Polen
12.01.2016
EU muss Pressefreiheit verteidigen
Reporter ohne Grenzen appelliert an die Europäische Union, die gravierenden Einschränkungen der Pressefreiheit in Polen zu verurteilen und das Land zur Einhaltung europäischer Standards zu verpflichten. Nach dem Ende Dezember verabschiedeten Mediengesetz planen die mit absoluter Mehrheit regierenden Nationalkonservativen weitere Schritte, um die reichweitenstärksten Medien im Land der totalen Lenkung des Staates zu unterwerfen. Bei ihrer Sitzung am morgigen Mittwoch diskutiert die Europäische Kommission, ob sie den 2014 neu eingeführten Rechtstaatsmechanismus aktiviert und prüft, ob Polen mit den neuen Gesetzen gegen Grundwerte der EU verstößt.
„Würden die polnischen Gesetze in Deutschland gelten, könnte Finanzminister Schäuble jederzeit die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender entlassen und durch eigene Leute ersetzen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Das ist eine Ungeheuerlichkeit, die europäischen Werten aufs Schärfste widerspricht. Das muss die EU bei ihren Gesprächen am Mittwoch unmissverständlich deutlich machen und Polen in die Schranken weisen.“
In einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte ROG die Europäische Kommission auf, Polen zur vollständigen Rücknahme des neuen Mediengesetzes zu drängen und sich nicht auf faule Kompromisse zulasten der Medienfreiheit einzulassen.
Gesetze zur totalen Kontrolle der Medien
Ende Dezember hatte das polnische Parlament im Eiltempo ein Mediengesetz verabschiedet, dass die Eigenständigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Nachrichtenagentur PAP empfindlich einschränkt. Die Chefs der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender ernennt künftig nicht mehr der Nationale Rundfunkrat, sondern der Minister für Staatsvermögen. Er kann die bisherigen Intendanten jederzeit ohne Angaben von Gründen entlassen, ihre Amtszeit läuft mit sofortiger Wirkung aus.
Damit nicht genug: Ein weiteres Gesetz zur Reform der Medien liegt bereits in der Schublade und soll in den kommenden Monaten ins Parlament kommen. Es sieht vor, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Nachrichtenagentur PAP in staatliche Institutionen umzuwandeln, die traditionelle und christliche Werte vermitteln. Sie sollen von einem Direktor geführt werden, der gleichzeitig auch Chefredakteur ist. Die Arbeitsverträge sämtlicher Mitarbeiter der betroffenen Medien sollen drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes ungültig werden. Den neuen Direktoren stünde es dann frei, die Journalisten zu entlassen oder neue Arbeitsverträge abzuschließen. Beaufsichtigen soll die staatlichen Medien ein fünfköpfiger Rat der Volksmedien, dessen Mitglieder der Präsident und das ihm gefügige Parlament ernennen. Damit hätte die national-konservative PiS-Partei die absolute Kontrolle über die reichweitenstärksten Medien im Land.
Regimetreue Journalisten übernehmen den Rundfunk
Aus Protest reichten die Direktoren mehrerer öffentlich-rechtlicher Sender Anfang Januar ihren Rücktritt ein. Zum neuen Chef des Fernsehsenders TVP ernannte die Regierung am 11. Januar Jacek Kurski, der Lech Kaczynski bei der Präsidentschaftswahl 2005 als dessen Fernseh-Wahlkampfchef zum Sieg verholfen hatte. Neue Indendantin des Polnischen Radios wurde die bisher eher unpolitische Autorin Barbara Stanislawczyk. Kaum im Amt, entließ sie den Chefredakteur des ersten polnischen Radiokanals, Kamil Dabrowa, wegen angeblichen „Verstoßes gegen die journalistische Ethik“. Aus Protest hatte er seit der Verabschiedung des neuen Mediengesetzes zur vollen Stunde abwechselnd die Europahymne und die polnische Nationalhymne im Nachrichtenkanal spielen lassen.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Polen momentan auf Platz 18 von 180 Staaten.
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