Albanien / Albanien 16.03.2018

Medienpluralismus in Albanien bloß Fassade

© MOM

Eine außerordentlich hohe Publikums- und Marktkonzentration, starke politische Interessen der Besitzer und weit verbreitete Selbstzensur prägen die Medienlandschaft in Albanien. In der Folge mangelt es sowohl auf dem Radio- und Fernsehmarkt als auch bei den Printmedien an echter Vielfalt – auch infolge mangelhafter Regulierung. Das zeigen die Ergebnisse des Projekts Media Ownership Monitor, die Reporter ohne Grenzen und das Investigativ-Netzwerk BIRN Albania jetzt nach dreimonatigen Recherchen in Tirana vorgestellt haben.

Die detaillierten Ergebnisse sind ab sofort auf Englisch und Albanisch unter albania.mom-rsf.org abrufbar und stellen eine umfassende Bestandsaufnahme des albanischen Medienmarkts einschließlich Hintergrundinformationen zu seinen Hauptakteuren und deren Interessen dar. 

„Die Ergebnisse zerstören den Mythos, dass die albanischen Medien trotz aller Unzulänglichkeiten eine Vielzahl von Sichtweisen präsentieren“, sagte die Geschäftsführerin von BIRN Albania, Kristina Voko. „Tatsächlich macht eine Handvoll Familien mehr als die Hälfte der Publikumsanteile und 90 Prozent der Umsätze unter sich aus.“

„Trotz intensiver Bemühungen der Zivilgesellschaft und umfangreicher internationaler Unterstützung ist es in Albanien seit der politischen Wende von 1991 nicht gelungen, eine pluralistische Landschaft unabhängiger und tragfähiger Medien aufzubauen“, sagte ROG-Projektleiter Olaf Steenfadt. „Albaniens politische Eliten sollten sich endlich für eine gesunde, vielfältige Medienlandschaft einsetzen, von der das Land insgesamt profitieren würde – nicht zuletzt mit Blick auf seinen angestrebten Beitritt zur Europäischen Union.“

Politische Interessen und Selbstzensur

Die Medien in Albanien sind zu einem sehr großen Teil politisiert. 65 bis 76 Prozent des Publikums werden von Medien (Fernsehen, Radio und Print) erreicht, deren Eigentümer politische Interessen haben.

Ein Beispiel ist die mächtige Medieneigentümerfamilie Hoxha, der das größte Medienunternehmen Albaniens – die Top Media Group – und die Bezahlfernseh-Plattform DigitAlb gehören. Ihr landesweiter Fernsehsender Top Channel wird seit kurzem von dem langjährigen Politiker Ben Blushi geleitet. Die Mediengruppe ist der Hauptprofiteur einer Ende März 2017 vom Parlament beschlossenen Kompensationszahlung in Höhe von insgesamt fünf Millionen Euro, mit der Medienunternehmen für die geplante Abschaltung der analogen Verbreitungswege entschädigt werden sollen.

Infolge des Drucks durch Medieneigentümer mit politischen oder wirtschaftlichen Interessen sehen sich viele Journalisten in Albanien zu Selbstzensur gezwungen. In einer Umfrage bezeichneten rund 80 Prozent der teilnehmenden albanischen Journalisten ihre Stellen als unsicher; zugleich machten sie deutlich, Selbstzensur als Mittel zum Schutz vor einer Kündigung zu sehen.

Hohe Publikumskonzentration

Die vom MOM-Team zusammengetragenen Daten weisen für Albanien insgesamt eine außerordentlich hohe Medienkonzentration aus. Albaniens fünf Sendelizenzen für das kommerzielle digitale Fernsehen sind im Besitz von nur drei Familien, drei davon gehören sogar einer einzigen Familie. Diese Situation deutet auf ein eklatantes Versagen der Aufsichtsbehörden bei der Lizenzvergabe hin. 

Die vier reichweitenstärksten Fernseheigentümer – die Familien Frangaj (Klan TV, ABC News), Hoxha (Top Channel, Top News) und Dulaku (Vizion Plus) sowie je nach Umfrageinstitut Irfan Hysenbelliu (News 24) oder die Familie Ndroqi (Ora News, Channel One) – vereinen auf ihren Sendern rund die Hälfte der Einschaltquoten (je nach Marktforschungsinstitut 49 bis 59 Prozent). 

Noch höher ist die Publikumskonzentration auf dem Radiomarkt, wo auf vier Eigentümer – die Familie Hoxha, den staatlichen Rundfunk RTSH,  Arben Bylykbashi und die Familie Ndroqi – fast zwei Drittel (64 Prozent) der Höreranteile entfallen. Nur bei den Printmedien ergaben die Recherchen eine mittlere Konzentration – hier vereinen die vier führende Eigentümer 43 Prozent der Leseranteile auf sich. Hoch ist in Albanien auch die Besitzverflechtung: Die acht größten Eigentümer in den Ferseh-, Radio-, Print- und Online-Nachrichtenmärkten erreichen zusammengenommen Publikumsanteile von 72 bis 80 Prozent. Insgesamt zeigen diese Zahlen ein besorgniserregend hohes Risiko für den Medienpluralismus in Albanien.

Hohe Konzentration nach Medienumsätzen

Der albanische Medienmarkt ist klein und übersättigt, was starken wirtschaftlichen Druck auf die beteiligten Akteure zur Folge hat. Die Zahl der Print-Veröffentlichungen wird auf mehr als 200 geschätzt. Das MOM-Team untersuchte davon zwölf landesweite Zeitungen näher und fand heraus, dass auf einen einzigen Besitzer – Irfan Hysenbelliu mit den Zeitungen Panorama und Gazeta Shqiptare – 54  Prozent der Umsätze entfallen. Die vier größten Zeitungsverleger – Irfan Hysenbelliu, Koco Kokëdhima (Shekulli), die Gebrüder Leka (Monitor) und die Gebrüder Dabulla (Gazeta Dita) – bringen es zusammen auf 86,5 Prozent der Umsätze im Print-Markt. 

Auf dem kommerziellen Fernsehmarkt vereinen die vier größten Eigentümer – die Familien Hoxha, Frangaj und Oulaku sowie Irfan Hysenbelliu – 90 Prozent der Umsätze auf sich; allein auf die größten zwei entfallen zusammen mehr als zwei Drittel (72 Prozent). 

Der audiovisuelle Medienmarkt ist zwar auf dem Papier gesetzlich reguliert, aber die zuständige Behörde wird weithin als von Politikern und Unternehmern beeinflusst eingeschätzt. So sind die Anteile und Stimmrechte an Fernsehgesellschaften theoretisch gesetzlich begrenzt, aber es gibt keine klaren Grenzwerte für eine Monopolbildung. Einen wichtigen Gesetzesparagrafen, der den Anteil einer einzelnen Person oder Gesellschaft an einem landesweiten Fernsehsender auf 40 Prozent begrenzte, erklärte das Verfassungsgericht im Mai 2016 für ungültig.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Albanien auf Platz 76 von 180 Ländern weltweit.

Über den Media Ownership Monitor

Der Media Ownership Monitor ist ein internationales Projekt von Reporter ohne Grenzen, das mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umgesetzt wird. Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen wurde er erstmals 2015 in Kolumbien und Kambodscha durchgeführt. MOM-Ergebnisse liegen außerdem bereits aus Tunesien, der Türkei, der Ukraine, Peru, den Philippinen, der Mongolei, Serbien, Ghana, Brasilien und Marokko vor. Als nächste Projektländer sind Mexiko, Sri Lanka, Pakistan, Libanon, Tansania und Ägypten vorgesehen.

Mehr zum Projekt unter www.reporter-ohne-grenzen.de/mom, alle Ergebnisse unter www.mom-rsf.org

Der albanische MOM-Partner Balkan Investigative Reporting Network in Albania (BIRN Albania) ist Teil eines Netzwerks lokaler Nichtregierungsorganisationen, die sich für Meinungsfreiheit, Menschenrechte und demokratische Werte einsetzen, indem sie anspruchsvolle Berichte produzieren und einen Stamm an gut ausgebildeten Journalisten aufbauen. 



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