Nepal
17.06.2020
Journalisten nach Covid-19-Berichten bedroht
Nach mehreren teils massiven Einschüchterungsversuchen gegen Journalistinnen und Journalisten erinnert Reporter ohne Grenzen (RSF) die nepalesischen Behörden an ihre Pflicht, die in der Verfassung verankerte Pressefreiheit zu gewährleisten. Seit Ende März wurden in Nepal mindestens zehn Medienschaffende im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über die Covid-19-Pandemie bedroht, beleidigt, zensiert oder körperlich angegriffen. Zuletzt traf es vergangenen Monat einen Radiojournalisten, der in seiner Sendung das Krisenmanagement eines lokalen Krankenhauses kritisierte.
„Versuche, das Narrativ über die Verbreitung des Virus in Nepal zu kontrollieren, dürfen nicht dazu führen, dass Medienschaffende in irgendeiner Form angegriffen werden. Premierminister Khadga Prasad Sharma Oli muss dafür sorgen, dass die Pressefreiheit gerade in einer Krise wie der Corona-Pandemie ausreichend geschützt wird“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.
Die Berichterstattung über die Covid-19-Krise in Nepal hat zu einem beunruhigendem Anstieg von Drohungen gegen Reporterinnen und Reporter geführt. Jüngstes Beispiel ist der Journalist Shital Sah, Leiter eines Radios in der Stadt Janakpur, 225 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Kathmandu. Mitte Mai berichtete er in seinem Programm „Akhada, Corona Special“ über die Fahrlässigkeit eines durch ein Krankenhaus in Janakpur eingerichteten Zentrums zur Nachverfolgung von Infektionsketten.
Als Sah den Radiosender verließ, wurde er von drei Personen belästigt. Der Journalist vermutet, dass sie vom Gesundheitsminister der Provinz, Nawal Kishore Sah, geschickt wurden. Einer von ihnen war zudem Mitarbeiter des Krankenhauses. Sah sagte RSF, dass er sich seit der Sendung in Janakpur ständig unter Beobachtung fühle. Er erinnerte zudem daran, dass in der Stadt 2009 die Journalistin und Frauenrechtsaktivistin Uma Singh in ihrer Wohnung erstochen und ein Jahr später der Medienbesitzer Arun Singhaniya erschossen wurde.
Dilip Paudel, Reporter der Tageszeitung Nagarik, wurde im April am Telefon und auf sozialen Medien bedroht. Er hatte zuvor über eine schwangere Frau berichtet, die wegen des Verdachts einer Covid-19-Infektion gezwungen wurde, ihre Wohnung im Stadtteil Kirtipur in Kathmandu zu verlassen.
Ähnlich erging es auch dem Reporter Rajan Upadhyay, der für den Radiosender SuklaGandaki und die gleichnamige Webseite arbeitet. Er wurde auf Facebook beschuldigt, „Angst“ und „Falschnachrichten“ zu verbreiten, nachdem er über eine Frau berichtet hatte, die in der Provinz Gandaki in Quarantäne musste.
Angriff und Zensur
RSF registrierte zudem mindestens einen tätlichen Übergriff gegen einen Journalisten. Mitte Mai griffen Soldaten den Reporter Badri Narayan Yadav an, der für die Wochenzeitung Nabajagriti in der Stadt Siraha im Südosten des Landes arbeitet. Obwohl er sich klar als Journalist zu erkennen gab, schlugen sie ihn mit einem Rohr. Yadav hatte zuvor Fotos in der Nähe eines Lockdown-Kontrollpunktes gemacht.
Die Schikanen gegen Medien können heimtückisch sein, wie das Beispiel der Webseite Kathmandu Press zeigt. Chefredakteur Kosmos Biswokarma erfuhr Ende März, dass ein Artikel über die angebliche Verwicklung von Angehörigen hochrangiger Regierungsbeamter in den Kauf medizinischer Ausrüstung aus China wegen Drucks „von oben“ durch das Unternehmen Shiran Technologies, das die Webseite betreut, von der Seite genommen wurde. Einer der Eigentümer des Unternehmens arbeitet als IT-Berater des Premierministers. Zwei Tage später berichtete Kathmandu-Press-Direktor Govinda Pariyar, dass er sich nicht mehr als Administrator auf der Seite anmelden kann. Die darauffolgende Kritik an dem Interessenkonflikt führte schließlich dazu, dass der Artikel wieder online gestellt wurde.
Doch der Fall entwickelte sich weiter. Nachdem der Generalsekretär der nepalesischen Journalistenvereinigung, Ramesh Bista, in einem Statement die Entfernung des Artikel verurteilt hatte, ging die Regierung in die Offensive. Der Medienberater des Premierministers rief Bista an und sagte ihm, er werde ihn für dieses Verhalten „nicht verschonen“ und werde sich „daran erinnern.“ Bista sagte zu RSF, dass er sich wegen der Drohung Sorgen mache und diese ernst nehme. „Ich habe das Gefühl, dass sie jederzeit alles tun können, aber ich habe keine andere Wahl, als für unsere Rechte zu kämpfen.“
„Mysteriöse“ Artikel
Auch der Premierminister persönlich hat mehrere Medien verbal angegriffen, nachdem Journalistinnen und Journalisten in der Hauptstadt darüber berichteten, dass zahlreiche Arbeiterinnen und Arbeiter das Kathmandutal nach dem Coronavirus-Lockdown verlassen haben. Die Zeitungsreporterin Binu Subedi etwa berichtete, dass einige täglich bis zu 15 Stunden eine Autobahn entlang wanderten, um nach Hause zu kommen.
Der Premierminister sagte den Chefredakteurinnen und -redakteuren der regierungsnahen Zeitungen, dass er die Berichte „mysteriös“ finde und nicht verstehe, wie die Reporterinnen und Reporter an diese Information gekommen seien, da seine eigenen Sicherheitsbehörden ihm nichts davon gesagt hätten. Diesen Kommentaren folgte eine von der Regierung organisierte Online-Kampagne inklusive Beleidigungen und Drohungen gegen Subedi auf gefälschten Twitter-Accounts sowie gegen ihren Chefredakteur.
Drohungen auch durch Lokalpolitiker
Auch Vertreterinnen und Vertreter der Lokalregierungen versuchen offenbar, die Berichterstattung zu kontrollieren und Medienschaffende einzuschüchtern. In der Provinz Karnali im Nordwesten Nepals schickte ein Abgeordneter dem Zeitungsjournalisten Nagendra Upadhyay Drohnachrichten, nachdem dieser berichtet hatte, dass die Frau des Politikers während der Ausgangssperre mit einem Regierungsauto unterwegs war.
Drohungen gegen Medienschaffende gehen nicht nur von Mitgliedern der Regierungspartei aus. Im östlichen Distrikt Khotang bedrohte ein lokaler Oppositionspolitiker den Chefredakteur der Webseite Prabhavnews, nachdem dort ein kritischer Artikel über die mangelnde Kooperation des Politikers bei der Quarantäne eines möglichen Covid-19-Patienten veröffentlicht wurde. Der Politiker drohte dem Journalisten am Telefon, sein Leben sei in Gefahr.
Im Distrikt Chitwan 100 Kilometer westlich von Kathmandu bedrohten Ende April zwei Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens den Reporter Subas Pandit. Er hatte zuvor über den Schmuggel medizinischer Ausrüstung berichtet, die in der Covid-19-Station eines örtlichen Krankenhauses genutzt wurde.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Nepal auf Platz 112 von 180 Staaten. Als Oppositionspolitiker setzte sich Khadga Prasad Sharma Oli noch für Pressefreiheit und Pluralismus ein. Seit Amtsantritt als Premierminister im Februar 2018 hat er jedoch versucht, Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen, indem er das Parlament dazu brachte, drakonische Gesetze zu verabschieden. Das im August 2018 verabschiedete neue Strafgesetzbuch enthält mehrere Bestimmungen, die investigative Berichterstattung erschweren und die Kritik an Personen des öffentlichen Lebens einschränken. Die Regierung hat auch versucht, das Parlament zur Verabschiedung eines Gesetzes zu bringen, das eine Regulierungsbehörde für journalistische Inhalte vorsieht, deren Mitglieder direkt von der Exekutive ernannt werden sollten.
Eine weitere besorniserregende Entwicklung ist die medienfeindliche Rhetorik durch Regierungsvertreterinnen und -vertreter, die in Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern der Regierung weitergegeben wird. Angesichts drohender Strafverfolgung und Gewalt gegen Medienschaffende bleiben die Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten, die für unabhängige Medien arbeiten, weiter schwierig.
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