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Palästinensische Gebiete

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 157 von 180
Israel / Palästinensische Gebiete 04.09.2024

Getötete Journalisten: RSF fordert Untersuchung

Die getöteten Journalisten Ismail al-Ghoul und Rami al-Rifi sind auf ausgedruckten Bildern zu sehen, die zwei Menschen in der Hand halten.
Journalisten halten Fotos ihrer getöteten Kollegen Ismail al-Ghoul und Rami al-Rifi. © picture alliance / Anadolu / Dawoud Abo Alkas

Bereits am 31. Juli wurden die Al-Dschasira-Journalisten Ismail al-Ghoul und Rami al-Rifi während ihrer Berichterstattung im Gazastreifen bei einem israelischen Luftangriff getötet. Seitdem behauptet die israelische Armee, al-Ghoul gehöre dem militärischen Flügel der Hamas an, mit der sich die israelischen Streitkräfte (IDF) im Krieg befinden. Stichhaltige Beweise für diese Anschuldigungen fehlen jedoch. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert eine unabhängige Untersuchung dieser und weiterer Fälle. Seit dem 7. Oktober wurden im Gazastreifen mehr als 130 Medienschaffende bei Angriffen der IDF getötet, darunter mindestens 30 bei der Ausübung ihrer Arbeit.

In der Regel weisen die IDF jegliche Verantwortung für gezielte Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten zurück, auch wenn es deutliche Indizien dafür gibt. Am Tag nach dem Luftangriff auf das Fahrzeug, in dem Ismail al-Ghoul und Rami al-Rifi saßen, erklärte die Armee jedoch auf X, dass sie einen Terroristen“ und „Journalisten“ ausgeschaltet habe. In der Folge versuchten die IDF zu belegen, dass al-Ghoul aus ihrer Sicht ein legitimes militärisches Ziel gewesen sei. Nach Auswertung der derzeit vorliegenden Informationen halten RSF und weitere Fachleute diese Argumente jedoch mindestens für fragwürdig. Sie könnten dazu dienen, den Journalisten im Nachhinein zu diskreditieren und den Angriff zu rechtfertigen. Al-Ghouls Kameramann Rami al-Rifi erwähnen die IDF nicht, doch auch er wurde bei dem Angriff getötet.

„Einen Journalisten gezielt zu attackieren, ist nach dem humanitären Völkerrecht ein Kriegsverbrechen“, sagt RSF-Vorstandssprecher Martin Kaul. „Nach bisherigem Stand gibt es begründete Zweifel an der Argumentation der israelischen Streitkräfte, dass es sich bei Ismail al-Ghoul um einen Terroristen gehandelt haben soll. Zur lückenlosen Aufklärung braucht es dringend eine unabhängige Untersuchung dieser und anderer Vorfälle, damit die Straflosigkeit endlich ein Ende hat.“

Mehrere Ungereimtheiten

Laut IDF ist al-Ghoul Mitglied des militärischen Flügels der Hamas und war als Teil ihrer Einheit „Nukhba“ (deutsch „Elite“) an den Terrorangriffen am 7. Oktober 2023 beteiligt. Um ihren Vorwurf zu belegen, veröffentlichten die IDF einen Screenshot einer Namensliste aus dem Jahr 2021, die laut einer offiziellen Erklärung „auf im Gazastreifen beschlagnahmten Hamas-Computern gefunden“ wurde. Laut IDF beweist dieses Dokument, dass „al-Ghoul im Jahr 2021 ein Ingenieur in der Gaza-Brigade der Hamas war“. Nachfragen von RSF zur Herkunft dieses Dokuments beantworteten die IDF ausweichend, Erkenntnisse zur Rolle al-Ghouls am 7. Oktober stammten aus Geheimdienstinformationen, so die IDF. Für die israelischen Streitkräfte sei jemand, der Mitglied des militärischen Flügels der Hamas sei, ein legitimes Ziel, auch wenn er gleichzeitig als Journalist für Al-Dschasira arbeite.

RSF verurteilt die mörderischen Angriffe und das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 aufs Schärfste. Nach der Genfer Konvention hätte ein Journalist sein Recht auf Schutz als Zivilist und insbesondere als Journalist verloren, wenn er in dieser Zeit direkt an Gewaltakten teilgenommen hätte. Das rechtfertigt jedoch keine willkürlichen Tötungen.

RSF weist darauf hin, dass der bewusste Angriff auf das Auto von al-Ghoul durch israelische Streitkräfte als Kriegsverbrechen zu werten ist, sofern keine tatsächlichen Beweise für die erhobenen Anschuldigungen vorliegen.

Eine weitere Ungereimtheit: Laut Medienberichten wurde Ismail al-Ghoul im März 2024 zwölf Stunden lang von den den israelischen Streitkräften festgehalten und verhört. Nach seiner Freilassung erklärte al-Ghoul, der Beamte habe ihn bei der Festnahme beim Namen genannt, offensichtlich sei er den Behörden bekannt gewesen. Dennoch kam er wieder frei. Die IDF erklärten dagegen, al-Ghoul sei nie verhaftet worden.

Laut dem IDF-Screenshot der Namensliste hat al-Ghoul am 1. Juli 2007 einen militärischen Rang erhalten, im Alter von zehn Jahren. In einer anderen Spalte derselben Liste heißt es, er sei 2014 rekrutiert worden. Auf Nachfrage erklärte die israelische Armee, sie sei nicht für die Ungereimtheiten in einem Hamas-Dokument verantwortlich. RSF hat mit zwei Nahost-Experten, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollen, über das Dokument gesprochen. Beide hegen Zweifel an der Echtheit des vorgelegten Dokuments. Auch wenn die Hamas in der Vergangenheit auf „Sommercamps“ junge Männer rekrutiert habe, erfolge der Beitritt zu einer Eliteeinheit in der Regel erst nach mehrjähriger Ausbildung und Prüfungen im Alter von etwa 20 Jahren. Ohne weitere Details oder Kontext sei das Dokument wenig aussagekräftig.

Irene Khan, die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Meinungsfreiheit, verurteilte den Angriff und und wies die gegen al-Ghoul erhobenen Vorwürfe bereits Anfang August scharf zurück. „Das israelische Militär scheint Anschuldigungen ohne stichhaltige Beweise als Freibrief für die Ermordung von Journalisten zu benutzen, was in völligem Widerspruch zum humanitären Völkerrecht steht.“

Ähnliche Anschuldigungen bei früheren Fällen

Es ist nicht das erste Mal, dass das israelische Militär unzureichende Dokumente veröffentlicht, um die gezielte Tötung von Journalisten zu rechtfertigen. Im Januar 2024 starben die Al-Dschasira-Journalisten Hamza al-Dahdouh und Mustafa Thuraya bei einem Drohnenangriff auf ihr Fahrzeug, als sie in Rafah berichteten. Die IDF behaupteten, die Reporter stünden der Hamas oder dem Palästinensischen Islamischen Dschihad, der zweiten im Gazastreifen aktiven Terrororganisation, nahe. Wie im Fall von al-Ghoul machte Israel keine weiteren Angaben zu dem Dokument, das al-Dahdouh belastet, und gab auch das Dokument, das Thuraya belastet, nicht frei. Da Israel keine internationalen Berichterstattenden in den Gazastreifen lässt, sind die Umstände der Angriffe kaum unabhängig zu recherchieren.

RSF hat drei Strafanzeigen beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) eingereicht, in denen Ermittlungen zu Verbrechen gegen palästinensische Medienschaffende gefordert werden. In einem Schreiben an RSF vom 5. Januar 2024 versicherte die Anklagebehörde des IStGH, dass „Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten von der Anklagebehörde neben anderen möglichen Verbrechen als Teil der laufenden Untersuchung der Situation in Palästina untersucht werden.“ Die Ziele und Aktionen von RSF seien „von entscheidender Bedeutung in Gaza und anderswo.“ Journalistinnen und Journalisten „stehen unter dem Schutz des humanitären Völkerrechts und des Römischen Statuts und dürfen unter keinen Umständen bei der Ausübung ihres wichtigen Auftrags angegriffen werden“, so der IStGH in seiner Erklärung.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Israel auf Platz 101 von 180, die Palästinensischen Gebiete stehen auf Rang 157.

Hier finden Sie eine englischsprachige Pressemitteilung des internationalen RSF-Sekretariats mit weiteren ausführlichen Hintergründen.



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