Themenbericht 05.01.2016

Dschihad gegen Journalisten

Ein Jahr nach dem Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo zeigt Reporter ohne Grenzen in dem Bericht „Dschihad gegen Journalisten“, wie islamistische Gruppen kritische Journalisten systematisch verfolgen und Medien gezielt als Kampfinstrumente nach innen und außen einsetzen.

„Brutale Gewaltvideos sind nur ein kleiner Teil der sehr professionell betriebenen Propagandamaschinerie des IS, die Anhängern ein islamistisches Utopia vorgaukelt und so neue Kämpfer anwirbt“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Dieser Propaganda mit vielseitigen, ausgewogenen Informationen zu begegnen, anstatt im Kampf gegen den Terror die Pressefreiheit einzuschränken, ist die Herausforderung, vor der die internationale Staatengemeinschaft steht.“

Öffentliche Hinrichtungen und die Entführungsindustrie

Der so genannte Islamische Staat (IS) bezeichnet kritische Journalisten offen als militärische Ziele und stellt sie auf eine Stufe mit feindlichen Kämpfern. Nach der Eroberung der irakischen Stadt Mossul etwa entführte der IS allein dort binnen 16 Monaten 48 Medienschaffende und ermordete mindestens 13 von ihnen. Zu den jüngsten Opfern der Extremisten gehören der syrische Journalist Naji Jerf, ermordet am 27. Dezember 2015 in der Türkei, und der Bürgerjournalist Achmed Mohamed al-Mousa vom Netzwerk Raqqa is Being Slaughtered Silently, den Vermummte im Dezember 2015 in der syrischen Stadt Idlib töteten.

Große Beachtung in westlichen Medien fanden die zu Propagandazwecken spektakulär inszenierten Hinrichtungen ausländischer Journalisten. Während der IS die US-amerikanischen Journalisten James Foley und Steven Sotloff vermutlich aus Rache für die Politik der USA in der Region umbrachte, scheiterten im Fall des Japaners Kevin Gotos die Verhandlungen um seine Freilassung – die Islamisten hatten 40 Millionen Dollar Lösegeld gefordert. Die Entführung von Journalisten ist zu einem Geschäftsfeld geworden, dessen Erlöse eine wichtige Finanzquelle für die Extremisten sind.

IS-Propaganda inszeniert islamistisches Utopia

Ausführlich beschreibt ROG in dem Bericht das ausgeklügelte System der Medienlenkung und Propaganda, mit dem die Extremisten des IS den Informationsfluss in den von ihnen besetzen Gebieten und weltweit kontrollieren wollen. Ihre Mittel gleichen denen der Diktatoren, die ROG als Feinde der Pressefreiheit brandmarkt: Verbot der Berichterstattung in bestimmten Zonen, absolute Kontrolle journalistischer Arbeit, exzessive Gewalt gegen kritische Berichterstatter. Sie finden sich beispielhaft in den „11 Geboten für die Journalisten von Deir Ezzor“, die der IS im Oktober 2014 veröffentlichte und die ROG im Bericht dokumentiert.

Vor allem aber richtet sich die professionell inszenierte Propaganda des IS an seine Anhänger im In- und Ausland. Die Extremisten verbreiten ihre Botschaft über sieben Fernsehsender, den Radiosender Al Bayan in Mossul und das in mehreren Sprachen erscheinende Hochglanz-Magazin Dabiq. Über unzählige Kanäle in sozialen Netzwerken in allen Teilen der Welt veröffentlichen sie monatlich mehr als 1000 Propagandabotschaften. Die Videos und Berichte inszenieren ein islamisches Utopia in den vom IS kontrollierten Gebieten: Seine Kämpfer bauen Schulen und Krankenhäuser, kümmern sich um den Schutz der Umwelt und die Versorgung der Menschen. Nur rund zwei Prozent der Inhalte zeigen Gewalt – in umso extremerer Form und hocheffektiv, um Angst zu verbreiten und neue Kämpfer anzuwerben.

Kampf gegen Terror als Vorwand für Zensur

Die Gefolgschaft seiner Anhänger in so genannten Medienbrigaden erkauft sich der IS neben brutaler Kontrolle durch Belohnung und Privilegien. So erhält ein Kameramann, der für den IS in den Kampf zieht, bis zu sieben mal mehr Sold als ein gewöhnlicher Soldat. Eine zentrale Rolle in der Propagandamaschine des IS spielt der britische Journalist John Cantlie. Er wurde im November 2012 zusammen mit James Foley gefangen genommen und begann nach dessen Enthauptung, gegen den Westen gerichtete Videobotschaften für seine Entführer zu produzieren.

Reporter ohne Grenzen beschränkt sich in dem Bericht nicht auf IS-Propaganda und -gewalt gegen Journalisten, sondern dokumentiert auch das ähnlich brutale Vorgehen der al-Shabaab-Miliz in Somalia, der Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria und islamistischer Milizen in Libyen. Zudem beschreibt ROG, wie vielen Regimen weltweit der Kampf gegen den Terrorismus als Vorwand dient, die Pressefreiheit einzuschränken – nicht nur im Nahen Osten und in Afrika.



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