Malta 12.10.2018

Mord an Journalistin endlich aufklären

picture alliance / Lena Klimkeit/© dpa

Knapp ein Jahr nach dem Mord an der Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) die maltesischen Behörden auf, die Tat endlich lückenlos aufzuklären. Caruana Galizia wurde am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe in dem Ort Bidnija im Norden Maltas getötet. Die Ermittlungen kommen nur schleppend voran. Drei Männer sitzen seit Dezember in Untersuchungshaft, jedoch ist bis heute unklar, wer die Drahtzieher sind. Neben Caruana Galizia wurden seit Anfang 2017 drei weitere Journalistinnen und Journalisten innerhalb der EU ermordet. In keiner anderen Weltregion hat sich die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr so stark verschlechtert wie in Europa.

„Wer ist verantwortlich für den Mord an Daphne Caruana Galizia? Es wird höchste Zeit, dass die Auftraggeber dieses abscheulichen Verbrechens identifiziert und bestraft werden, um ein deutliches Zeichen für den Schutz der Pressefreiheit zu setzen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Es wäre ein verheerendes Signal für Medienschaffende weltweit, wenn der Mord an einer Investigativjournalistin in einem EU-Land unbestraft bliebe.“

Mihr fügte hinzu: „Die Verbrechen gegen Journalisten in der Europäischen Union offenbaren auch Versäumnisse bei früheren EU-Beitrittsverhandlungen, in denen das Thema Pressefreiheit zu kurz gekommen ist. Ein Blick in aktuelle EU-Fortschrittsberichte zeigt, dass zwar die Problemlagen in einigen Ländern beschrieben, die Verantwortlichen aber nicht konkret genannt werden. Brüssel darf nicht wegschauen, wenn Beitrittskandidaten und Mitgliedstaaten beim Schutz von Journalisten versagen.“

Verleumdungsklagen wegen kritischer Recherchen

Caruana Galizia war eine bekannte maltesische Investigativjournalistin und Bloggerin. In ihrem 2008 begonnenen Blog Running Commentary, der mitunter 400.000 Mal am Tag aufgerufen wurde, prangerte sie Regierungskorruption, Bestechung, illegalen Handel und Offshore- Finanzgeschäfte in Malta an. Die 53-Jährige hatte unter anderem über die Beteiligung enger Vertrauter von Ministerpräsident Joseph Muscat an Geschäften berichtet, die später auch in den Panama Papers auftauchten. Ihr Blog hatte oft mehr Leser als die maltesischen Zeitungen, für die Caruana Galizia gelegentlich schrieb.

Nach einem kritischen Blogpost im Februar 2017 über den Wirtschaftsminister Chris Cardona und seinen Berater wurden vier Verleumdungsklagen gegen sie erhoben und über 45.000 Euro auf ihrem Konto eingefroren. Zum Zeitpunkt ihres Todes waren mehr als 40 Verleumdungsklagen gegen die Journalistin anhängig.

Trotz Festnahmen bleiben Hintermänner unbekannt

Im Dezember wurden zehn Verdächtige festgenommen, sieben von ihnen kamen gegen Kaution wieder frei. Gegen drei der Verdächtigen hat ein Gericht Anklage erhoben. Seitdem sitzen die polizeibekannten Männer in Untersuchungshaft. Die Angeklagten leugnen die Tat. Wer den Mord in Auftrag gegeben hat, ist bis heute unklar.

Im Juni wurde der Chefermittler im Mordfall befördert und damit vom Fall abgezogen. Anthony Vella, der sich für die Beförderung nicht beworben hatte, hatte sich bei einem Treffen mit ROG-Vertretern in Malta Mitte April dafür ausgesprochen, den Fall aufzuklären und die Drahtzieher zur Rechenschaft zu ziehen.

NGO-Delegation in Malta

Am 15. Oktober reist eine Gruppe von sechs Presse- und Meinungsfreiheits-NGOs für zwei Tage nach Malta. Vertreter von Reporter ohne Grenzen, dem Committe to Protect Journalists, dem Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit, der Europäische Journalisten-Föderation, dem International Press Institute und PEN International werden Maltas Premierminister Joseph Muscat und weitere Regierungsvertreter treffen. Die Delegation wird sich vor Ort über die Entwicklungen im Fall sowie über die generelle Lage der Presse- und Meinungsfreiheit im Land informieren.

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit ist Malta der stärkste Absteiger. Innerhalb eines Jahres hat sich das EU-Land um 18 Plätze verschlechtert und steht derzeit auf Rang 65 von 180 Staaten.

Vier Journalistenmorde in der EU

Seit Anfang 2017 wurden innerhalb der EU vier Journalistinnen und Journalisten getötet. Im August 2017 wurde die freie schwedische Journalistin Kim Wall auf brutale Weise auf dem U-Boot des dänischen Erfinders Peter Madsen ermordet, über den sie ein Porträt schreiben wollte. Im April 2018 verurteilte ein Gericht in Kopenhagen Madsen wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Die angesehene Journalistin Wall schrieb unter anderem für die New York Times und The Guardian.

Im Februar 2018 wurden der slowakische Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová in ihrem Haus in Veľká Mača im Westen der Slowakei erschossen. Bis heute ist unklar, wer für die Tat verantwortlich ist. Kuciak war als Reporter des Nachrichtenportals Aktuality.sk auf große Recherchen zu Korruption und Steuerhinterziehung spezialisiert.

Am vergangenen Wochenende war die brutal zugerichtete Leiche der Fernsehjournalistin Viktoria Marinova in einem Park in der nordbulgarischen Stadt Russe entdeckt worden. Die 30-jährige Moderatorin arbeitete beim privaten Lokalsender TVN, einem der meistgesehenen Fernsehsender im Nordwesten Bulgariens, für den sie die politische Talkshow „Detektor“ moderierte. Die bulgarischen Behörden müssen den Mord an Marinova lückenlos aufklären und jeden Zweifel daran aus dem Weg räumen, dass sie nicht wegen ihrer journalistischen Arbeit getötet wurde.

Mitte März hatte Reporter ohne Grenzen in einem Bündnis mit 16 weiteren Organisationen die EU in einem offenen Brief an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aufgefordert, die Slowakei und Malta zur vollständigen Aufklärung der Morde an Kuciak und Caruana Galizia zu drängen.

Medienfeindliche Hetze in Europa

Vier der fünf Länder, deren Platzierung sich in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit am stärksten verschlechtert hat, liegen in Europa: die EU-Mitglieder Malta, Tschechien und Slowakei sowie das Balkanland Serbien. In diesen Ländern sind Spitzenpolitiker durch verbale Anfeindungen, Beschimpfungen und juristische Schritte gegen Journalistinnen und Journalisten aufgefallen. Zum Teil engen dort auch die Besitzverhältnisse der Medien die Freiräume für kritische Berichterstattung ein.  



nach oben