der IS einem Bericht des Onlinedienstes Syria Deeply zufolge elf nicht verhandelbare Regeln für Journalisten, die über die Aktivitäten der Gruppe berichten wollen. So müssten sie Loyalität gegenüber dem selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi schwören, nichts ohne Erlaubnis der IS-Pressestelle veröffentlichen und nicht mit bestimmten Fernsehsendern wie Al-Arabija, Al-Jazeera and Orient TV zusammenarbeiten.
Wer gegen diese Regeln verstößt, wird verfolgt und getötet. Ein Beispiel ist der 17-jährige Abdullah al-Buschi, der öffentlich gekreuzigt worden sein soll, weil er das IS-Hauptquartier in Aleppo gefilmt habe.
Iraks Regierung reagiert mit Repressionen gegen Medien
Die irakische Regierung hat auf die Bedrohung durch den IS reagiert, indem sie ihrerseits die Kontrolle über die Medien verstärkt. So wurden noch vor dem Regierungswechsel im vergangenen Sommer drei Fernsehsender geschlossen, weil sie Spannungen zwischen den Konfessionsgruppen angeheizt und nicht „neutral“ berichtet hätten. Die neue Regierung will weitere Sender schließen, offiziell wegen ausgelaufener Lizenzen.
Die Behörden in Syrien gehen schon seit dem Beginn der Massenproteste gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad im Frühjahr 2011 massiv gegen jede unabhängige Berichterstattung vor. Regime und Rebellengruppen haben dort bis heute Hunderte Medienschaffende verhaftet, verschleppt oder getötet, darunter zahlreiche Bürgerjournalisten. Aktuell sitzen in den Gefängnissen des syrischen Regimes rund 40 Journalisten.
Syrien steht auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 177, der Irak auf Platz 153 von 180 Ländern.
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