Ägypten 25.01.2019

MOM-Projekt unter widrigen Bedingungen

Startseite der Website Media Ownership Monitor Ägypten © ROG

Zur Vorstellung des Projekts Media Ownership Monitor (MOM) Ägypten veröffentlicht Reporter ohne Grenzen am heutigen Freitag erstmals Rechercheergebnisse auf einem Tor-Server, um die Online-Zensur im Projektland zu umgehen. Ägypten ist das erste der 21 MOM-Projektländer, in dem sowohl die Seite von ROG Deutschland als auch die der internationalen Organisation und von MOM selbst gesperrt wurden. Auch konnten aus Sicherheitsgründen erstmals weder die MOM-Rechercheure in das Projektland einreisen noch kann die lokale Partnerorganisation öffentlich genannt werden.

Die fatale Lage der Pressefreiheit in Ägypten spiegelt sich in den Ergebnissen der MOM-Recherchen wider: Die im gesamten arabischen Raum einflussreiche Medienlandschaft hatte schon immer unter starker staatlicher Einflussnahme zu leiden, doch unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi verschlechtert sich die Situation zusehends weiter, da Medienunternehmen systematisch in die Hände regimenaher Akteure transferiert werden. Mehr als die Hälfte der Medienunternehmen gehören inzwischen dem Staat selbst sowie den Geheimdiensten, weitere wichtige Medieneigentümer sind einige wohlhabende Geschäftsleute. Alle Rechercheergebnisse von MOM Ägypten sind ab sofort auf Arabisch und Englisch unter http://egypt.mom-rsf.org einsehbar.

„Präsident al-Sisi hat seine Macht über die ägyptische Medienlandschaft in den letzten Monaten unerbittlich ausgebaut“, sagte Olaf Steenfadt, Projektleiter des Media Ownership Monitor bei Reporter ohne Grenzen. „Durch feindliche Übernahmen einst privater Medienhäuser ist der Staat zum größten Eigentümer im Rundfunkbereich geworden. Wenn diese Entwicklung sich fortsetzt, ist bald die gesamte Medienlandschaft unter staatlicher Kontrolle."

Keinerlei offizielle Informationen über Medienmarkt

MOM hat die 41 ägyptischen Medien analysiert, die als die einflussreichsten im Land gelten. Da es in Ägypten unmöglich ist, an offizielle Informationen über die Besitzverhältnisse auf dem Medienmarkt zu gelangen, basieren die Informationen von MOM Ägypten auf den Auskünften vertrauenswürdiger Quellen vor Ort. Demnach gehören 36,6 Prozent der 41 analysierten Medien dem Staat (über die Nationale Medienbehörde und die Nationale Pressebehörde) und 17,1 Prozent den Geheimdiensten (über die Egypt Media Group und die Falcon Group).

Der Printsektor ist weitgehend aufgeteilt zwischen den staatlichen Zeitungshäusern Al Ahram Establishment, Dar Akhbar Al Youm und Dar El Tahrir for Printing and Publishing sowie dem privaten Al Masry Establishment for Press, Printing and Publishing des einflussreichen Geschäftsmanns Salah Diab.

Der Rundfunksektor, vor allem das Satellitenfernsehen, wird dominiert von der Egyptian Media Group (eins der einflussreichsten Medienunternehmen des Landes, das indirekt vom Geheimdienst kontrolliert wird), gefolgt vom Staat sowie den Privatunternehmen Trenta und Cleopatra Media. Sieben von zehn Radiosendern gehören dem Staat, entweder direkt über die Nationale Medienbehörde oder über die in öffentlicher Hand befindliche Nile Radio Company. Nur ein Radiosender (Nogoum FM) ist in privater Hand. Der private Sender DRN Radio musste im Untersuchungszeitraum schließen und wurde dann der Egyptian Media Group zugeschlagen. El Radio 9090 FM gehört der D Media Company, die Verbindungen zum Militärgeheimdienst hat.

Der Online-Nachrichten-Markt erscheint im Vergleich diverser aufgestellt, allerdings die beliebtesten Plattformen die Online-Angebote von Offline-Medien, die so ihre Reichweite ausbauen. Zu den beliebtesten Seiten zählen Youm7 (im Besitz der Egyptian Media Group), Masrawy (im Besitz des milliardenschweren Telekommunikationsmoguls Naguib Sawiris), Al Bawaba News (im Besitz des Arab Center for Journalism, das vom Parlamentarier Abdel Rahim Ali geleitet wird) und Sada El Balad News (im Besitz der Cleopatra Media Company).

Die Medien agieren in Ägypten also in einem hochpolitisierten Umfeld, umso mehr, als der Staat Akteur und Regulierungsinstanz zugleich ist. Da die Geheimdienste ihren Einfluss immer weiter ausbauen, ist der Medienpluralismus in Ägypten so gefährdet wie nie.

Al-Sisi baut den Medienmarkt nach seinem Gusto um

Der autoritär und zentralistisch regierende Feldmarschall al-Sisi wurde Anfang 2018 in einer international kritisierten Wahl mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt. Eine seiner ersten Amtshandlungen danach war die Verabschiedung einer Reihe von Gesetzen, die die Medienlandschaft umbauten und seinen eigenen Einfluss sowohl im öffentlichen als auch im privaten Mediensektor ausdehnten. Bereits 2016 setzte Reporter ohne Grenzen al-Sisi auf die Liste der „Feinde der Pressefreiheit“.

Obwohl die postrevolutionäre Verfassung von 2014 unabhängige Regulierungsbehörden für den Mediensektor vorsieht, ermächtigen die neuen Gesetze den Präsidenten, den Vorsitz und einige Mitglieder des neu geschaffenen Obersten Rats für Medienregulierung zu ernennen. Dieser Rat darf Medien mit Geldstrafen und Erscheinungsverboten belegen sowie Lizenzen erteilen und entziehen. Der Präsident hat auch das Recht, den Vorsitz und einige Mitglieder der Nationalen Medienbehörde zur Regulierung des staatlichen Rundfunks und der Nationalen Pressebehörde zur Regulierung staatlicher Print- und Online-Medien zu bestimmen.

Seit al-Sisi im Amt ist, wurden rund ein Dutzend einst einflussreicher Medieneigentümer dazu gedrängt, ihre Anteile teilweise oder komplett an Unternehmen mit Verbindungen zu den Geheimdiensten zu verkaufen. Manche können dank der Beteiligungsstrukturen noch begrenzten Einfluss geltend machen, andere wurden auf symbolische Managementposten versetzt. Geschäftsleute, die dem aktuellen Regime nahestehen, konnten ihre Anteile hingegen behalten – so etwa Mohammed Abu El-Enein, Eigentümer von Sada Al Balad, der dafür bekannt ist, al-Sisi voll und ganz zu unterstützen.

Präsident al-Sisi ernennt auch den Chef des Geheimdienstes General Intelligence Service, der über seine Investmentfirma Eagle Capital die Egyptian Media Group kontrolliert. Seit 2016 hat diese systematisch Anteile in allen Mediensektoren gekauft, um ihren Einfluss und damit den Einfluss des staatlichen Sicherheitsapparats im Mediensektor auszubauen.

Auch der Chef des Militärgeheimdienstes wird von Präsident al-Sisi ernannt. Der Militärgeheimdienst wiederum kontrolliert die Falcon Group, eine Sicherheitsfirma, die seit 2013 ebenfalls Käufe auf dem Mediensektor getätigt hat, darunter mindestens zwei Fernsehsendergruppen und zwei Radiosender.

Insgesamt sind Ägyptens Geheimdienste inzwischen mit 12 der 41 untersuchten Medien verbunden: acht Rundfunkmedien (Mega FM, Nagham FM und Shabee FM, Al Hayah, ON E, Extra News, DRN und El Radio 9090FM) sowie zwei Printmedien und ihre Online-Ausgaben (Al Youm Al Sabea, Al Watan).

Zahlen zur Mediennutzung bleiben im Dunkeln

Die ägyptischen Behörden halten sämtliche Zahlen zum Medienmarkt unter Verschluss, obwohl jedes ägyptische Medium, das als Unternehmen registriert ist, laut Gesetz zur Transparenz verpflichtet ist. Dennoch gelang es dem MOM-Team nicht, auch nur eine einzige Akte aus dem Handelsregister einzusehen, da dafür absurd hohe Gebühren verlangt werden.

Eine Reihe neuer Gesetze verlangt zwar, dass Medienhäuser Jahresabschlüsse und Bilanzen vorlegen, doch bislang haben die Behörden es versäumt, diese Gesetze zu vollziehen. Somit war es dem MOM-Team unmöglich, auf Informationen über die finanzielle Situation der Medienhäuser zuzugreifen. Interessant wären vor allem tiefere Einblicke in die umfassenden Investitionen gewesen, die der General Intelligence Service auf dem Medienmarkt getätigt hat. Einige Recherchen führen in Richtung einer Geldquelle in den Vereinigten Arabischen Emiraten, was jedoch nicht von unabhängiger Stelle bestätigt werden konnte.

Auch die Mediennutzungsdaten werden in Ägypten komplett geheim gehalten. Das Monopol für Informationen darüber liegt beim ägyptischen Staat. Zwar gelang es dem MOM-Team, mithilfe lokaler Experten einen umfangreichen Datensatz anzulegen, zu bestätigen und zu analysieren, doch bleibt die Veröffentlichung bis auf weiteres untersagt. Der Oberste Rat für Medienregulierung drängt Marktforschungsunternehmen, Untersuchungsergebnisse erst zu veröffentlichen, wenn der Rat zugestimmt hat – was so gut wie nie passiert. Das führt dazu, dass in Ägypten keine einzige Studie über Mediennutzung öffentlich zugänglich ist.

JOurnalisten und NGOs müssen Gewalt und Strafverfolgung fürchten

Journalisten müssen in Ägypten in ständiger Angst vor willkürlichen Vernehmungen und Festnahmen sowie körperlicher Gewalt durch den Staat leben. Verbrechen gegenüber Journalisten bleiben fast immer ungestraft. Angesichts dieser Umstände war es erstmals in der Geschichte des MOM-Projekts nicht zu verantworten, dass Mitarbeiter von Reporter ohne Grenzen für MOM ins Land einreisen. Die vor Ort arbeitende Partnerorganisation bleibt aus denselben Gründen ungenannt.

Hunderte von Webseiten wurden in den vergangenen Jahren in Ägypten gesperrt, darunter die vieler NGOs und beinahe aller unabhängiger Medien des Landes. Auch die internationalen Seiten von Reporter ohne Grenzen (darunter http://www.reporter-ohne-grenzen.de und http://www.rsf.org). Die MOM-Seite (http://www.mom-rsf.org)  ist aktuell nicht mehr gesperrt, aber da zu befürchten ist, dass auch sie bald wieder der Zensur zum Opfer fallen wird, stellt ROG erstmals die Ergebnisse eines MOM-Projekts auch auf einem Tor-Server zu Verfügung, damit alle Internetnutzer in Ägypten ungehindert und vor Ausspähung gesichert auf die Seite zugreifen können. Um diese Seite im sogenannten Darknet zu erreichen, muss man zunächst über torproject.org den Tor-Browser herunterladen und installieren. Mit diesem kann man dann auf die Seite gehen.

Der Media Ownership Monitor – ein globales Rechercheinstrument

Der Media Ownership Monitor ist ein internationales Projekt von Reporter ohne Grenzen, das mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umgesetzt wird. Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen wurde er seit 2015 in Ägypten, Albanien, Brasilien, Ghana, Kambodscha, Kolumbien, Marokko, Mexiko, Peru, Serbien, Sri Lanka, Tansania, Tunesien, auf den Philippinen, im Libanon, in der Mongolei, der Türkei und der Ukraine durchgeführt. Die nächsten Projektländer sind Argentinien, Indien und Pakistan.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Ägypten auf Platz 161 von 180 Staaten.

 

Ergebnisse des Projekts MOM Ägypten: http://egypt.mom-rsf.org

Anleitung zum Erreichen der MOM-Ägypten-Ergebnisse auf Tor:

<figure>How to Tor</figure>


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