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Tunesien

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 118 von 180
Tunesien 12.07.2016

Fernsehmacht zieht Politiker an

©MOM/RSF

Die tunesische Medienlandschaft ist heute zwar vielfältiger als vor dem Sturz von Diktator Ben Ali, auf dem Fernsehmarkt suchen die Besitzer der wichtigsten Sender aber erneut die Nähe der politischen Machthaber. Die intransparente Finanzierung vieler Medien und das Fehlen verlässlicher Zahlen zur Reichweite behindern eine effektive Kontrolle der Konzentration im Mediensektor. Das sind die Ergebnisse des Media Ownership Monitor, die Reporter ohne Grenzen heute in Tunis vorgestellt hat.
Für den Media Ownership Monitor (MOM) hat ROG zusammen mit der lokalen Partnerorganisation Al Khatt drei Monate lang vor Ort recherchiert und die Besitzverhältnisse in den verschiedenen Mediensektoren untersucht. Die Ergebnisse sind unter http://www.mom-rsf.org/tun auf Englisch und Französisch sowie demnächst auch auf Arabisch abrufbar. 
„In Tunesien haben die neuen Machthaber nach dem Sturz Ben Alis etliche Medienunternehmen konfisziert. Sie müssen nun möglichst rasch und transparent weiter verkauft werden. Nur so bleibt die Vielfalt der Medienlandschaft gesichert“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Der Medienmarkt ist nicht einfach ein Wirtschaftszweig wie jeder andere. Wir müssen ihn besonders aufmerksam beobachten, denn Medienbesitz bedeutet Meinungsmacht, und Meinungsmacht garantiert Einfluss.“

Fernsehen zieht Politiker an, Reichweitenzahlen fehlen

Die Besitzstrukturen auf dem tunesischen Fernsehmarkt sind nach wie vor eng mit der politischen Machtelite verflochten. Obwohl die Vorgaben der Regulierungsbehörde für audiovisuelle Medien (HAICA) Besitzern von Radio- oder Fernsehsendern die Ausübung politischer Ämter verbieten, wird diese Trennung in der Realität oft nicht klar genug vollzogen. Zwar haben mehrere Gründer oder Besitzer von Fernsehsendern ihre Anteile verkauft oder sind von ihrem politischen Amt zurückgetreten. Dennoch bleiben sechs der zehn für den MOM analysierten TV-Sender direkt oder indirekt mit führenden Politikern oder Parteien verbunden.
Hinzu kommt, dass weder für den Print- noch für den Radio-  und Fernsehmarkt in Tunesien verlässliche Angaben zu Reichweite und Mediennutzung existieren. In einem gesunden Medienmarkt sind diese Daten jedoch unerlässlich: Sie erlauben es, Medienkontrolle zu erkennen und zu verhindern und bestimmen als Währung auf dem Werbe- und Anzeigenmarkt über die finanzielle Situation eines Mediums. In Tunesien ist die Reichweitenerhebung nicht reguliert. Analyseinstitute und Medien arbeiten oft nicht unabhängig voneinander und Zahlen werden instrumentalisiert, um politische oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen.

Finanzierung vieler Medien intransparent

Ähnlich intransparent ist die Finanzierung vieler Medien in Tunesien. Unter Diktator Ben Ali wurde die Vergabe staatlicher Werbegelder zentral durch die Agentur für externe Kommunikation (ATCE) verwaltet, die im Januar 2011 aufgelöst wurde. Es fließt weiterhin Geld aus dem Staatshaushalt an Medien, Behörden und öffentliche Stellen geben heute jedoch keine Auskunft mehr darüber, welche Summen sie für Werbung oder Abonnements aufwenden. Auf der anderen Seite existieren Medien, die kaum oder gar nicht über Werbeeinnahmen verfügen und sich dennoch erstaunlich gut selbst finanzieren – aus unbekannter Quelle.

Positiv sind die Bemühungen der tunesischen Behörden hervorzuheben, Medienvielfalt zu fördern. Mit der Notverordnung 2011-115 über die Pressefreiheit und den Bestimmungen der Regulierungsbehörde HAICA ist ein gesetzlicher Rahmen geschaffen, der Konzentration im Mediensektor verhindern soll. Nach dem Sturz Ben Alis konfiszierte der Staat diverse Unternehmen, die bedeutende Anteile an verschiedenen Medien hielten. Dazu gehörten das Verlagshaus Dar Assabah, die Radiosender FM Zitouna , Shems FM und Mosaique FM, der Sender Hannibal TV und die Produktionsfirma Cactus Prod. Der Verkauf dieser Medien geht bislang äußerst schleppend voran. Er muss in transparenter Weise und mit Blick auf die Medienvielfalt vorangetrieben werden.

Der Media Ownership Monitor - Ein globales Rechercheinstrument

Mit dem Media Ownership Monitor (MOM) hat Reporter ohne Grenzen ein standardisiertes Recherche- und Publikationsinstrument entwickelt, das Besitzverhältnisse von Massenmedien in ausgewählten Ländern transparent macht. Der MOM deckt die Interessen von Medienbesitzern auf und bildet ihre Meinungsmacht über die verschiedenen Mediensektoren – TV, Radio, Print und Online – anschaulich ab. Die Untersuchungsergebnisse sind als ständig aktualisierte Online-Datenbanken öffentlich zugänglich und tragen so dazu bei, das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit für Fragen der Medienkonzentration zu schärfen und auf politischer Ebene für einen gesetzlichen Rahmen zu werben, der Medienpluralismus schützt. 

Der MOM ist ein internationales Projekt von Reporter ohne Grenzen, das von der deutschen ROG-Sektion initiiert wurde und mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umgesetzt wird.Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen wurde er 2015 erstmals in Kolumbien und Kambodscha durchgeführt, 2016 wird er neben Tunesien in der Ukraine, der Mongolei, der Türkei, auf den Philippinen und in Peru eingeführt. Weitere Länder sind in Planung.

Tunesien nimmt auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen derzeit Platz 96 von 180 Staaten ein.


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