Europa 19.10.2019

Mehr Druck auf Zivilgesellschaft und Journalisten

Zivilgesellschaftliche Demonstration in Ungarn. © picture alliance / AP Photo

Die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland, das PEN-Zentrum Deutschland, Reporter ohne Grenzen und Amnesty International Deutschland fordern die deutsche Bundesregierung auf, sich auf EU-Ebene und in Deutschland für eine Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen und den Schutz von Journalistinnen und Journalisten einzusetzen. „Schrumpfende Handlungsräume“ (shrinking space) für die Zivilgesellschaft erschweren die Bekämpfung von Missständen wie Korruption und Menschenrechtsverletzungen und bedrohen die Meinungs- und Pressefreiheit im Allgemeinen.

Staatliche Angriffe auf die Zivilgesellschaft nehmen zu

Seit einigen Jahren ist ein beunruhigender Trend zu beobachten: Staatliche Angriffe auf die Zivilgesellschaft nehmen zu, Handlungsräume für regierungskritische Organisationen und JournalistInnen werden kleiner. Besonders alarmierend ist, dass Regierungen in einigen europäischen Staaten – insbesondere in Mittel- und Osteuropa – die Zivilgesellschaft mit sogenannten „NGO-Gesetzen“ zunehmend unter Druck setzen. Dies hat Konsequenzen: Zivilgesellschaftliche Organisationen werden ihrer Finanzierung beraubt, lösen sich auf, Kritikerinnen und Kritiker gehen ins Exil. Das politische Klima hat sich in vielen Ländern dramatisch zu Ungunsten zivilgesellschaftlicher Organisationen und sozialer Bewegungen verschlechtert.

Dazu Hartmut Bäumer, Vorsitzender von Transparency Deutschland: „Wirksame Korruptionsbekämpfung braucht eine starke Zivilgesellschaft. Die deutsche Bundesregierung muss sich innerhalb der EU dafür stark machen, dass Regierungen, die den Rechtsstaat und Grundwerte wie Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen treten, keine Kontrolle mehr über die finanzielle Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen durch die EU erhalten.“

Julia Duchrow, Abteilungsleiterin Politik und Activism von Amnesty International in Deutschland: „Mehr und mehr beobachten wir solche Entwicklungen auch in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, zum Beispiel durch die Kriminalisierung von Seenotretterinnen und Seenotrettern in Italien oder auch in Ungarn, wo die Unterstützung von Geflüchteten, zum Beispiel durch Rechtsberatung, unter Strafe gestellt wird. Gleichzeitig erleben wir in Polen und Ungarn substanzielle Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit, die die Unabhängigkeit der Justiz und damit auch den Schutz der Zivilgesellschaft infrage stellen.“  

Presse- und Meinungsfreiheit in Gefahr

Freie, unabhängige Medien sind eine wichtige Säule demokratischer Gesellschaften und für die Aufdeckung von Missständen wie Korruption unerlässlich. Laut Reporter ohne Grenzen hat sich die Situation der Pressefreiheit in Europa im Jahr 2018 so sehr verschlechtert wie in kaum einer anderen Weltregion. Zwar können Journalistinnen und Journalisten in Europa noch immer am freiesten und sichersten arbeiten. Doch auch hier wurden im vergangenen Jahr Medienschaffende tätlich angegriffen oder sogar ermordet, auch hier mangelt es Behörden am Willen, solche Verbrechen aufzuklären.

„Nicht nur die grausame Ermordung der investigativen Journalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia, sondern auch die mangelnde Aufklärungsbereitschaft der maltesischen Behörden hat eindringlich gezeigt, wie sehr die Rechtsstaatlichkeit in einem EU-Land durch Formen der Korruption ausgehöhlt wurde, die nicht akzeptiert werden dürfen“, so der Vizepräsident des PEN-Zentrums Ralf Nestmeyer.

„Organisiertes Verbrechen, eine korrupte Justiz sowie Politikerinnen, Politiker und Sicherheitsbehörden, die oft selbst von kriminellen Netzwerken profitieren, befeuern immer wieder aufs Neue einen Kreislauf der Straflosigkeit: Wenn keine Strafe droht, müssen sich Nachahmerinnen und Nachahmer geradezu ermutigt fühlen. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist politischer Druck von außen unabdingbar“, sagt Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen.

Fehlende Rechtssicherheit in Deutschland

Initiativen zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit und Versuche, Verbandsklagerechte einzuschränken, führen dazu, dass zivilgesellschaftliche Organisationen auch in Deutschland bei ihrer Arbeit behindert werden. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat Ende Februar 2019 der Organisation Attac die Gemeinnützigkeit abgesprochen und dies damit begründet, dass die Organisation es bei ihren Kampagnen an „politischer Offenheit“ habe fehlen lassen. Diese Entscheidung führt zu einer bedenklichen Verunsicherung zivilgesellschaftlicher Organisationen. Das Urteil des BFH ist für eine Vielzahl weiterer politisch tätiger Organisationen relevant, die nun befürchten müssen, ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu verlieren. Der Gemeinnützigkeitsstatus ist von grundlegender demokratischer Bedeutung und der Verlust wäre für viele zivilgesellschaftliche Organisationen existenzbedrohend.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, im Oktober 2019 einen Gesetzentwurf für die Novellierung des Gemeinnützigkeitsrechts vorzulegen. „Wir erwarten vom Bundesfinanzminister, dass mit dem Gesetz Rechtssicherheit für politisch aktive Organisationen geschaffen wird. Es muss erlaubt sein, dass sich zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auch politisch äußern“, so Bäumer.

Hintergrund

Transparency Deutschland lädt im Rahmen der Frankfurter Buchmesse 2019 zur Veranstaltung „Kritik unerwünscht? Zivilgesellschaft unter Druck“ ein. Auf dem Panel sind József Péter Martin, Geschäftsführer von Transparency International Ungarn, Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, und der Journalist und Buchautor Christian Bommarius vertreten. Hartmut Bäumer wird die Diskussion moderieren. Die Veranstaltung findet am Samstag, den 19. Oktober 2019, um 16 Uhr, auf der Bühne des Weltempfangs (B 81 in Halle 4.1) statt.

Hartmut Bäumer und Ralf Nestmeyer stehen am Samstag, den 19. Oktober 2019, um 12 Uhr, am Stand des PEN-Zentrum Deutschland (D 92 in Halle 4.1) für Gespräche und Interviews zur Verfügung.

Amnesty International Deutschland lädt am Sonntag, den 20. Oktober 2019, um 11 Uhr zum Gespräch mit der preisgekrönten Journalistin Humayra Bakthiyar aus Tadschikistan ein, die im Exil in Deutschland lebt. Um 12.30 Uhr findet die Veranstaltung „Rights at stake in Bangladesch“ mit der Menschenrechtsverteidigerin Hana Shams Ahmed und dem Menschenrechtsverteidiger Jyotirmoy Barua in englischer Sprache statt. Beide Gespräche finden im Amnesty-Mobil (Halle Agora / Stand Ago E11) statt.

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